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Verdi hat das Theater geliebt

Alain Altinoglu dirigiert die Premiere von "Macbeth"

Innerhalb weniger Jahre konnte sich der französische Dirigent Alain Altinoglu – ab Jänner 2016 ist er Musikdirektor des Théâtre de la Monnaie in Brüssel – zu einem der wichtigsten und gefragtesten Dirigenten im Opern- und Konzertbereich entwickeln: Allein in den letzten Monaten war er u.a. am ROH Covent Garden in London (Don Giovanni), an der Bayerischen Staatsoper (Premiere Manon Lescaut), an der Zürcher Oper (Uraufführung Rote Laterne), bei den Bayreuther Festspielen (Lohengrin) zu erleben. Auftritte bei den Salzburger Festspielen, in Aix-en-Provence, an der New Yorker Met, in Chicago, Berlin und an den Pariser Opernhäusern zählen mittlerweile seit Jahren zu seinen ständigen künstlerischen Betätigungsfeldern. An die Wiener Staatsoper kehrt er seit seinem Debüt im Jahr 2011 regelmäßig zurück – nun dirigiert er hier mit Verdis Macbeth seine erste Premiere. Das folgende Interview mit Andreas Láng entstand in der Schlussphase der Probenzeit.

Worin liegt das Neuartige, das oft beschworene Stil-Experiment in Verdis Macbeth im Vergleich zu seinen früheren Opern?

Alain Altinoglu: Um die Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einmal die beiden Versionen dieser Oper unterscheiden, die frühere aus dem Jahr 1847 und die spätere – die wir hier an der Wiener Staatsoper zeigen – von 1865. Diese beiden Fassungen liegen fast 20 Jahre auseinander und dokumentieren jeweils den kompositorischen Reifegrad von Giuseppe Verdi: der 1847er Macbeth entstand noch vor der berühmten Trias Traviata-Rigoletto-Trovatore, der 1865er Macbeth deutlich danach beziehungsweise knapp vor Don Carlos. Die Unterschiede liegen klar auf der Hand: Die frühere Fassung weist eine ähnliche Orchestrierung auf wie jene der Bellini- und Donizetti-Opern und zeigt eine Reihe von handwerklichen Konventionen. Wenn beispielsweise etwas handlungsmäßig geschwind abläuft, erhält diese Passage auch eine schnelle Musik und umgekehrt – das sind noch sehr traditionelle Muster. Ganz anders in der zweiten Fassung: Die Holzbläser werden da passagenweise kontrapunktisch geführt, es erklingen neuartige Instrumentenverbindungen wie etwa eine Trompete zusammen mit Streicherpizzicati, das Metrum, die Agogik sind insgesamt flexibler und die gesamte musikalische Dramaturgie ist weniger schematisch.

Für die aktuelle Produktion wurde also die zweite Version gewählt, weil sie unterm Strich besser ist?

Alain Altinoglu: Ich finde, dass erste oder frühere Fassungen zwar vom musikhistorischen Standpunkt aus gesehen durchaus interessant sein können, aber nicht zwingend aufgeführt werden müssen. Wenn jemand mit fünfundzwanzig oder dreißig etwas komponiert und dann zwanzig Jahre später merkt, dass einiges verbesserungswürdig ist und er manches korrigiert, so geschieht dies im Allgemeinen zurecht. Warum sollte man dann auf die frühere Version, mit zum Teil handwerklichen Schwächen und Fehlern zurückgreifen?

Weist die Partitur der zweiten Fassung nicht gewisse Brüche auf – wenn Teile der ersten Version auf Teile der zweiten stoßen?

Alain Altinoglu: Ja, diese Brüche gibt es, aber niemals innerhalb einer Nummer. Wenn Verdi also beispielsweise in einer Arie oder einem Duett etwas verändert hat, dann immer behutsam und dem früheren Stil angepasst. Wenn er allerdings gleich eine ganze Nummer erneuert oder eingefügt hat, dann kommt es schon vor, dass zwei Stile aufeinandertreffen.

Warum wurde das Ballett in dieser Produktion gestrichen?

Alain Altinoglu: Zum einen war es der Wunsch unseres Regisseurs Christian Räth. Zum anderen besteht auch musik-dramaturgisch keine Notwendigkeit es innerhalb der Oper aufzuführen. Verdi hat das Ballett nur geschrieben, weil es die Pariser Theatervorschrift von ihm verlangte und das dortige Publikum Balletteinlagen liebte.

Wo liegen die Herausforderungen für den Macbeth-Dirigenten?

Alain Altinoglu: Zum einen sind es die schweren Chorstellen. Zum anderen muss der Dirigent achtgeben, dass die noch verbliebenen konventionellen Teile nicht auffallen und den Gesamteindruck verderben.

Vom instrumentalen Marsch im ersten Akt, der die Ankunft König Duncans ankündigt, wird gelegentlich behauptet, dass er schlechte Musik sei …

Alain Altinoglu: Wirklich? Das finde ich überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Diese prosaische Es-Dur Musik ist sogar sehr gut, weil sie auf perfekte Weise die protokollarisch-nüchterne Atmosphäre wiedergibt, die zu diesem Zeitpunkt gerade stattfindet: der König kommt an. Es ist ein schöner Kontrast zu dem Davor und Danach.

Verdi spricht immer wieder von der Tinta, also quasi der Grundfarbe einer Szene, eines Stückes. Wie sieht diese Tinta der Oper Macbeth aus?

Alain Altinoglu: Ganz einfach: dunkel.

Bekanntlich hat Verdi angemerkt, dass die Sängerin der Lady Macbeth keine schöne Stimme haben muss oder soll. Was macht man als Dirigent mit so einer Aussage?

Alain Altinoglu: Verdi hat ähnliches oft gesagt – zum Beispiel im Zusammenhang mit der Interpretin der Quickly in Falstaff. Ihm ging es bei den Aufführungen seiner Stücke nämlich sehr stark um den theatralen Ausdruck, um das Schauspielerische. Es gibt ja auch heute genügend Sänger, die trotz einer nicht sehr schönen Stimme zu großen Publikumslieblingen im ersten Fach avanciert sind, weil sie ein tolles Charisma haben. Und genau diese dramatische Ausstrahlung verlangte Verdi von den Darstellern insbesondere in Macbeth. Mit Marianna Barbieri-Nini, der Uraufführungs-Lady Macbeth, arbeitete Verdi ganze drei Monate lang an der Sonnambulismo-Szene – so lange bis sie imstande war die ganze Passage ohne Mund- und Augenbewegungen zu singen.

Kann man in diesem Zusammenhang von einem Proto-Verismo oder einem Proto-Expressionismus sprechen?

Alain Altinoglu: Nein, Verdi ging es einfach um wahres, lebendiges Theater, für ihn war bloßer Schöngesang sinnlos. Wenn man die Macbeth-Partitur ansieht, merkt man, dass Verdi nahezu in jedem Takt ganz genau vorschreibt, in welcher Art und Weise interpretiert werden muss und je älter er wurde, desto präziser notierte er seine Wünsche, auch in Bezug auf die Dynamik.

Haben sich Interpreten heute noch ganz exakt an diese präzisen Anweisungen zu halten, zum Beispiel im dynamischen Bereich, oder hat man diesbezügliche doch einige Freiheiten?

Alain Altinoglu: Man muss hier relativieren – sowohl was die dynamischen Anweisungen betrifft als auch was die Tempovorgaben anbelangt. Alles um uns hat sich verändert, alles ist schneller, hektischer und zum Teil lauter geworden und somit auch unser Feeling hinsichtlich eines langsamen oder schnellen Tempos. Und wenn Verdi für die Sänger in einem a capella-Abschnitt ein vierfaches Piano vorschreibt, aber die Kühlgebläse der Scheinwerfer auf der Bühne gleichzeitig im Mezzoforte summen, dann ist diese Anweisungen in heutigen Opernhäusern nicht mehr eins zu eins durchführbar. Das was also stimmen sollte sind die Proportionen, denn dann agieren wir dem Sinne nach werktreu, wenn auch nicht buchstabentreu.

Bei Shakespeare trifft Macbeth drei Hexen, hier bei Verdi gleich einen ganzen Chor an Hexen. Warum geschah diese Vervielfältigung?

Alain Altinoglu: Wird ein Stück zu einem Werk des Musiktheaters verarbeitet, passiert das selten ohne Veränderungen. Auch Mérimées Carmen ist beispielsweise um einiges brutaler als die Oper von Bizet. Im aktuellen Fall glaube ich, dass Verdi die Anzahl der Hexen aus einem dramaturgischen Grund so drastisch vermehrt hat: Wenn Macbeth einer größeren Schar gegenübersteht, fokussieren die Zuseher stärker auf ihn, als wenn er nur drei Hexen vor sich hat.

Gibt es in Macbeth typische Tonarten, Tonartenfolgen oder Motive?

Alain Altinoglu: Die Partitur ist reich an unterschiedlichen Tonarten. Das, wenn Sie wollen, Typische ist, dass Verdi viele Nummern einer bogenförmigen Dreiteilung unterwirft, und hier wiederum Teil eins und Teil drei meist dieselbe Tonart aufweist, wohingegen er im Mittelteil sehr oft in eine Molltonart ausweicht. Was die Motive betrifft? Nun, einerseits kommen bestimmte, in der Musikliteratur oft verwendete rhythmische Pattern oder symbolhafte Tonfolgen vor, wie etwa der Halbtonschritt, der auf Tod und Blut hinweist. Andererseits verwendet Verdi in Macbeth immer wieder bestimmte Motive, die er auch gerne kontrastierend gegenüberstellt, zum Beispiel in der Ouvertüre das Hexenmotiv und das Sonnambulismo-Motiv.

Gelegentlich wird angemerkt, dass erst die Beschäftigung mit Shakespeare im Zuge der Komposition von Macbeth die Stiländerung bei Verdi ausgelöst hat?

Alain Altinoglu: Das würde ich so nicht ohne weiteres unterstreichen. Wahrscheinlich war einfach die Zeit reif für die stilistische Weiterentwicklung und da ist zum richtigen Zeitpunkt Shakespeare als Auslöser aufgetaucht. Es ist müßig darüber nachzudenken, aber vermutlich hätte Verdi diesen Entwicklungssprung früher oder später auch ohne die Beschäftigung mit Shakespeare vollzogen.

Macbeth

Premiere: 4. Oktober 2015

Reprisen: 7., 10., 13., 17.,

21. Oktober 2015