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„EISERNER VORHANG“ 2018/2019 Pierre Alechinsky

Eiserner Vorhang ist ein Projekt des museum in progress in Kooperation mit der Wiener Staatsoper und der Bundestheater-Holding, 2018 unterstützt vom Königreich Belgien, der Wallonie-Bruxelles International (WBI) und Belcolade (Puratos Austria GmbH). 

Für den einundzwanzigsten Eisernen Vorhang wählte die Jury (Daniel Birnbaum und Hans-Ulrich Obrist) den international renommierten belgischen Künstler Pierre Alechinsky aus. Eiserner Vorhang ist eine von museum in progress (www.mip.at) konzipierte und in Kooperation mit der Wiener Staatsoper realisierte Ausstellungsreihe, die seit 1998 den eisernen Vorhang in einen Ausstellungsraum zeitgenössischer Kunst verwandelt. Die Großbilder (176 m2) werden mit Magneten auf der Brandschutzwand fixiert. Sie sind jeweils für eine Spielzeit in der Wiener Staatsoper präsent und können vom Opernpublikum vor und nach der Aufführung sowie in der Pause wahrgenommen werden. 

Im Rahmen der Pressekonferenz werden auch sieben limitierte und signierte Lithographien aus verschiedenen Schaffensperioden des Künstlers vorgestellt (siehe: www.mip.at/shop/pierre-alechinsky-lithographien): Durch den Erwerb dieser Drucke leisten Kunst- und Opernfreunde einen wichtigen Beitrag zur Fortsetzung der Ausstellungsreihe in der Wiener Staatsoper. Diese Werke, die vielschichtige Bezüge zum „Eisernen Vorhang“ aufweisen, sind vor Ort ausgestellt und können im Rahmen eines Vorstellungsbesuchs besichtigt werden. Zusätzlich werden die Lithographien auch in den Auslagen der Privat Bank Wien in der Operngasse 2 gezeigt. 

Seit 1998 wurden im Rahmen der Ausstellungsserie die Eisernen Vorhänge folgender Künstlerinnen und Künstler verwirklicht: Kara Walker (1998/1999), Christine und Irene Hohenbüchler (1999/2000), Matthew Barney (2000/2001), Richard Hamilton (2001/2002), Giulio Paolini (2002/2003), Thomas Bayrle (2003/2004), Tacita Dean (2004/2005), Maria Lassnig (2005/2006), Rirkrit Tiravanija (2006/2007), Jeff Koons (2007/2008), Rosemarie Trockel (2008/2009), Franz West (2009/2010), Cy Twombly (2010/2011), Cerith Wyn Evans (2011/2012), David Hockney (2012/2013), Oswald Oberhuber (2013/2014), Joan Jonas (2014/2015), Dominique Gonzalez-Foerster (2015/2016), Tauba Auerbach (2016/2017) und John Baldessari (2017/2018). 


Ein Moment der Verlangsamung 

Pierre Alechinsky im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist 

Pierre Alechinsky: Als ich das Bild gemacht habe – ich wage kaum, es den Wienern zu sagen – war es für mich eine Erinnerung an den Atlantikwall. Das Meer bedeutete, denjenigen zu erwarten, der vom Meer kommt. 

Hans-Ulrich Obrist: Das ist faszinierend, eine mögliche Lesart. 

PA: Für mich gibt es keine andere. 

HUO: Wir haben hier also den Altlantikwall und … 

PA: … den Horizont, das Meer. 

HUO: In Österreich gibt es wie in der Schweiz freilich kein Meer, da verstellen die Berge die Sicht auf das Meer. 

PA: Die Welle im Bild zeigt eine natürliche Bewegung. Abgesehen von einer Stelle kann man sich darin einen Kopf vorstellen, einen Mund, zwei Augen – in einem Sekundenbruchteil. 

HUO: Ein Gesicht. 

PA: Ja, ein verborgenes Gesicht. Aber ich verlange von den Betrachtern nicht, dass sie es entschlüsseln, es gibt viele Menschen, die das Gesicht nicht sehen. 

HUO: Sie werden jedoch lange davor sitzen bleiben: Hunderttausende Personen werden im Verlauf eines Jahres eine halbe Stunde davor sitzen, sie werden die Dinge daher zwangsläufig sehen. Sie werden mehr Zeit davor verbringen als vor einem Bild in einem Museum. 

PA: Hier sind sie zum Betrachten verurteilt. 

HUO: Sie werden vieles sehen, sie können eine Mauer sehen, ein Gesicht und es gibt die Welle. Dies alles bewegt sich um Ecken, hat Höhen und Tiefen, Intervalle, Pausen und Stille. Und dann gibt es noch eine interessante Umrandung. 

PA: Die Umrandung mit dieser Strichelung, der Spur des Pinsels, beruht auf strategischen Überlegungen und soll die Zeit der Betrachtung verlangsamen. Dadurch, dass die wesentlichen Striche des Bildes isoliert werden, kann man die unterschiedlichen Geschwindigkeiten erkennen. Man sieht gut, dass manche Pinselstriche sehr schnell entstanden sind, und andere zweifelsohne mehr Überlegung verlangten. Aber das ist nur erkennbar, wenn es einen Moment der Verlangsamung gibt. Ich verwende diese Methode nahezu systematisch. 

HUO: Die Strichelung ist also ein Moment des Verlangsamens. 

PA: Ja, um die Lesbarkeit der wesentlichen Linien zu ermöglichen. 

HUO: Manchmal sind es Striche, manchmal Kreuze. 

PA: Das entsteht durch das Heben des Pinsels. Ich habe diese Form in einer Zeichnung von Hans Arp wiedergefunden. Arp hat seinen Pinsel angehoben, wie man es im Fernen Osten lernt, wo jeder unterschiedliche Pinselstrich eine eigene Bezeichnung hat. 

HUO: Ich mag die Idee der Absenz der Farben. 

PA: Man muss sagen, dass die vorherrschende Farbe in der Oper nicht sehr verführerisch ist. 

HUO: Es ist sehr barock. 

PA: Das Orchester ist das eigentliche Werk hier. Etwas davon entfernt gibt es allerdings eine Fülle von Farben: Ich habe mir gesagt, dass die Farben die elegant gekleideten Damen sind. Gleich wird das Publikum in das Schwarz eingetaucht, und die Farben werden die Bühne und die Kulisse sein. 

HUO: Manchmal sind es Striche, manchmal Kreuze. 

PA: Das entsteht durch das Heben des Pinsels. Ich habe diese Form in einer Zeichnung von Hans Arp wiedergefunden. Arp hat seinen Pinsel angehoben, wie man es im Fernen Osten lernt, wo jeder unterschiedliche Pinselstrich eine eigene Bezeichnung hat. 

HUO: Ich mag die Idee der Absenz der Farben. 

PA: Man muss sagen, dass die vorherrschende Farbe in der Oper nicht sehr verführerisch ist. 

HUO: Es ist sehr barock. 

PA: Das Orchester ist das eigentliche Werk hier. Etwas davon entfernt gibt es allerdings eine Fülle von Farben: Ich habe mir gesagt, dass die Farben die elegant gekleideten Damen sind. Gleich wird das Publikum in das Schwarz eingetaucht, und die Farben werden die Bühne und die Kulisse sein. 


Loin d’ici – Weit weg von hier 
Jean Frémon 

Der eiserne Vorhang im Theater ist eine bemalte vertikale Fläche, die das dahinter stattfindende Treiben vor den Blicken verbirgt. Er bietet dem Publikum ein unbewegtes Spektakel, bis das eigentliche Spektakel, weswegen das Publikum gekommen ist, beginnt. Der Bühnenvorhang hat zwei Funktionen: Er zeigt und er verbirgt. Und er hat auch noch eine dritte: Er vertröstet. Er lädt auf eine Reise ein. Er bringt Ruhe in das Treiben der Zuschauerinnen und Zuschauer, die im hell erleuchteten Theatersaal Platz nehmen, dabei nach Bekannten Ausschau halten und diese von weitem begrüßen. 

Der Vorhang von Pierre Alechinsky setzt einen Kontrapunkt. Nüchtern und schwarz-weiß, bildet er einen Kontrast zum Prunk und den Lichtern des Saals mit dem elegant eingekleideten Publikum und den Liebenswürdigkeiten, die aus der Entfernung ausgetauscht werden. Er bildet einen Horizont, einen leeren Horizont, der nicht mit der gerade dahinter in Vorbereitung befindlichen Handlung in Konkurrenz tritt. Einen Meereshorizont, in den von rechts nach links, von Osten (von der „Hofseite“)* nach Westen (zur „Gartenseite“)* aufziehende Sturmwolken hineinragen. Dieser von der malenden Hand erzeugten Bewe-gung antwortet ausgleichend, von links nach rechts, die gegenläufige Geste einer großen Welle im unteren Bereich des Vorhangs. Eine Welle, die sich erhebt, ihren höchsten Punkt erreicht und uns dann mit sich fortträgt in ihr Tal. Dieses ausgeprägte Gespür für seitliche Bewegungsverläufe ist eines der Markenzeichen Pierre Alechinskys, der von Natur aus Linkshänder ist. Man hat ihn im Schulalter, als er das Schreiben erlernte, zwar umgepolt, doch hat er sich in seinem Schaffen als Maler deutliche Spuren davon bewahrt: Gezwungenermaßen schreibt er mit der rechten Hand von links nach rechts. Es ist sehr wohl zu spüren, dass sie, wäre sie frei, die andere Richtung wählen würde. Beim Malen aber nimmt er die Linke, ohne soziale und physische Einschränkungen. Die schreibende Hand hat es schwer. Es ist die malende Hand, die träumt, tanzt, sich dreht und wendet und eine Sprache erfindet. 

Loin d’ici lautet der Titel. Es ist die Einladung zu einer Reise. Der Meereshorizont ist ein wiederkehrendes Thema im Schaffen Pierre Alechinskys, vor allem seit seinem mit La Mer noire [Das Schwarze Meer] betitelten großformatigen Bild, das 1988 in Erinnerung an seinen aus Odessa stammenden Vater entstanden ist. Der Künstler hat das Thema für seine Illustrationen des Gedichts Le Volturno von Blaise Cendrars wieder aufgenommen. Die Volturno war ein kanadischer Ozeandampfer, der zwischen Rotterdam und New York verkehrte. Im Jahr 1913 versank er nach einem Brand im Meer. Für dieses Buch zeichnete Alechinsky Meereshorizonte mit der fernen Silhouette eines Schiffs, von dem Rauch aufsteigt. Wie in der berühmten Arie der Madame Butterfly: 

Un bel di, vedremo 
Levarsi un fil di fumo sull’estremo 
Confin del mare 
E poi la nave appare… 

Eines schönen Tages werden wir, 
Einen Rauchfaden an der fernen Grenze 
Des Meeres aufsteigen sehen, 
Und dann erscheint das Schiff… 

Diesen Lockruf des Meeres, diesen Sturm hat Pierre Alechinsky gewählt, um damit die Oper zu evozieren. Still und leise wie Rauch haben sich die hohen Wogen der Streicher und das Rauschen der Blechbläser schon eingefunden, bald wird sich eine glasklare Stimme erheben. Die wendige Linie Alechinskys ist zu einem guten Teil seiner Vertrautheit mit der fernöstlichen Kalligrafie geschuldet. Bereits 1955 brach er an Bord eines Frachters nach Yokohama auf, in Tokio und Kyoto realisierte er einen Film über die japanische Kalligrafie. Seit Langem sind seine Arbeitswerkzeuge der japanische Schreibpinsel und große Blätter Reispapier aus China. 

In der schwarzen Landmasse, die sich vom Meer abhebt, ist ein rätselhafter Einschnitt zu erkennen, umgeben von flimmernden kleinen, mit der Spitze gesetzten Pinseltupfern. Wir wissen darüber nicht mehr, als dass es sich um ein Zeichen oder ein Merkmal handeln könnte, dessen Bedeutung möglicherweise die Psychoanalyse in der Lage wäre zu entschlüsseln. Wäre dafür nicht die Heimatstadt Sigmund Freuds der ideale Ort? 

* „Côté cour“ und „côté jardin“ sind im Französischen verwendete Begriffe für die Bühnenseiten. 


Pierre Alechinsky 

Pierre Alechinsky wurde 1927 in Brüssel geboren. Der Künstler lebt und arbeitet seit 1951 in Frankreich. Sein Werk umfasst Aspekte von abstraktem Expressionismus, Tachismus und lyrischer Abstraktion. Alechinsky ist eine zentrale Persönlichkeit der legendären Künstlergruppe CoBrA, die 1948 in Paris gegründet wurde. 

Große Einzelausstellungen fanden unter anderem im Stedelijk Museum in Amsterdam, an der Biennale in Venedig, an der Documenta in Kassel, im Museum of Modern Art und im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, im Centre Georges Pompidou in Paris und im National Museum of Art in Osaka statt. 2018 wurde Pierre Alechinsky mit dem „Praemium Imperiale“ der Japan Art Association ausgezeichnet.