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Wie für mich komponiert

Wenn nicht alles täuscht, steht Olga Bezsmertna (ihr Nachname bedeutet übersetzt – nomen est omen –„unsterblich“) knapp vor dem großen Durchbruch zur Weltkarriere. Das Schöne für Wien daran ist: Die junge, aus Kiew stammende Sopranistin gehört seit einigen Jahren zum Ensemble der Wiener Staatsoper und kann hier daher das ganze Jahr über mit einem breiten Repertoire, das praktisch alle wichtigen Stile umfasst, erlebt werden.

Sozusagen zum Tagesgeschäft eines Ensemblemitglieds gehört es bekanntlich, gelegentlich für erkrankte Kollegen einzuspringen, also einen Auftritt zu übernehmen – bei Olga Bezsmertna hat das „Einspringen“ jedoch insofern eine beinahe schon eigene Facette, als sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit nicht nur kleine und mittlere, sondern wichtige Hauptpartien kurzfristig übernimmt – und jedes Mal reüssiert. Das war schon bei ihrem Staatsopern-Debüt im März 2012 so, als sie sich dem Publikum mit der nicht eben leichten Rolle der Dame in Hindemiths Cardillac vorstellte und prompt alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Nicht anders dann bei ihrer ersten Contessa d’Almaviva, der seither mehrere „reguläre“ Gräfinnen folgten. Und allein in der aktuellen Spielzeit sind bis jetzt drei große Bezsmertna-Einspringer zu verzeichnen: Im September eine komplette Rusalka-Serie in der sie die Titelpartie verkörperte, im Dezember zwei Auftritte als Pamina und im Februar/März die extrem herausfordernde Rachel in Halévys La Juive, die sie anstelle von Soile Isokoski geben wird.

Natürlich ist Einspringen nicht gleich Einspringen. Wenn man zu Mittag angerufen wird, ob man am Abend eine Rolle übernehmen kann, ist das etwas anderes, als ob man zwei Monate im Voraus erfährt, dass eine Partie unerwartet vakant geworden ist. Beide Fälle haben ihre je eigenen Herausforderungen und Olga Bezsmertna kennt beiden Möglichkeiten inzwischen sehr gut. „Das sehr kurzfristige Einspringen“, so die Sopranistin, „ist vielleicht um eine Spur weniger aufregend, da man gar keine Zeit mehr hat, alle Eventualitäten, alle Klippen und Gefährdungsmomente zu bedenken. Ich konzentriere mich in so einem Fall immer auf den nächsten Schritt und weniger aufs Singen als auf szenische Faktoren – also zum Beispiel: Wo gehe ich hin? Wann trete ich auf? Was mache ich an dieser oder jenen Stelle mit meinem Partner?“ Freilich, „um eine Spur weniger aufregend“ bedeutet nicht, dass die Nerven zunächst nicht blank liegen. Als ich mit ihr über dieses Thema sprach, spielte Olga Bezsmertna auf überaus witzige Art, in Form eines Dramoletts, jene ersten paar Minuten nach, die dem Anruf der Direktion folgen, in dem ihr ein kurzfristiges Einspringen mitgeteilt wird. Diese kurze Szene schriftlich wiederzugeben ist praktisch unmöglich, aber offenbar durchläuft der oder die Betreffende in so einem Fall mehrere Phasen: Von der vollkommenen Fassungslosigkeit, über die Situationsanalyse, der Akzeptanz bis hin zum adrenalingeschwängerten Antritt zur Schlacht, also zur Aufführung.

So amüsant oder spannend für Außenstehende so etwas auch klingen mag, möglich wird dies nur durch ein funktionierendes Gesangs-Fundament, das sich aus Talent, einer hervorragenden Gesangstechnik sowie viel Arbeit und Disziplin zusammensetzt. Noch heute ist Olga Bezsmertna ihrer Professorin für die harte Schule dankbar, die sie einst am Konservatorium ihrer Heimatstadt durchlaufen musste. „Wenn ich zur Stunde kam, hatte ich zunächst 45 Minuten lang Gesangsübungen zu machen, und erst dann, als ich bereits müde zu werden begann, hieß es: ‚Und nun sing dein für heute vorbereitetes Programm‘.

Wenn ich mir jetzt die Noten der Rachel ansehe, erkenne ich an mehreren Stellen viele dieser Übungen wieder und denke mir: ‚Wie gut, dass ich das alles damals in den obligatorischen 45 Minuten lernen musste – sonst könnte ich diese für mein Fach doch sehr schwere Partie wohl gar nicht singen.“

Als aber die Frage aufs Tapet kam die Rachel zu übernehmen, hat Olga Bezsmertna nichtsdestotrotz etwas länger gezögert, die Rolle genau angesehen und auch Rücksprache mit KS Soile Isokoski und KS Krassimira Stoyanova, zwei wichtigen Interpretinnen dieser Partie gehalten, ehe sie zugestimmt hat. „Ich bin bald draufgekommen“, erinnert sich Olga Bezsmertna „dass die Rachel gar nicht so dramatisch ist, wie ich ursprünglich befürchtet habe, sondern immer wieder schöne lyrische Passagen aufweist. Soile meinte sogar, dass die Rachel geradezu für mich und meine Stimme komponiert worden ist. Und tatsächlich, je länger ich die Rachel studierte, desto mehr erkenne ich, wie gut sie in jeder Hinsicht in mein übriges Repertoire hineinpasst.“

Apropos Repertoire: Wohin die „Reise“ hingehen wird, also in welchem Fach sie sich dauerhaft etablieren oder zu welchem Fach sie sich hin entwickeln wird, lässt Olga Bezsmertna bewusst offen, probiert noch einiges aus, um endgültig herauszufinden, was sie am liebsten hat. Sie schätzt die Vielfältigkeit bei Mozart, freut sich, dass durch die Rachel auch das Französische stärker hereinkommt, ist glücklich mit der Rusalka. Wichtig ist ihr vor allem, dass sie stets eigene Farben findet, die zu ihrem Timbre passen, dass sie immer authentisch bleibt. Grundsätzlich versucht sie, stets nur einen Schritt und nicht mehrere vorauszuschauen. „Heute ist alles in Ordnung, morgen werde ich weitersehen‘“, lautet ihr Motto, das sie seit Beginn ihres Sängerinnendaseins beherzigt, „eine Karriere strebt man nicht an, sie muss sich von selbst ergeben“, lautet ein weiteres und „Olga, du musst frei und leicht singen, bloß nichts erzwingen“ ein drittes. Ihre jeweiligen Noten zeugen übrigens deutlich von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen. In unterschiedlichen Farben notiert sie Seite für Seite, Takt für Takt, musikalische Besonderheiten, was ihr in Bezug auf die Rollengestaltung wichtig ist, wo Fallstricke lauern. Einmal rückte Olga Bezsmertnas kleine Tochter Margarita mit den Worten „warum sind die Noten so schmutzig“ einem dieser „bunten“ Klavierauszüge mit einem Radierer zu Leibe und konnte gerade noch rechtzeitig abgefangen werden, ehe Wichtiges unkenntlich gemacht wurde. Es könnte jedoch durchaus passieren, dass auch die heute fünfjährige Margarita eines Tages Klavierauszüge in verschiedenen Farben bearbeitet – strebt sie doch derzeit ebenfalls den Sängerberuf an, singt praktisch den ganzen Tag, ganz gleich was sie nebenher tut, improvisiert am Klavier und macht fast wöchentlich deutliche musikalische Fortschritte. Jüngst hat sie sogar mit der Ballettschule angefangen und würde überhaupt jeden Tag lieber mit der Mama in die Oper gehen als in den Kindergarten. In den nächsten Wochen und Monaten kann sie allerdings zu ihrer großen Freude – und selbstverständlich auch das ganze Publikum – Olga Bezsmertna nicht nur in diversen Partien (neben der erwähnten Rachel unter anderem noch als Donna Elvira, Freia und wieder als Dame in Cardillac) erleben, sondern, am 12. Februar, weltweit übertragen, auch als Solistin bei der Eröffnung des Wiener Opernballs.

Andreas Láng


Jacques Fromental Halévy

La Juive

27. Februar, 3., 7. März 2015

Dirigent: Frédéric Chaslin

Regie: Günter Krämer

Mit: Neil Shicoff, Olga Bezsmertna, Aida Garifullina, Alexandru Moisiuc