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Freue mich wie ein Kind auf die Vorstellungen!

Bereits mit 21, andere Kollegen sind in diesem Alter noch als Korrepetitoren unterwegs, gab Cornelius Meister an der Hamburgischen Staatsoper sein Dirigier-Debüt, dem bald Engagements an zahlreichen anderen großen Bühnen folgten. An der Wiener Staatsoper konnte man den heute 35jährigen Chefdirigenten und Künstlerischer Leiter des ORF Radio-Symphonieorchesters erstmals im Dezember 2012 mit einer erfolgreichen ZAUBERFLÖTE erleben, kurz darauf als Einspringer mit Wagners WALKÜRE und zuletzt mit einer DON GIOVANNI-Serie. Ab Jänner ist er nun in kurzer Folge mit gleich vier unterschiedlichen Opern im Haus am Ring zu hören.

Sehr geehrter Maestro, Sie haben an der Wiener Staatsoper mit der "Zauberflöte" debütiert – können Sie sich noch an ein Detail, an einen besonderen Moment dieses ersten Abends erinnern?

Cornelius Meister: Ich glaube sogar, dass ich mich fast an jede einzelne Minute dieser Vorstellung erinnere! Wenn man die Möglichkeit hat erstmals an diesem Haus, gemeinsam mit diesem Orchester zu musizieren, dann prägt sich jeder Moment, vielleicht für immer, ein. Zumal ich keine Orchesterprobe hatte und die Aufführung quasi das erste Zusammentreffen mit den Musikern war – ohne ein „Grüß Gott“, geschweige denn irgendwelche musikalischen Absprachen, haben wir von Anfang an musiziert. Und das drei Stunden lang! So ein schönes und intensives Erlebnis ist einfach unvergesslich.

Wenn man ein Werk dirigiert, das vom jeweiligen Orchester regelmäßig und oft gespielt wird – wieviel an Eigenem kann man, sofern es sich um eine Repertoirevorstellung handelt, durchbringen, sozusagen gegen die lokale Interpretationstradition?

Cornelius Meister: Es gab auch in der Geschichte der Wiener Staatsoper Werke, die sehr stark mit einer einzigen Dirigentenpersönlichkeit verbunden waren, sodass die jeweilige Interpretation zum Standard geworden war. Das ist bei den Stücken über die wir jetzt sprechen nicht der Fall, zumindest nicht in den letzten 20 Jahren. Und gerade deshalb spüre ich bei allen Mitwirkenden, besonders auch im Staatsopernorchester durchaus eine Neugier: „Wie mag die Haltung dieses Dirigenten zum Stück wohl sein“, werden sich sinngemäß viele der Musiker fragen. Und dann geht das gemeinsame Musizieren los. Aber was heißt „gemeinsames Musizieren“? Dass die unterschiedlichsten Einflüsse, Kulturen und vielleicht auch stilistischen Schulen in einem Geben und Nehmen miteinander verschmelzen und man eine gemeinsame Richtung findet in die die „Reise“ gehen soll. Diese Flexibilität und Offenheit kann aber selbstverständlich nur entstehen, wenn alle Beteiligten die Oper in- und auswendig kennen – diese intime Vertrautheit mit dem Werk ist hier so hoch, wie ich sie nur an wenigen anderen Orten erlebt habe.

Ich habe vor kurzem mit einem Sänger gesprochen, der festgestellt hat, dass er eigentlich nur auftritt, weil das Gefühl nach der gelungenen Vorstellung so wunderbar ist. Bei Ihnen scheint es offenbar anders zu sein?

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Cornelius Meister: Ganz anders! Ich freue mich nicht auf das Danach, sondern, schon Wochen vorher, wie ein kleines Kind, auf die Vorstellungen selbst und ich weiß, dass ich nach der Aufführung bereits mit Sehnsucht an die nächsten Abende denken werde. Ich habe schon früh eigene Klavierabende gegeben und Liederabende begleitet, mir ist die Auftrittssituation also von Kindesbeinen an vertraut und daher vielleicht weniger angstbehaftet als für jene, die erst recht spät gelernt haben vor das Publikum zu treten. Dazu kommt noch etwas: Ich stamme aus Hannover und hatte das Privileg, schon als Jugendlicher Proben und Vorstellungen im Orchestergraben der dortigen Staatsoper mitzuerleben. Eine Zeit lang habe ich jeden Tag dort verbracht und dadurch habe ich nicht nur Sternstunden, sondern auch den Alltag erlebt und viel erfahren, was mir heute hilft. Kurzum: Ich genieße die Aufführungen! Ich weiß, dass ich nach jedem Abend etwas Neues gelernt habe. Auch ein Privileg: Im Gegensatz zum Leistungssportler, der am Ende seiner Laufbahn nicht mehr unbedingt auf der Höhe seines Könnens steht, existiert für einen Dirigenten durchaus die Möglichkeit bis ins hohe Alter stetig besser zu werden – vorausgesetzt er arbeitet kontinuierlich an sich weiter.

Alfred Brendel hat einmal festgestellt, dass man sich als Pianist nicht zu früh an Beethovens Hammerklaviersonate wagen sollte – vor dem 30. Lebensjahr hätte man die Finger von ihr zu lassen. Gibt es auch für einen Dirigenten Stücke, bei denen man sagt, die spare ich mir für später auf?

Cornelius Meister: Ich würde da zweierlei unterscheiden. Die eine Frage lautet: Wann möchte ich ein bestimmtes Werk dem Publikum – besser noch: welchem Publikum präsentieren? Und die andere Frage lautet: Wann fange ich an, mich selber mit dem Werk zu beschäftigen? Ich bin davon überzeugt, dass ein Musiker nicht früh genug damit beginnen kann sich mit intellektuell, formal und geistig schweren Werken auseinanderzusetzen – das heißt aber nicht, dass er sie sofort öffentlich aufführen sollte. Ich habe beispielsweise 1996, als 16jähriger, zum 100. Todestag Anton Bruckners sämtliche seiner Symphonien mit meinem Vater am Klavier vierhändig gespielt – zu Hause, ganz ohne Publikum, so wie wir davor schon die Symphonien Beethovens und Gustav Mahlers gespielt hatten. Nichtsdestotrotz habe ich bewusst gewartet bis ich 30 Jahre alt geworden war, ehe ich mich öffentlich als Dirigent an eine Brucknersymphonie gewagt habe.

Inwieweit kann eine Inszenierung das Dirigat beeinflussen?

Cornelius Meister: Mitunter sehr deutlich! Dazu vielleicht eine kleine wahre Geschichte: Ich habe bisher zwei Produktionen der Entführung aus dem Serail dirigiert: Zunächst in Stuttgart, in der berühmten Inszenierung von Hans Neuenfels, somit in einer Regie mit einer starken Aussage, und kurze Zeit später, an der Oper in San Francisco, in einer ganz anderen Inszenierung. Bei den Proben in San Francisco habe ich nach und nach gespürt, dass meine Tempi, die in Stuttgart gepasst hatten, nicht mehr angemessen schienen. Mir wurde klar, wie sehr das objektive Tempo der Musik beeinflusst wird von dem, was auf der Bühne geschieht: von der Spannung, die zwischen den Charakteren, auch durch eine Inszenierung, aufgebaut wird. Dadurch kann das gleiche Tempo in einem Fall als angemessen und im anderen Fall als zu langsam oder zu schnell empfunden werden. Wenn ich eine Wiederaufnahme dirigiere, bemühe ich mich schon vorher um ein Video dieser Inszenierung, damit ich die emotionale Stimmung und Intention der Regie verstehe und als Dirigent bestmöglicher Partner eines musiktheatralischen Abends sein kann.

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Bei Werken die quasi durchkomponiert sind ist es klar, dass man in puncto Tempo und Agogik auf die innere Architektur des Stückes achten muss. Ist dies bei der Zauberflöte oder bei Nozze di Figaro ähnlich? Immerhin wird hier der musikalische Fluss regelmäßig von gesprochenen Dialogen bzw. Rezitativen unterbrochen. Kann man also jede neue Arie oder Ensemblestelle für sich betrachten?

Cornelius Meister: Nein, ganz und gar nicht. Schon Nikolaus Harnoncourt hat auf die Wichtigkeit der Tempoarchitektur bei den Mozart’schen Werken hingewiesen und ich glaube ebenfalls, dass Mozart die Tempo- und Tonartenrelationen genauestens kalkuliert hat. Nehmen wir nur das große Finale des zweiten Aktes in Le nozze di Figaro her: die Tonarten wandern, je nachdem wer gerade die Nase vorn hat, im Quintenzirkel nach oben oder nach unten. Es ist kein Zufall, dass Mozart den größten Sprung – drei Quinten nach oben von B-Dur nach G-Dur – beim unerwarteten und ungelegenen Auftritt des Figaro „Signori di fuori son già i suonatori“ komponiert. Und wenn er für die Hallenarie des Sarastro in der Zauberflöte die für einen schweren Bass ungewöhnlich lichte Tonart E-Dur wählt, dann verbindet er damit sicherlich eine bestimmte Aussage.

Manche Sänger meinen, dass sie sich bei Wagner-Opern leichter täten über das Orchester drüberzukommen als bei Strauss-Opern. Wie sieht das ein Dirigent? War Wagner in der Sänger-

Orchester-Balance praxisorientierter als Strauss?

Cornelius Meister: Nein, das würde ich so nicht sagen. Wenn man sehr genau liest wie Strauss instrumentiert und welche Dynamiken er vorschreibt, dann merkt man wie pfiffig er umgegangen ist mit dieser Balance. Gerade Arabella ist diesbezüglich ein sehr gutes Beispiel: Strauss hat exakt eingeschätzt wann im Orchester, welche Instrumentengruppe wie laut spielen darf, damit man das Gesungene stets transparent mitbekommt. Wenn also der Orchesterklang zu dick wird, ist nicht der Komponist schuld! Die Liebe zum Gesang und zum gesungenen Wort einerseits sowie das Wissen um die Instrumentation und die richtige Klangbalance andererseits ist aus meiner Sicht übrigens das A und O für einen Operndirigenten, nicht umsonst spiele ich die Partituren von Arabella und Ariadne – obwohl ich die Werke oft dirigiert habe – gerade wieder täglich am Klavier: Ich entdecke immer wieder neue Schönheiten.

Sind die Werke, die Sie am liebsten hören auch die Werke, die Sie am liebsten dirigieren, oder gibt es diesbezüglich Abweichungen?

Cornelius Meister: (lacht) Da muss ich ganz ehrlich antworten: Kaum höre ich ein Werk, denke ich mir meistens: „Das würde ich jetzt sofort gern dirigieren.“

Das Interview führte Andreas Láng