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© David Bohmann

Musik als Lebenselixier

Dass so manche international gefragte Sängerin, so mancher international gefragte Sänger von der Wiener Staatsoper aus die große Karriere gestartet hat, ist allgemein bekannt. Aber auch unter den Dirigenten gibt es einige, die hier musikalische Wurzeln schlagen durften – so zum Beispiel der aus Spanien stammende Guillermo García Calvo. Im Haus am Ring zunächst als Solorepetitor tätig, konnte er sich zusätzlich immer häufiger auch am Dirigentenpult beweisen: beginnend bei der Kinderoper, über Ballettvorstellungen und schließlich Opernaufführungen erreichte sein hiesiges Wirken mit einer von ihm geleiteten Macbeth-Premiere einen ersten Höhepunkt. Aber auch außerhalb von Österreich reihte sich an zahlreichen internationalen Opern- und Konzerthäusern ein wichtiges Angebot an das nächste – mittlerweile ist er seit 2017 Generalmusikdirektor in Chemnitz und designierter Musikdirektor des Madrider Teatro de la Zarzuela. Anlässlich seiner nun anstehenden Bar­ bier-Dirigate an der Wiener Staatsoper (vor wenigen Wochen brachte er hier die Kinderoper Persinette im Großen Haus zur Uraufführung) gab er Andreas Láng das nachfolgende Interview.

Von Deinen bisher über 200 Dirigaten an der Wie­ner Staatsoper entfallen gleich ein Dutzend auf Rossinis Barbier. Wenn man Dir bei diesem Werk zuschaut, wirkt alles mühelos, es heißt aber, dass gerade dieses Stück schwer zu dirigieren wäre ...
Guillermo García Calvo: Das mit dem „schwer“ kann ich heute sofort unterschreiben. Früher hatte ich das gar nicht so wirklich realisiert – schon gar nicht, als ich an der Volksoper mit dem Barbier mein Debüt als professioneller Dirigent geben durfte. Aber in Wahrheit ist dieses Stück eine ungemein fragile Kostbarkeit, bei der alles ineinandergreift und beim kleinsten Stolperer Schaden nimmt. Man kann nicht einen einzigen Takt lang die Zügel lockern, die fokussierte Intensität verringern, da sofort die Präzision des Rhythmus aufgeweicht wird, die Sänger zu schleppen beginnen, der energetische Schwung verdunstet, die Balance außer Takt gerät.

Eine gute Schule also?
Guillermo García Calvo: Man könnte auch sagen: Ein Besuch im Fitnesscenter. Der Dirigent ist zur extremen Verständlichkeit und Präzision gezwungen, die ihm dann natürlich bei anderen Opern zugutekommt. Rein schlagtechnisch ist zum Beispiel ein Wagner ungemein einfacher.

Wie übt man Dirigieren, wie feilt man an seiner Schlagtechnik? Vor dem Spiegel?
Guillermo García Calvo: Sehr viel lerne ich von Kolleginnen und Kollegen, vor allem bei Proben – da merkt man schnell, was gut funktioniert und was zwar gut gemeint ist, aber nicht wirklich greift. Und ich studiere Videos von meinen eigenen Proben oder Aufführungen: Das ist zwar sehr unangenehm – wer sieht sich schon gerne auf Aufnahmen – aber äußerst lehrreich. Ich erkenne dann sofort: Diese Bewegung war zu groß, hier habe ich mich überhaupt zu viel bewegt, das ist zu undeutlich gewesen – ein Prozess ohne Ende! Ganz grundsätzlich gilt meist der berühmte Gemeinplatz: „Weniger ist mehr.“ Das ist sehr schön an Größen wie Christian Thielemann zu erkennen, der nebenbei bemerkt, vieles durch Blickkontakte regelt und erreicht. Auch bei Nikolaus Harnoncourt erfolgte ein wesentlicher Teil des Dirigierens über die Augen ...

Als Instrumentalist hat man regelmäßig weiter zu üben, um fit zu bleiben ... das gilt für einen Diri­ genten weniger ...
Guillermo García Calvo: Nein, aber ich beschäftige mich unentwegt mit Musik. Sie inspiriert mich – wie übrigens auch gute Literatur –, gibt mir Kraft und wenn es mir einmal schlechter geht, reicht es, eine Stunde am Klavier zu sitzen und eine Partitur zu studieren, um mich besser und frischer zu fühlen. Es ist, als ob ich meditieren würde – Musik hat geradezu eine therapeutische Wirkung auf mich.

Aber es muss doch auch Pausen geben?
Guillermo García Calvo: Die verbringe ich mit meiner Familie, meiner Frau und den beiden kleinen Kindern.

Eine Gretchenfrage: Ist das Auswendigdirigieren von Vorteil?
Guillermo García Calvo: Früher habe ich viel auswendig dirigiert – auch hier an der Staatsoper, auch den Barbier – bin aber nach und nach draufgekommen, dass das ohne erkennbaren Nutzen nur unnötigen Druck erzeugt. Vor allem im Opernbereich sehe ich eigentlich nur Nachteile: Sollte etwas unerwartet aus dem Ruder laufen – und das kann immer passieren –, ist man ohne Partitur aufgeschmissen. Außerdem fühle ich mich durch das Mitlesen direkter mit dem kreativen Prozess während der Aufführung verbunden, entdecke immer wieder neue Details. Schon deshalb schreibe ich mir auch nichts in die Noten, um nicht jedes Mal auf die Eintragungen fixiert zu sein und den Blick für den Rest zu verlieren. Im Übrigen: Was heißt schon auswendig? Kein einziger Dirigent hat wirklich das gesamte Notenbild im Kopf, das ist, außer für Leute mit einem fotografischen Gedächtnis – unmöglich, eine Illusion.

Es heißt, dass ein Dirigent sich mit Werken leichter tut, die er selbst einmal korrepetiert hat. Besteht aber in solchen Fällen nicht die Gefahr, sich un­ bewusst von jenen Dirigenten, unter denen man die Proben gespielt hat, in der Interpretation be­ einflussen zu lassen?
Guillermo García Calvo: Es ist tatsächlich von großem Vorteil, ein Werk via Korrepetition kennen zu lernen – diesbezüglich war ich, allein was die Anzahl der Opern betrifft, an der Wiener Staatsoper sehr privilegiert. Und wenn ich ein solches Stück für ein Dirigat wieder einstudiere, wie jetzt Lohengrin, den wir in Chemnitz neu herausbringen, unternehme ich regelrecht eine Zeitreise: Plötzlich werden unzählige Details aus der Probenarbeit mit Semyon Bychkov von 2005, die ich längst vergessen hatte, wieder lebendig. Nichtsdestotrotz oder vielleicht sogar gerade deshalb sehe ich keine unbewusste Gefahr einer Beeinflussung meiner eigenen Interpretation.

Letzte Frage: Wie kann ein Dirigent, wenn er wäh­rend der Vorstellung unentwegt zu 200% konzen­triert, fokussiert ist, auf jedes Detail achten muss, überhaupt Freude an der Aufführung haben?
Guillermo García Calvo: Dirigieren hat viel mit Ruhe und Motivation zu tun und wenn er gut vorbereitet ist, dann funktioniert das schon, dann kann eine Vorstellung wirklich ein Genuss werden. Schwer, herausfordernd, zu 200% konzentriert heißt ja nicht, dass es keine Freude bereitet ... wie gesagt, für mich ist Musik ein Lebenselixier.


Il barbiere di Siviglia | Gioachino Rossini
7., 10. Jänner 2020
KARTEN & MEHR 

Nabucco | Giuseppe verdi 
14., 17. Juni 2020
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