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© Jensgerber

DIE KUNST DER GRENZENLOSIGKEIT

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Über sein Arbeitspensum staunt man immer wieder: Omer Meir Wellber ist Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra, Musikdirektor des Teatro Massimo in Palermo, erster Gastdirigent an der Semperoper in Dresden, daneben absolviert er Dirigate an wichtigen Häusern wie der Metropolitan Opera in New York, dem Fenice in Venedig, der Israeli Opera in Tel Aviv, in München, Berlin, Mailand. Ab der kommenden Spielzeit tritt er darüber hinaus als Musikdirektor der Volksoper Wien an. Zusätzlich schreibt er Bücher, engagiert sich in Vermittlungs- und Sozialprojekten und lernt Sprachen. Und findet Zeit für Interviews, wie mit Oliver Láng, der mit dem 1981 in der Wüstenstadt Be’er Sheva geborenen Dirigenten über sein arbeitsintensives Leben, seine Beziehung zu Carmen und über Grenzen im Leben sprach.


Fangen wir mit jener Frage an, die sich jeder stellt, der einen Blick in Ihren Lebenslauf geworfen hat. Sie dirigieren Opern und Konzerte rund um den Globus, haben Leitungsfunktionen, schreiben Bücher und sind in hohem Maße bei unterschiedlichsten Sozialprojekten engagiert. Wie geht sich das alles aus? Wo finden Sie die 25., 26. und 27. Stunde des Tages? 

OMER MEIR WELLBER: Ich stehe eben früh auf! Das ist die pragmatische Antwort (lacht). Nein, ernsthaft: Ich habe die Möglichkeiten und die Neugierde, die es zu all dem braucht. Und ich liebe diese Art des Lebens und des Arbeitens, das Eintauchen in eine multidisziplinäre Welt. Sonst wäre mir, ehrlich gesagt, ein bisschen langweilig. Abgesehen davon halte ich die Verbindung unterschiedlicher Bereiche für sehr fruchtbar und sinnvoll.


Ein weiterer Aspekt ist, dass Sie laufend neue Sprachen lernen. Alle paar Jahre knöpfen Sie sich die nächste vor.

OMER MEIR WELLBER: Also vorige Woche habe mit Chinesisch angefangen, die letzten Jahre studierte ich russisch, das geht inzwischen schon ganz gut. Ich beherrsche Hebräisch, Deutsch, Italienisch, Englisch. Wenn Sie mich aber fragten, warum ich das mache, könnte eine Antwort lauten: Wenn man mehrere Sprachen spricht, sieht man auch mehr Dinge. Denn alle Sprachen haben ihre eigene Perspektive und ihr Vokabular, das wiederum Bezug nimmt auf unterschiedliche Ideen, Philosophien, Gedankenwelten. Mit jeder neuen Sprache erwerbe ich mir eine weitere Möglichkeit, unsere Lebenswirklichkeit aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. 


Viele Künstlerinnen und Künstler beschreiben oftmals den Moment, an dem sie Grenzen beachten und sich einbremsen, um nicht auszubrennen. Spüren Sie Grenzen, abgesehen von der Tatsache, dass man nicht noch früher aufstehen kann? Oder sind Grenzen nur ein Widerstand, der zu überwinden ist?

OMER MEIR WELLBER: Nein, nein, das mit den Grenzen ist für mich kein gültiges Konzept. Ich empfinde Beschränkungen als nicht so gut. Ich suche sie auch nicht aktiv. Was aber nicht bedeutet, dass ich nach dem Chaos strebe. Ich finde einfach, dass Freiheit in meinem Leben an erster Stelle stehen soll. Wobei… echte Freiheit ist ohne Grenzen nicht denkbar. Insofern bin ich doch für Grenzen, nur im umgekehrten Sinne. Man braucht sie, damit die Freiheit möglich wird. 


Wie viel Freiheit lag darin, als Sie mit fünf Jahren mit Klavier und Akkordeon anfingen? Ist das nicht immer auch etwas, das von den Eltern kommt?

OMER MEIR WELLBER: Das Gefühl, dass ich Musiker bin und mich durch Musik ausdrücken kann, war immer da. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Kindheit und daran, dass ich immer ein Instrument gespielt und etwas ausprobiert habe. Das schien mir ganz naheliegend und richtig. Insofern war das frühe Musizieren tatsächlich reiner Ausdruck meiner persönlichen Freiheit. Ich muss dazusagen, dass ich aus einer Familie stamme, die die Freiheit immer sehr hochgehalten hat. Jeder durfte machen, was er will, und jeder durfte und darf sagen, wonach ihm oder ihr der Sinn steht. Es hieß immer: »Wenn du spielen willst, dann spiel. Und wenn du nicht willst, dann lass es«. Alles, was ich tat, war also meine Entscheidung – und das von frühester Zeit an. Natürlich hat eine solche Einstellung ihre Vor- und Nachteile, für mich war sie aber sehr wichtig und prägend. Zumindest kann ich im Rückblick sagen, dass alles, was ich jemals gemacht habe, von mir kam. Ich habe entschieden, ob es nun richtig ist oder falsch. Und ich muss sagen: Das ist schon ein starkes Gefühl. 


Aus Klavier und Akkordeon wurde der Dirigentenstab. Warum diese Entscheidung?

OMER MEIR WELLBER: Das war so nicht geplant. Meine ursprüngliche Idee war, Pianist, Akkordeonspieler und Komponist zu werden. So lautete das Ziel und so war mein Wille. Doch dann traf ich in Jerusalem an der Musikakademie eine für mich sehr wichtige Person, meinen ersten Dirigentenlehrer. Und er war eine so starke und prägende Persönlichkeit, dass ich von meinem eigentlichen Vorhaben Stück für Stück abrückte. Das war fast so etwas wie Magie, nicht schwarze, sondern weiße. Und eines Tages hatte ich mich für den Weg des Dirigenten entschieden.


Sie erzählten einmal, dass Sie familientechnisch rund 20 unterschiedliche Kulturen in sich tragen. Ist eine so vielfältig aufgestellte Ahnenreihe als Künstler ein Vorteil – im Sinne der vorhin angesprochenen multiperspektivischen Betrachtungsweise?

OMER MEIR WELLBER:  Ja, absolut. Aber das heißt nicht, dass es so besser ist als anders. Es ist nur eine Möglichkeit. Zum Beispiel: In den letzten Jahren habe ich viel an der Semperoper in Dresden dirigiert und kann sagen, dass dieses Haus eine sehr klare Perspektive hat, wie etwas klingen soll, was die Tradition sagt, wie man es bisher gemacht hat. Man weiß also, wo man herkommt und wo man hinwill. Ich mag das! Und ich denke, dass die Verbindung von meinem offenen Zugang und der Präzision, die ich in Dresden erlebte, eine gute Kombination ist. Ich hoffe, dass es an der Volksoper ähnlich sein wird. Denn ich schätze es, in Traditionen einzutauchen und gleichzeitig ein bisschen frischen Wind zu bringen. Wir wissen ja: Tradition muss immer wieder neu hinterfragt werden, sonst ist sie tot. Man darf aber auch nicht vergessen, dass sie nicht immer schon da war, sondern neu begründet werden kann. Zum Beispiel: In Dresden dirigierte ich sehr viel Mozart, anfangs war die Zusammenarbeit zwischen Orchester und mir schwer, aber heute haben wir unsere eigene Tradition. Wenn ich mit den Musikerinnen und Musikern etwa Nozze di Figaro spiele, dann ist das ein ganz eigener Klang, der nur dann zu hören ist, wenn wir gemeinsam musizieren. Es ist schön zu sehen, wie sich so etwas entwickelt und herausbildet! 


An der Wiener Staatsoper debütieren Sie mit Bizets Carmen. Würden Sie sagen, dass sich der Klang, den Sie einem Orchester entlocken, von Inszenierung zu Inszenierung ändert? Dass Sie also Elemente der Regiesprache in Ihre Klangsprache aufnehmen?

OMER MEIR WELLBER:  Unbedingt! Ich liebe den Einfluss der Regie auf meine musikalische Sicht, wie ich auch die Zusammenarbeit mit einem Inszenierungsteam liebe. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Und auch wenn ich natürlich immer klare Vorstellungen habe, wie ich ein Werk interpretieren möchte, bewahre ich mir gleichzeitig eine große Offenheit für andere Einflüsse. Wie ein Werk letztlich also klingt, hängt vom Orchester, von den Sängerinnen und Sängern – und von der szenischen Umsetzung ab. Im Falle der Carmen ist es so, dass ich ja bereits die Premiere dieser Produktion beim Festival in Peralada leitete – meine Verbindung mit dieser Inszenierung ist also besonders eng.


Neben Ihrer musikalischen Arbeit schreiben Sie auch Bücher. Ist das ein zusätzliches Talent? Oder haben Sie ein »Kunst-Talent«, das hinter beidem steht?

OMER MEIR WELLBER:  Ich bin jemand, der immer auf der Suche nach der richtigen Form des Ausdrucks ist. Manchmal benötigt es eine etwas abstraktere Sprache – dann dirigiere ich. Oder aber es soll konkreter werden – dann ist es die geschriebene Sprache. Das Talent ist, würde ich meinen, immer das gleiche. Es braucht jedoch immer die Entscheidung für die passende Form.


 

CARMEN

8., 13., 16. & 19. November 2021

Musikalische Leitung Omer Meir Wellber
Inszenierung Calixto Bieito
Bühne Alfons Flores
Kostüme Mercè Paloma
Licht Alberto Rodriguez Vega


Carmen Clémentine Margaine
Don José Freddie De Tommaso
Escamillo Erwin Schrott
Micaëla Vera-Lotte Boecker
Frasquita Joanna Kędzior
Mercédès Isabel Signoret*
Zuniga Peter Kellner
Moralès Stefan Astakhov*
Remendado Robert Bartneck
Dancaïre Clemens Unterreiner
* Mitglied des Opernstudios