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Die Marschallin hat ein grosses Herz

Noch ist hier in Wien die Begeisterung über ihre fabelhafte Jenůfa gar nicht recht verklungen und schon wächst die Vorfreude auf das nächste bedeutende Rollendebüt der Sopranistin an der Wiener Staatsoper, die Vorfreude auf Dorothea Röschmanns Interpretation der Marschallin im Rosenkavalier. Das folgende Gespräch erlaubt einen kleinen Ausblick.

Sehr geehrte Frau Röschmann, Sie haben einmal festgestellt, dass Sie beim bloßen Durchlesen des Librettos von der Figur der Marschallin so berührt waren, dass Sie buchstäblich in Tränen ausgebrochen sind …

Dorothea Röschmann: Selbstverständlich war mir der Rosenkavalier schon sehr vertraut, bevor ich auch nur daran denken konnte, die Marschallin zu singen. Doch als das erste diesbezügliche Engagement kam, wollte ich quasi von Null an beginnen und habe daher zunächst den Text wie ein Buch gelesen ohne auf die Musik zu achten. Und dabei hat mich die Wahrhaftigkeit dieses außergewöhnlichen Charakters, ihre Einsamkeit und vor allem ihre Liebesfähigkeit bis ins Innerste getroffen und, ja, ich habe geweint.

Die Marschallin ist ja tatsächlich die Sympathieträgerin der Oper – obwohl sie ihren Ehemann betrügt, also moralisch zumindest nach außen hin nicht hundertprozentig perfekt zu sein scheint.

Dorothea Röschmann: Das vielleicht nicht, aber der Zuschauer hat die Möglichkeit viele seelische Facetten dieser Frau kennen zu lernen: Ganz am Beginn nach der Liebesnacht mit Octavian ist sie verletzlich und weich, beim Lever sieht man ihr offizielles Gesicht, sobald sie dann allein ist, darf man ihr beim Nachdenken, bei der Selbstreflexion zuschauen, sie kann weise Entscheidungen treffen und sich zwischendurch spielerisch und extrem risikofreudig geben – und, was mir besonders wichtig scheint, die Marschallin ist eine wahre Liebende mit einem großen Herzen, weshalb sie am Ende loslassen und Octavian freigeben kann.

Weise und zugleich spielerisch – wie jugendlich soll oder darf diese immer wieder sehr würdevoll gezeichnete Frau nun interpretiert werden?

Dorothea Röschmann: An Jahren ist die Marschallin sicher jung, dennoch ist sie, in vielerlei Hinsicht, sehr erfahren. Sie wurde wahrscheinlich früh, so mit etwa 14, verheiratet und ich gehe davon aus, dass die Ehe nicht glücklich ist, ihr seine vermutlich nur schwer unterdrückte gewalttätige Seite Angst macht. Von gemeinsamen Kindern erfährt man nichts und da ihr Mann oft für längere Zeit abwesend ist, ist sie der Eintönigkeit des ewig gleichen Tagesablaufes allein ausgesetzt: Ankleiden – Lever – Ausgehen – Speisen – gesellschaftliche Unterhaltung – Schlafengehen. Diesem Trott versucht sie einen Farbenreichtum zu geben – und Octavian dürfte diesbezüglich eindeutige nicht der erste und auch nicht der letzte Liebhaber sein. Dazu kommt noch, dass es Menschen gibt, die sich ihre Unbedarftheit und Naivität bis ins hohe Alter erhalten und solche, die immer schon innerlich abgeklärt wirken, ganz gleich, ob sie 15, 20 oder 60 Jahre alt sind. Und zu diesen „alten Seelen“, die sich in diesem Fall aber danach sehnt – mit Octavian – unbeschwert und jung das Leben zu genießen, zähle ich die Marschallin.

Octavian ist offenbar nicht ihr erster Liebhaber – aber liebt sie ihn mehr als seine Vorgänger?

Dorothea Röschmann: Das weiß ich nicht. Sicher ist, dass sie in ihm etwas sieht, was sie wieder lebendig gemacht hat. Vielleicht spielt ihr Unterbewusstsein hinein, wenn sie ihn im ersten Akt als Rosenkavalier vorschlägt, vielleicht läutet die Marschallin an dieser Stelle auf gewisse Weise selbst schon das Ende der Beziehung ein, weil sie weiß, dass sie keine Zukunft hat und weil sie weiß, dass Festhalten nichts mit Liebe zu tun hat. Und gerade deshalb ist klar, dass die Marschallin Octavian wirklich liebt!

Die Marschallin wird von Mezzos ebenso gesungen wie von Sopranistinnen? Worin liegt Ihrer Meinung nach der „Vorteil“, wenn die Partie mit einem Sopran besetzt wird?

Dorothea Röschmann: Es ist keine Frage des Vorteils, sondern eine Frage der Stimmfarben. Gerade die charakterliche Vielschichtigkeit der Figur der Marschallin erfordert einen entsprechend großen klanglichen und interpretatorischen Farbenreichtum sowie dynamische Detailfreude. Außerdem muss immer wieder von großen Bögen auf sprechgesangartige Deklamation gewechselt werden und umgekehrt von Deklamation auf große Phrasen. Wenn eine Interpretin stimmlich all diesen Vorgaben entspricht, ist es unerheblich, ob es sich bei ihr um eine Sopranistin oder Mezzosopranistin handelt, zumal die Tessitura großteils in der Mittellage angesiedelt ist.

Sie sind auch eine gefragte Lied-Sängerin. Wie viel ihrer diesbezüglichen Erfahrung können Sie beim Interpretieren der Marschallin einbringen?

Dorothea Röschmann: Einer der Gründe, warum ich diese Rolle so liebe, liegt ja gerade darin, dass sie viel Liedgesangartiges aufweist. An gar nicht so wenigen Stellen, vor allem dort, wo es zu einem wirklichen Sprechgesang kommt, nimmt Strauss das Orchester stark zurück, wodurch die Stimme der Sängerin nackt und bloß im Raum steht und sich nicht hinter Klangmassen verstecken kann. Hier muss die Interpretin jedes Wort noch intensiver „meinen“ und fühlen, die vorhin angesprochenen Farben noch klarer herausarbeiten, als sie es ohnehin schon tut.