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Zwischen Naturbursch und Göttervater

Zu Ostern war er der Amfortas im Parsifal, im Mai gestaltet Michael Volle den Göttervater im Ring – wobei es sich beim Wanderer sogar um sein Rollendebüt handelt. Vor einer Parsifal-Vorstellung traf Oliver Láng den Sänger und plauderte über dessen Zuneigung zu Bach, Rollenvorlieben und über die positive Routine im 26. Bühnenjahr.

Es ist knapp zwei Stunden vor Ihrem Auftritt als Amfortas und Sie sitzen hier vollkommen entspannt. Sind Sie das, was sich eigentlich alle anderen Sänger wünschen: Ein Sänger ohne Nerven?

Michael Volle: Lampenfieber und Nervosität gibt’s immer. Ich bin jetzt im 26. Bühnenjahr und die Tatsache, dass einen nicht mehr alles gleich aus den Schienen wirft, ist so eine Art positives Abfallprodukt, sprich Routine. Aber natürlich gibt es immer eine Anspannung, gerade, wenn ich eine Partie zum ersten Mal an einem Haus wie der Wiener Staatsoper singe oder wenn ich eine Rolle überhaupt erstmals gestalte wie den Wanderer in Siegfried. Da kocht es innerlich schon ein wenig auf. Andererseits ist es natürlich auch eine Typenfrage: Es gibt Sänger, die einen ganzen Tag vor einer Vorstellung kein Wort mehr reden – daran halte ich mich nicht. Aber natürlich laufe ich auch nicht brüllend durch die Kärntnerstraße… Im Grunde versuche ich, so normal wie möglich zu leben.

Sie haben Kollegen, die mit ansteigender Karriere immer nervöser werden – weil das, was sie riskieren, ja immer größer wird.

Michael Volle: Ja, da sage ich Ihnen ohne Flachs oder ironischen Hintergedanken: Das ist, denke ich, bei Tenören heikler, weil sie einfach exponierter sind. Natürlich riskieren wir anderen auch alles, weil es in diesem Geschäft wirklich brutal zugeht: Ein Kiekser wird verziehen, bei zweien Michael Volle singt Wotan und Wanderer im Ring wird’s schon kritisch und ab dem dritten wird’s dann wirklich heikel. Aber wir stehen vielleicht etwas weniger im Schaufenster. Und ich denke, dass ich ganz gut geerdet bin: mit Kindern, Alltag, dem Begleiten von meiner Frau in ihrem Beruf. Also ohne meinen Beruf nicht ernst zu nehmen: aber ich weiß, dass es noch anderes gibt im Leben.

Sie haben gesagt, es ist inzwischen das 26. Jahr Ihres Bühnenlebens. Was hat sich in dieser Zeit geändert? Hat sich überhaupt etwas geändert?

Michael Volle: Sehr viel! Wie ich schon sagte, kann ich jetzt auf eine positive Routine vertrauen. Darüber bin ich sehr froh, denn der Beruf bietet immer wieder Überraschungen und ich kann so vielen Stresssituationen einfach etwas entspannter begegnen. Mein Repertoire hat sich natürlich verändert. Manche Rollen konnte ich logischerweise am Anfang meiner Laufbahn gar nicht singen, mache Dinge bekomme ich heute – sehr zu meinem Leidwesen – nur noch selten angeboten. Einen Papageno zum Beispiel. Gerade darum bin ich sehr glücklich, dass ich im Frühjahr 2017 elfmal den Papageno an der Bastille singen werde. Ich gebe zu, ich bin auch empfindlicher geworden, was die Untiefen des Alltags angeht. Ich möchte meine Zeit in den Ensembles mehrerer  Opernhäuser keine Sekunde missen, aber ich bin froh, dass ich jetzt meine Engagements auswählen kann und darf. – Weil Zeit einfach sehr kostbar ist und weil es ein Leben neben der Oper gibt.

Hat sich der Opernbetrieb als solcher verändert?

Michael Volle: In gewisser Weise: ja. Ohne auch nur ansatzweise die Vergangenheit zu glorifizieren habe ich das Gefühl, dass die Verantwortlichkeit in verschiedenen Bereichen des Opernalltags, auch im künstlerischen Bereich, früher ausgeprägter war. Heutzutage wird manchen, vor allem jungen Sängern, nicht mehr genügend Zeit gelassen, sich zu entwickeln. Und wenn jemand verfeuert wurde, wird er oftmals fallengelassen und ersetzt. Ich denke, die Zeit für eine Entwicklung, die einem früher gelassen wurde, war einfach eine größere – und dadurch eine bessere. Und auch wenn sich die Bedingungen, die von außen auf den Opernbetrieb einwirken, also zum Beispiel die Strategien beim Verkauf der „Ware“ Oper – und das ist sie, und ich meine das gar nicht negativ – verändert haben: es geht immer noch um Qualität! Und ein junger Sänger, eine junge Sängerin hat heute oft nicht die Zeit und nicht die Erfahrung, die Klippen des Berufes zu bewältigen. Und da hapert’s, glaube ich, heute oftmals an den Hilfestellungen und an der Sorgfalt.

Vor kurzem sangen Sie im Konzerthaus den Christus in der Matthäus-Passion gesungen. Warum machen Sie das? Um sich ein großes Repertoire zu erhalten, um die Stimme auf Bach zurückzubringen, also als Stimmpflege, oder einfach weil’s schön ist?

Michael Volle: Alle drei Aspekte stimmen! Erstens, weil’s für mich Herzblut ist. Ich bin Pfarrersohn aus dem württembergischen Raum und wurde mit Bach groß. Nun ist es so, dass man als Strauss- und Wagner-Sänger im Grunde kaum noch Angebote für Bach bekommt, weil manche sagen, „Das kannst du nicht mehr“. Umso glücklicher bin ich, dass mir Philippe Jordan, mit dem ich eng befreundet bin und schon viel gemacht habe, solche Sachen zutraut und anbietet. Und

ich muss sagen: Jeder, der nicht bei dieser Matthäus-Passion dabei war, hat etwas verpasst! Nicht nur, weil die Aufführung meiner Meinung nach eine sehr gute war, sondern weil Bach einfach das Zentrum von allem ist. Und vor allem die Matthäus-Passion! Ich habe sie lange Jahre nicht mehr gesungen und war überwältigt von der Größe des Stücks. Um also auf Ihre Frage zurückzukommen – zweitens: Es ist unfassbar schön. Drittens, das haben Sie völlig richtig gesagt, ist es mit Oratorien und Passionen wie mit dem Lied: Es ist Stimmhygiene. Ein Amfortas, ein Wanderer, ein Wotan, ein Sachs, ein Scarpia … das sind Kaliber, die einen sehr fordern, auch vokal. Man muss also sehr aufpassen. Durch das Singen von Liedern oder einem Konzert merkt man, wenn man sich wirklich zuhört, ob die Stimme noch funktioniert.

Diesen Mai singen Sie an der Wiener Staatsoper Wotan und Wanderer. Es handelt sich dabei um eine charismatische Figur: viele wünschen sich insgeheim, ein wenig Wotan oder Wanderer zu sein. Gibt Ihnen die charakterliche Gestaltung dieser Figur etwas?

Michael Volle: Ich finde ja nicht, dass Wotan eine besonders glorreiche Figur ist. Natürlich, der große Göttervater, aber dieser stochert mit seinem Schicksalsspeer doch auch ziemlich im Nebel herum. Er ist sehr unverlässlich, narzisstisch, machthungrig und untreu … also nur-sympathisch ist Wotan nicht. Aber das macht ihn auch interessant, denn ich liebe diese gebrochenen oder auch düsteren Charaktere, vor allem, wenn sie in ihrer Entwicklung rauf und runter gehen. Das ist spannender als irgendein glattes Profil. Abgesehen davon singt Wotan wahnsinnig schöne Sachen, und von dem her freue ich mich unendlich, nun den ganzen Wotan/Wanderer-Zyklus zu machen. Und ich freue mich sehr, ihn hier zu machen, und auch mit Simon Rattle. Insgesamt also: große Vorfreude!

Wenn wir zwei sehr unterschiedliche Figuren nehmen: Scarpia und Hans Sachs. Haben diese Figuren bei Ihnen auch unterschiedliche „Nachwirkungen“ auf Ihre persönliche Stimmung? Werden Sie zum Beispiel durch einen Scarpia ent- und durch einen Sachs aufgeladen?

Michael Volle: Also, das muss jeder für sich selbst entscheiden, aber ich finde, eine Rolle legt man ab, wenn man die Bühne, oder spätestens, wenn man das Opernhaus verlässt. Das bedeutet für mich nicht, dass ich nicht über Partien und Charaktere nachdenke, sowohl was das Stimmtechnische, als auch was die Rollengestaltung betrifft. Aber aus einer Tosca-Aufführung herauszukommen und quasi der wieder von den Toten auferstandene böse Gewaltmensch sein (der übrigens nicht nur einseitig gewalttätig ist, sondern auch sehr verführerisch sein muss), das finde ich doch sehr übertrieben. Aber auch ein Hans Sachs, der alle Charakterperspektiven abdeckt, will ich nach einer Vorstellung nicht sein: das Leben ist einfach etwas anderes als das, was wir hier im Theater machen. Wobei: Mein Bruder ist Schauspieler und hat einmal gemeint, dass, wenn einer eine spezielle Nähe zu einer Rolle fühlt, irgendwas von ihm selber mitschwingt. Wenn also jemand sich einem Scarpia besonders verbunden fühlt, wäre es ratsam, vielleicht darüber nachdenken, was da von seinem eigenen Charakter ins Schwingen kommt? In meinem Fall ist es mir bei einem Sachs leichter, eine Nähe zu finden als bei einem Scarpia. Denn, das muss ich ganz ehrlich sagen, wie Scarpia benehme ich mich normalerweise im Leben nicht.

Gibt es die eine Rolle, bei der Sie sagen würden: Das bin zu 98 % ich und da schwingt etwas von meinem Charakter mit?

Michael Volle: Papageno. Ich bin so ein Naturbursch: Wein, Weib und Gesang. Das bedeutet: Wein weniger, Weib eines, Gesang sehr viel. Bei Sachs, wie gesagt, schwingt schon auch sehr viel mit. Die Rolle ist für mich, und da bin ich nicht der einzige, das Allergrößte. Und zwar sowohl quantitativ, als auch qualitativ, sowohl vokal, als auch psychologisch. Ich denke, das ist jene Rolle, die mich am intensivsten und am längsten noch beschäftigen wird … Ich finde es einfach so schön: Hans Sachs ist der weise Mensch, der nachdenkliche Mensch, der lustige Mensch, der hämische Mensch (was ich eigentlich nicht sein will). Auch der Eifersüchtige, der blühen Liebende. Hans Sachs deckt das alles irgendwie ab und rührt viele Seiten in einem an.

Ihr Kollege Stephen Gould hat einmal gemeint, wenn er einen Siegfried singt, fühlt er sich am nächsten Tag wie nach einem Autounfall, weil es so anstrengend ist. Ist das beim Wotan auch so?

Michael Volle: Sicher ist, dass es sich um Höchstleistungssport handelt und man nach einer Vorstellung körperlich und geistig ausgepowert ist. Dabei hängt es nicht von der Quantität der gesungenen Noten oder der Zeit, die man auf der Bühne verbringt, ab. Ich sang kürzlich eine Wozzeck-Serie in Berlin und rein von den Noten her ist das ein Bruchteil vom Sachs in den Meistersingern. Und dennoch war es für mich ebenso fordernd wie ein Sachs. Es hat sicher auch damit zu tun, wie sehr man etwas an sich ranlässt und wie stark es einen berührt. Bei einem Wozzeck, einem Falstaff, einem Sachs, einem Wotan, da ist man schon noch einmal in vielerlei Hinsicht stark gefordert und deshalb nach einer Vorstellung auch dementsprechend erledigt.

Ist eigentlich das Psychische oder Physische anstrengender?

Michael Volle: Ich denke: beides. Es ist eine Melange aus vielerlei Dingen, wobei ich glaube, dass es von den Anforderungen her eben unterschiedlich schwere Rollen gibt. Es gibt Partien wie den Papageno, den ich ohne großen Anlauf schaffe – auch, weil ich ihn einfach schon so viele Male gesungen habe. Denn je öfter man etwas gestaltet hat, desto leichter fällt es einem. Das heißt nicht, dass es leicht wird, aber eben doch leichter. Es gibt sie eben: die positive Routine.

Oliver Láng