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© Holger Hage/Deutsche Grammophon (Garanča); © Julia Wesely (Beczała)

ACHT FRAGEN an Carmen und Don José

Mit Elīna Garanča in der Titelrolle und Piotr Beczała als Don José steht im September eine brillant besetzte Carmen-Serie am Spielplan der Wiener Staatsoper. Gehören beide doch zu den führenden Publikumslieblingen unserer Zeit, die musikalisch wie szenisch Idealverkörperungen der jeweiligen Partien in Bizets Oper darstellen. In den Sommermonaten beantworteten die Mezzosopranistin und der Tenor acht Fragen von Oliver Láng zu den von ihnen dargestellten Figuren in Carmen.

Passen Carmen und Don José grundsätzlich nicht zusammen oder könnte es eine Dimension geben, in der sie »glücklich bis zu ihrem Ende« leben?

ELĪNA GARANČA Ich glaube nicht. Wir Menschen tendieren ja dazu, unsere Erwartungen und Hoffnungen auf das Gegenüber zu projizieren. Carmen und Don José wollen aber eigentlich beide etwas, das der jeweils andere nicht bieten kann – weil sie beide unterschiedliche Ausgangspositionen haben.

PIOTR BECZAŁA Ich denke, dass, wie so oft in der Welt, Timing das Wichtigste ist. Die beiden haben sich einfach zur falschen Zeit getroffen. Vielleicht würde es ein paar Jahre später, wenn Carmen sich ausgetobt hat, klappen. Weil sie meiner Meinung nach grundsätzlich schon zusammenpassen: nicht umsonst verlieben sie sich ja ineinander, aber... der falsche Zeitpunkt!

Welche Eigenschaften entdecken Sie in sich, die sich mit Carmen bzw. Don José überschneiden?

PB Ich würde sagen, dass ich mit Don José sehr wenig gemeinsam habe, ich bin eher so Richtung Werther. Vielleicht gibt es, was seine Ernsthaftigkeit und Konsequenz betrifft, gewisse Berührungspunkte – aber nicht sehr viele. Sein Wahn, diese Hitzköpfigkeit, das ist mir alles fremd. Ich bin einfach bodenständiger als Don José, auch wenn mich natürlich dann und wann etwas auf die Palme bringen kann.

EG Immer weniger. (lacht) Vor zehn bis 15 Jahren hätte ich mich auch mit heißem Kopf in vieles hineingestürzt, von Lust oder Idealen getrieben. Jetzt verstehe ich immer mehr, dass es nicht immer um mich geht und dass es spannender ist, einen vermittelnden Weg zu finden, als blind für die eigene, subjektive Wahrheit zu kämpfen. Aber, auch ich kann ungeduldig sein und schnell »explodieren«, auch ich reiße Menschen gerne zu ausgelassenen Unternehmungen mit. Ebenso will ich über mein eigenes Leben bestimmen. Aber, da Carmen im Gegensatz zu mir keine Kinder hat, entfremden wir uns langsam. Denn mit Familie und Kindern verändert sich der eigene Egoismus.

Sind Carmen und Don José auf längere Sicht per se beziehungstauglich – wenn sie jeweils den Richtigen oder die Richtige fänden?

EG Gute Frage, aber was heißt schon – den Richtigen? In jeder Etappe des Lebens suchen wir ja einen anderen Partner oder eine andere Partnerin. Es ist selten, dass man auch nach 25 Jahren noch genauso verliebt ist wie am ersten Tag. Der Mensch ist grundsätzlich, glaube ich, nicht monogam. Aber – wenn the big picture passt, dann würde auch Carmen sich zähmen und ihren Egoismus aufgeben.

PB Wie in der ersten Frage beantwortet: Carmen sucht zur Zeit Abenteuer und Don José will letztlich eine Beziehung, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich glaube schon, dass beide zu einer Beziehung fähig sind, aber, wie gesagt, nur wenn das Timing stimmt.

Mit wem würden Sie lieber einen Abend verbringen: der Figur von Carmen oder jener von Don José?

PB Das ist eine interessante Frage! Ich finde, dass Carmen eine faszinierende Frau ist, also ja, eher mit ihr! Denn Don José ist für mich ein wenig scheu und kontaktunwillig, das finde ich schwieriger. Andererseits könnte es ein interessanter Abend werden, wenn ich mit ihm und einer Flasche Tequila an der Bar sitzen würde. Da könnten sich interessante Gespräche ergeben.

EG (lacht) Weder – noch. Aber wenn es sein müsste – wahrscheinlich doch Carmen. Ich würde mit ihr gerne über vieles sprechen, vor allen über ihre Vergangenheit, die wir ja nicht kennen. Wir alle sind aus dem, was wir waren, was wir erlebten oder gesehen haben, geworden – und darüber wissen wir in ihrem Fall nichts.

Gibt es für Sie »den« Moment in der Oper?

EG Ich finde, dass sich »der« Moment mit dem Zeitpunkt, den Erwartungen, Wünschen oder Träumen der Sängerin, die die Carmen singt, verändert. Als junge Carmen ist es vielleicht der zweite Akt, wenn José von ihr berauscht ist. Irgendwann ist der Wunsch nach Freiheit am wichtigsten. Für mich geht es zur Zeit um den kleinen Moment, in dem die Zeit still stehen kann, wenn José in der Mitte der Blumenarie singt, dass er dieses oder jenes gedacht, verflucht hat – aber immer sie sehen wollte. Es war die Sehnsucht, die ihn antrieb, an sie zu denken. Die Sehnsucht nach Liebe, Glück, Seligkeit oder was auch immer. Etwas, das wir alle wollen – aber letztlich nicht genau definieren können.

PB Für mich eigentlich auch meine Blumenarie. Da offenbart er alle seine Gefühle. Umso schockierender dann, wenn Carmen erwidert: »Nein, du liebst mich nicht!« Da kommt die Geschichte in Fahrt, weil es, außer dem Duett am Ende, der einzige Moment ist, in dem er sich wirklich offenbart. Und zeigt, welche Emotionen ihn umtreiben.

Welches Buch würden Sie Carmen / Don José empfehlen?

PB Irgendetwas, was ihn auf den Boden bringt und beruhigt. Vielleicht, dass die Männer vom Mars und die Frauen von der Venus sind. Das könnte ihm helfen. Danach würde er wahrscheinlich mit Micaëla weiterziehen.

EG Ebenfalls: »Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.«

Drei Begriffe, die Carmen / Don José beschreiben?

PB Er ist ein sehr konsequenter Mensch, ein Hitzkopf, aber auch ehrlich.

EG Drei sind zu wenig... sie ist mehr als nur ein Triangel.

Beide sind in letzter Konsequenz Egoisten. Ist das ein Aspekt, der Sie interessiert?

EG Ich glaube, sie sind Egoisten, weil sie noch sehr jung sind und vor vielen Sachen Angst haben. Das ist ein Schutzreflex. Wie sagt man? Angriff ist die beste Verteidigung. Wenn wir Carmen erst im Alter von 60 Jahren kennen lernen würden, wäre ihr Mythos nicht so interessant.

PB Egoistisch... ich weiß nicht... Don José ist in seinen Versuchen, Carmen an sich zu binden, ja bereit, vieles aufzugeben, um mit ihr leben zu können. Aber sie sind egozentrisch! Sie denken zwar nicht nur an sich, aber sie glauben, dass sich alles nur um sie dreht und nur um sie drehen muss!

CARMEN
6. / 9. / 12. / 15. September 2022
Musikalische Leitung Yves Abel
Inszenierung Calixto Bieito
Mit u.a. Elīna Garanča / Piotr Beczała / Roberto Tagliavini / Slávka Zámečníková / Maria Nazarova / Isabel Signoret / Ilja Kazakov / Stefan Astakhov / Carlos Osuna / Clemens Unterreiner