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Der mit Spannung erwartete musikhistorische Moment rückt mit großen Schritten näher: Wenn sich am 8. Dezember der Vorhang in der Staatsoper hebt, wird mit der Uraufführung der Weiden die internationale Operngeschichte um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben. Hatten wir in der letzten Ausgabe des Prolog das Werk an sich und seine Entstehung skizziert, so folgt nun ein erstes Interview mit dem Komponisten Johannes Maria Staud.

Sehr geehrter Herr Staud, haben Sie beim Komponieren der Weiden den Uraufführungsort Wiener Staatsoper mit einbezogen, hinterließen die Gegebenheiten dieses Hauses, ihre Akustik, die klanglichen Besonderheiten des Orchesters, des Chores, die vorgesehenen Sänger nachweisbare Auswirkungen in der Partitur, oder empfänden Sie solche Anpassungen an ein bestimmtes Umfeld als zu große Behinderungen in der Entfaltung Ihrer musikalischen Sprache?

Johannes Maria Staud: Meine musikalische Sprache, die dem Geist der Avantgarde verpflichtet ist, kann ich natürlich ganz grundsätzlich
nicht ändern, ohne mir künstlerisch untreu zu werden. Schon darum stellte sich irgendwann auch die Frage, inwieweit mich der Apparat, die Institution eines großen Opernhauses korrumpieren oder gar verschlucken könnte. Vor einigen Jahren, im Zuge des Entstehungsprozesses meiner ersten Oper, führte ich in diesem Zusammenhang sogar lange und intensive Diskussionen mit dem Librettisten Durs Grünbein, wie denn das zu erwartende Endprodukt gattungsspezifisch einzuordnen, wie es überhaupt zu bezeichnen wäre: Musiktheater? Musik in Bildern? Letztendlich sind wir dann zum ursprünglichen Begriff „Oper“ zurückgekehrt. Avantgarde heißt ja nicht, dass ich mich einer Negationshaltung hingebe, etwa bewusst verweigere für klassisch ausgebildete Stimmen zu schreiben oder eine Mehrzweckhalle einem traditionellen Opernhaus vorziehe. Das wäre lediglich eine pubertäre Ich-ziehe-keinen-Anzug-an-Einstellung. So stoße ich mich beispielsweise auch nicht mehr an der alten Gattung „Arie“: sie ist doch ein wunderbarer Ausdruck die Zeit stehen zu lassen! Und was für die Formen und Gattungen gilt, gilt auch für bestimmte örtliche Vorgaben: Da der Orchestergraben in der Staatsoper nun einmal recht hoch liegt, kann ich dort im Schlagwerk nicht so ohne Weiteres hochwandige Instrumente platzieren, da diese dann störend ins Bühnengeschehen hineinragen. Solche der Praxis geschuldeten Details, die mich zum Finden neuer Lösungen sogar noch anspornen, haben aber weder etwas mit Einschränkungen der musikalischen Sprache noch mit Behinderungen der Kreativität zu tun. Anders gesagt: Man sollte, was einem an einem Aufführungsort geboten wird, als Ingredienzien für die künstlerische Entfaltung erkennen und nicht als hemmende Regulierung missverstehen.

Sie fühlen sich, wie Sie sagen, der Avantgarde verpflichtet, beschreiten also nicht den leichteren neotonalen, postmodernen Weg. Die Expressivität Ihrer Musik zieht das Publikum dennoch in den Bann. Sie sind, anders formuliert, erfolgreich. Ist dieser Erfolg eher Ansporn oder entsteht von Mal zu Mal ein größerer psychischer Druck, gemäß der Frage: Werde ich meiner eigenen Steilvorlage gerecht?

Johannes Maria Staud: Mit jedem Stück das ich schaffe, gleich welcher Gattung, ist für mich das Davorgewesene vergessen. Ob sich dann wieder ein Erfolg einstellt, hängt von vielen Faktoren ab, die ich ohnehin nicht beeinflussen kann. Es ist außerdem ein bekannter Gemeinplatz, dass man den Erfolg, sobald man ihm hinterherläuft, mit Sicherheit verpasst. Für mich sind, wenn ich ein neues Werk schreibe, vielmehr zwei ganz andere Aspekte – die einander durchaus bedingen – entscheidend: Ich versuche erstens die Naivität, die mich mit neun Jahren zum Komponieren gebracht hat, zu bewahren und bin ich mir zweitens meiner gesellschaftspolitischen Verantwortung, nicht zuletzt wenn ich für ein Haus wie die Wiener Staatsoper schreibe, bewusst. Wohlgemerkt:
Es geht nicht darum, dass Künstler zu allem ihren Senf dazu geben, sondern darum, dass sie sich auf ihrem jeweiligen Gebiet mit den Problemen der Zeit auseinandersetzen und diese verarbeiten – für sich und für ein Publikum.

In den Weiden werden nicht nur Sänger, sondern auch Schauspieler auftreten. Warum?

Johannes Maria Staud: Was die Oper früher unter anderem so spannend gemacht und vor allem formal bestimmt hat, war dieses Gegensatzpaar Arie-Rezitativ respektive Kunst-Inhalt beziehungsweise, denken wir an die Zauberflöte oder den Freischütz, die gesprochenen Passagen zwischen den Musiknummern. Und da mich genau dieser Übergang Sprache-Gesang immer schon interessierte, kommen in den Weiden sowohl unbegleitetes Sprechen, Sprechen mit Elektronik, Singen und Singen mit Elektronik vor – diese Abwechslung bietet ungeahnte Nuancierungsmöglichkeiten. Die von den Schauspielern gebrachten gesprochenen – zum Teil elektronisch verfremdeten – Abschnitte entsprechen somit gewissermaßen auch dem ehemaligen rezitativischen Gesang.

Sie erwähnten Durs Grünbein, der ja auch diesmal das Libretto geschaffen hat. Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen? Warteten Sie auf das fertige Textbuch bevor Sie zu komponieren begannen?

Johannes Maria Staud: Die Zusammenarbeit mit Durs läuft immer nach einem ähnlichen Muster ab: Auch bei den Weiden entstand das Libretto, nachdem wir uns auf den Stoff geeinigt hatten, gewissermaßen parallel zum kompositorischen Schöpfungsprozess: Zunächst bekam ich von Durs einen, auch von ihm als solchen verstandenen Entwurf, den ich mit diversen Anmerkungen und Veränderungsvorschlägen zurückschickte, die dann seinerseits von ihm kommentiert wurden. Das Ergebnis war eine Reihe von Fragen und Konflikte, die nach einem oftmaligen Hin und Her zu einer aktualisierten Version führten.
Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch wesentliche inhaltliche Aspekte offen, dramaturgische Fäden nicht verknüpft waren, begann ich die Komposition und teilte Durs während dieses Prozesses mit, welche Details und Änderungen ich noch benötigte. In diesem Zusammenhang muss ich anmerken, dass wir, als Kinder der Moderne, jede Figur oder Idee die einmal eingeführt ist, auch konsequent weiterentwickeln, ins größere Gesamte hineinverweben und nicht nur kurzfristig auftauchen und dann im Nichts verschwinden lassen. Jede noch so kleine Modifikation hatte folglich Konsequenzen, manchmal sogar weitreichende.

Demnach arbeiten Sie eher chronologisch?

Johannes Maria Staud: Aus praktischen Gründen musste ich diesmal eine zentrale Chorpassage vorziehen, da der Staatsopernchor mit dem Studium beginnen musste. Ansonsten komponiere ich gerne in chronologischer Reihenfolge.

Nach all dem was sie vorher sagten, war das aber ein bisschen eine Reise ins Ungewisse?

Johannes Maria Staud: Das passt doch zu der hier in der Oper beschriebenen Flussreise (lacht). Ich schreite einfach vorwärts und verlasse mich dabei auf meine Intuition und mein kompositorisches Rüstzeug – wie ein Extrembergsteiger, der in jeder Situation weiß, wie er seinen Weg zum Gipfel weiter fortzusetzen hat.

Das Gespräch führte Andreas Láng


Die Weiden | Johannes Maria Staud
Uraufführung: 8. Dezember 2018
Reprisen: 11., 14., 16., 20. Dezember 2018

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