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© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Rätselhaft und beglückend

Die Frau ohne Schatten gehört, trotz der genialen Partitur, nicht zu den meistaufgeführten Werken von Richard Strauss: Das hat mit der Länge dieser Oper ebenso zu tun, wie mit der Schwierigkeit, die zahllosen Rollen adäquat zu besetzen. Nicht zuletzt die extrem herausfordernden fünf Hauptpartien bereiten diesbezüglich so manchem Operndirektor Kopfzerbrechen. Wie schon Adam Fischer einmal feststellte: Man sollte Werke grundsätzlich nur aufführen, wenn man die ideale Besetzung beisammen hat – im aktuellen Fall der neuen Frau ohne Schatten ist dies unbestreitbar der Fall. Während der intensiven Probenzeit legten wir Nina Stemme, Camilla Nylund, Evelyn Herlitzius und Stephen Gould denselben Fragenkatalog vor, und präsentieren nun die jeweiligen Antworten in einer Zusammenschau.

Arthur Rubinstein schrieb einmal, dass Chopin zu spielen für ihn wäre, als ob er seine größte Liebes­ erklärung abgäbe. Thielemann meinte, Strauss wäre wie ein guter, fetter Gänsebraten, den man an Feiertagen isst, aber nicht zu oft genießen soll­te. Was würden Sie mit der Musik von Richard Strauss oder dem Strauss­ Gesang assoziieren?

KS Evelyn Herlitzius:
Eine (über)-reich gedeckte Tafel; wie auf den Gemälden von Pieter Bruegel.

KS Nina Stemme:
Ich habe eigentlich keine wirklichen Assoziationen. Für mich ist Musik einfach Musik, verbunden mit dem Privileg, ein großartiges Repertoire singen zu dürfen. Gelegentlich, ein paar Mal pro Dezennium, oder, wenn es hoch kommt, pro Jahr, entstehen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne die so oft erwähnten Sternstunden: das ist dann so etwas Wunderbares wie eine Liebesgeschichte und daran hat natürlich das jeweilige Stück den wesentlichen Anteil.

KS Camilla Nylund:
Mir fällt zunächst zum Strauss-Gesang ein: Riesenbögen, für die wir Sängerinnen und Sänger quasi unversiegbaren Atem brauchen. Dann, etwas allgemeiner gefasst: Dieser im wahrsten Sinn des Wortes saubere, manchmal sogar fast kindliche-reine Klang, den es so nur bei Strauss gibt. Letztlich ist eine vollkommen eigene Stimmführung erforderlich, bei der selbst der höchste Ton noch viel Raum über sich haben muss und an tausend Glöckchen und Sonnenschein erinnern sollte. Wenn ich vom Vokalen weggehe und an die Strauss’schen Ausbrüche in der reinen Orchestermusik denke, so sehe ich vor mir hingegen das Bild eines sich öffnenden Himmels.

KS Stephen Gould:
Ich stimme mit den oben geäußerten Empfindungen überein. Für mich gibt es aber genau ein Wort, das gleichermaßen die Musik von Richard Strauss als auch den Strauss-Gesang beschreibt: Opulenz.

Man spricht immer über die Kongenialität von Strauss und Hofmannsthal. Was zeichnet nun, aus Ihrer Sicht, die Libretti von Hofmannsthal aus?

KS Evelyn Herlitzius:
Die Genauigkeit der Charakterisierung, verbunden mit dem Reichtum der Sprache.

KS Nina Stemme:
Das Besondere sind seine vielschichtigen, ausgefeilten, zum Teil ganz rätselhaften Charaktere sowie die aus diesen resultierenden zwischenmenschlichen Begegnungen, die durch die Musik von Strauss auf eine nächsthöhere Ebene gehoben bzw. bereichert werden. Zudem ist Hofmannsthals Sprache so außergewöhnlich, so voller Musikalität, so beflügelnd.

KS Camilla Nylund:
Hofmannsthal hatte ein unheimliches Gefühl für die Sprache und man findet in seinen Libretti für praktisch alle Lebenslagen ein passendes, kluges Zitat. Da es sich bei der Frau ohne Schatten um ein Märchen handelt, besitzt der Text in diesem Fall etwas bewusst Artifizielles, in die man sich als Interpret regelrecht hineingraben muss. Insgesamt handelt es sich aber um eine sehr plastische Sprache, die das Gesagte bzw. Gesungene augenblicklich greifbar macht. Zugleich ist Hofmannsthal ungemein sangbar, und es liegt auf der Hand, dass seine Dichtungen Strauss zu seinen Kompositionen inspiriert haben.

KS Stephen Gould:
Hofmannsthals Sprach-Konstruktionskunstwerke sind eine geradezu perfekte Verbeugung vor den Konstruktionskunstwerken der Strauss’schen symphonischen Musik. Ich glaube, hierin liegt das Geheimnis ihrer gegenseitigen Synergien.

Nietzsche nannte Tristan und Isolde das opus me­ taphysicum aller Kunst. Wagners Ring wird gerne als sein opus magnum bezeichnet. Wie wür­ den Sie Frau ohne Schatten sehen – was ist das Alleinstellungsmerkmal, das Außergewöhnliche dieser Oper unter allen anderen Strauss­-Opern?

KS Evelyn Herlitzius:
Die Komplexität, so- wohl inhaltlich als auch musikalisch.

KS Nina Stemme:
Es geht auch hier wieder um zwei Paare, um mehrere starke Frauen, aber da es sich um ein komplexes, vielschichtiges Märchen handelt, sind die Charaktere in der Frau ohne Schatten noch rätselhafter als sonst. Man spürt überdies, dass sich Strauss und Hofmannsthal in vielerlei Hinsicht nicht festgelegt haben, nicht festlegen wollten, was einerseits viele Deutungs-möglichkeiten zulässt, andererseits für die Interpreten aber die Gefahr birgt, sich in eine Sackgasse zu manövrieren. Wahrscheinlich ist es also sinnvoller, in und mit diesem Stück Fragen zu stellen als Antworten zu suchen. Ganz nebenbei empfinde ich Frau ohne Schatten als ein großes Präludium zum Intermezzo.

KS Camilla Nylund: Die Frau ohne Schatten ist eine in jeder Hinsicht bombastische Oper – in dieser extremen Ausprägung übertrifft sie wohl alle anderen Strauss-Opern.

KS Stephen Gould: Ich fürchte, ich habe mich noch zu wenig ins Strauss’sche Opus vertieft, um diese Frage seriös zu beantworten.

Welche Stelle oder Passage in Frau ohne Schatten berührt Sie am meisten, auf welche Stelle würden Sie die Aufmerksamkeit des Publikums ganz be­sonders lenken wollen – und warum?

KS Evelyn Herlitzius: Die Stelle der Kaiserin im 1. Akt, wenn sie sich zurückerinnert an den Verlust des Talismans „in der Trunkenheit der ersten Stunde“. Das ist von geradezu überirdischer Schönheit.

KS Nina Stemme: Sehr bemerkenswert ist zweifellos das „Dritthalb Jahr bin ich dein Weib und du hast keine Frucht gewonnen aus mir“ aus dem ersten Akt: Diese Stelle ist so spärlich orchestriert, dass die Sängerin stimmlich voll- kommen nackt im Raum steht. Das verstärkt die fast gruselige Rätselhaftigkeit dieses Satzes, des- sen Aussage nur aufs erste eindeutig ist. Ob man hier jemals den Strauss’schen und Hofmannst- hal’schen Anforderungen gerecht werden kann?

KS Camilla Nylund: Im 1. Akt die Arie und das Duett mit der Amme und noch mehr im 3. Akt die Arie mit dem Geigensolo „Vater bist du’s“. Dieser Abschnitt ist für mich eine Offenbarung, Strauss hat mit einfachsten Mitteln geniale Stimmungen geschaffen – darin war er konkurrenzlos. Für mich als Interpretin ist es beglückend festzustellen, dass man in dieser Oper ungemein emotional werden kann und unentwegt Fragen stellen darf – schließlich spiegelt die Partie der Kaiserin gewissermaßen die Entwicklung eines kompletten Lebens wider, in dem es um wesentliche Lern- und Erfahrungsprozesse geht.

KS Stephen Gould: Obwohl es viele solcher aufwühlender Momente im FroSch gibt über die man sprechen könnte, bleibt meine bevorzugte Stelle nach wie vor die „Falke, du wilder gefundener“-Arie des Kaisers: und nicht nur deshalb, weil es sich um „meine“ Musik handelt. Diese Arie ist betörend, von ihrer Eigenart her, aber auch weil man auf emotionale Weise ein Verständnis von der Wichtigkeit des menschlichen Miteinanders und der menschlichen Weiterentwicklung erhält. Wenn man noch in Betracht zieht, dass hier, hinsichtlich der Melodik, Instrumentation und Farbgebung eine der bewegendsten Strauss’schen Beispiele vorliegt, dann wird klar, wie sehr an der besagten Stelle die Gesamtheit des Stückes zum Ausdruck kommt.

Gäbe es eine Frage zu Frau ohne Schatten, die Sie Strauss gerne stellen würden?

KS Evelyn Herlitzius: Nicht an Strauss; aber an Hofmannthal hätte ich einen ganzen Sack voller Fragen...

KS Nina Stemme: Mich würde brennend interessieren, worüber die beiden in Bezug auf die Frau ohne Schatten auf ihrer gemeinsamen Romreise 1913 gesprochen haben – denn aus diesem Zeitfenster existieren nämlich verständlicher Weise keine Werkstattbriefe. Und auch ihre Anweisungen bei den Proben zur Uraufführung an der Wiener Staatsoper hätte ich gerne mitangehört.

KS Camilla Nylund: Strauss war ein absoluter Vollblutmusiker und schon deshalb würde ich gerne mit ihm eine Rolle durcharbeiten, einfach um zu wissen, welche Klangwelt, welches Tempo ihm vorgeschwebt ist. Und dann hätte ich natür- lich viele Fragen zu den verschiedenen Frauen- rollen, die ich auf der Bühne gesungen habe.

KS Stephen Gould: Meine Frage lautete: Warum muss die Tessitur immer so hoch sein?

Frau ohne Schatten wurde für dieses Orchester und für dieses Haus geschrieben: Mit welchem Gefühl betreten Sie mit diesem Werk 100 Jahre nach der Uraufführung ebendiese Bühne?

KS Evelyn Herlitzius: Mit dem Gefühl grenzenloser Freude.

KS Nina Stemme: Abgesehen von der Ehre und Freude tragen wir ein Stück Verantwortung, wenn wir dieses Werk vor dem Publikum in unserer Interpretation präsentieren. Einerseits sind wir diesbezüglich vollkommen frei, andererseits liegt die Musik dieser Oper gerade hier in Wien gewissermaßen in der Luft, sodass man nur nach ihr greifen muss.

KS Camilla Nylund: Mit großer Freude, aber auch großer Demut, schließlich habe ich hier viele bedeutende Vorgängerinnen gehabt.

KS Stephen Gould: Mit Demut und dem steten Verlangen, von der Tradition zu lernen.

Wenn Sie Ihren Gesamteindruck der Frau ohne Schatten überdenken, welches Pendant in der Kunstgeschichte, Filmgeschichte oder Literatur würde Ihnen (atmosph.risch) dazu passend einfallen?

KS Evelyn Herlitzius: Shakespeares Sommernachtstraum.

KS Nina Stemme: Im Moment weiß ich nichts, was dieser Oper wirklich gänzlich entspricht.

KS Camilla Nylund: Gustav Klimt und Hermann Hesse!

KS Stephen Gould: Ich hätte gerne Frau ohne Schatten in einer Verfilmung Akira Kurosawas erlebt. Seine Fähigkeit, den emotionalen Ausdruck der einzelnen Charaktere zu verdichten und zu fokussieren, noch dazu in einer in höchstem Maße stilisierten Umgebung, oftmals mit zusätzlicher Einbeziehung von Folklore und Märchen, hätte zu einer perfekten kinematographischen Version dieser Oper geführt.

Auf welche Weise kann man sich der Gesamtheit dieses Kunstwerkes Frau ohne Schatten auf ideale Weise (neu) annähern? Wie war Ihre erste Annäherung?

KS Evelyn Herlitzius: Sich als Erstes dem Ganzen einfach hinzugeben. Danach, wenn der Rausch nachlässt: darüber lesen, sich immer mehr hinein versenken.

KS Nina Stemme: Das ist eine schwierige Frage, schließlich bin ich selbst noch auf der Suche. Man beginnt bei der Musik, wechselt zum Text, kehrt zur Musik zurück… Wahrscheinlich ist der Erstzugang über die Musik am Sinnvollsten. Meine Empfehlung lautet: Hingehen, erleben und entdecken. Das musikalische Pendant ist wohl die Zauberflöte. In beiden Fällen sind zahllose Ebenen zu finden, von denen aber nicht eine bestimmte überbetont werden sollte, da man sonst sofort auf einer anderen Seite etwas Wesentliches verliert. Gott sei Dank darf ich singen und muss nichts erklären oder inszenieren.

KS Camilla Nylund: Ich bekam das Original-Märchen von einem Bekannten, tat mir aber, ehrlich gesagt, mit dem Lesen recht schwer. Als ich die Partie der Kaiserin dann erstmals einstudieren sollte, griff ich ausnahmsweise zu bereits bestehenden Einspielungen, um mich mit den Klängen vertraut zu machen. Im Gegensatz zum Publikum haben wir Sänger aber den Vorteil, uns in der langen Probenzeit intensiv mit dem Stück auseinanderzusetzen. Andererseits gibt es heute für alle Interessierten nahezu unendliche Möglichkeiten via Internet, CD, Spotify, um sich einzuhören- bzw. einzulesen. DVD würde ich nichtso sehr empfehlen, da man sonst visuell von Vornherein stark geprägt wird.

KS Stephen Gould: Meine erste Erfahrung mit Frau ohne Schatten war der Versuch, die Oper als surrealistisches Kindermärchen zu präsentieren respektive als Alptraum. Erkennend wie absurd jede Bestrebung sein muss, dieses Stück wörtlich oder realistisch abzubilden, glaube ich, dass es essenziell ist, eine Erzähl-Metapher zu finden, die das ganze Werk veredelt und uns hilft, die geistig /menschliche Erkenntnis zu sehen, die sich dann zum Mythos erhebt.

Das Gespräch führte Andreas Láng