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© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Eine Oper als Interpretation der Wirklichkeit

Mit der Uraufführung der Weiden wird an der Wiener Staatsoper nicht nur die Musikgeschichte um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben, sie bringt auch das Debüt der aus Dresden stammenden, mehrfach prämierten Schauspiel- und Opernregisseurin Andrea Moses. Nach zahlreichen Erfolgen und Stationen in Deutschland, wird sie im Haus am Ring nun erstmals mit einer Inszenierung in Wien zu erleben sein. Nach einer Stellprobe des ersten Bildes auf der Probebühne im Arsenal traf Sie sich mit Andreas Láng für ein Gespräch.

Sie sind in den Entstehungsprozess der Weiden involviert gewesen – ab welchem Zeitpunkt waren Sie mit im Boot? In welchem Ausmaß ist Ihre Mitwirkung am Ergebnis abzulesen, gibt es greifbare Punkte, von denen Sie sagen können: die sind von mir?
Andrea Moses: Als ich im Jänner 2016 von Johannes Maria Staud angerufen wurde, gab es erst ein Exposé mit einer Skizze des Reiseverlaufs der weiblichen Protagonistin Lea. Es lag mit anderen Worten eine Absichtserklärung vor, die in vielen Details anders aussah als das heutige Ergebnis – so hätte beispielsweise Lea bereits in der Hälfte des Stückes sterben sollen. Dass es sich um eine sehr herausfordernde, gewagte Aufgabe handelte, der sich der Komponist und der Librettist mit diesem Projekt gestellt hatten, liegt auf der Hand. Eine Flussreise mit einem Kanu ist das zentrale szenische Handlungskontinuum, dieses Realgeschehen wird von den Visionen, Schreckgesichten der Reisenden durchschossen. Eine Naturkatastrophe verknüpft sich mit einer Gesellschaftskatastrophe und spült zugleich Zeugen der verhängnisvollen Vergangenheit herauf. Das sind alles szenische Geschehnisse, die im Gegensatz zum Film auf einer Theaterbühne nur sehr schwer überzeugend zu realisieren sind. Wenn Sie nach „greifbaren Punkten“ meiner Mitarbeit fragen, so finden Sie diese vielleicht in der einen oder anderen Regieanweisung, aber die Mitarbeit ist insgesamt grundlegenderer Natur gewesen: Der Lyriker Durs Grünbein hat mit scharfem, analytischem Blick sehr vieles in wenigen Worten zusammengefasst, sodass lyrisch verständlich, dramatisch szenisch oftmals viel Material in kurzer Zeit verhandelt wird, sich die Charaktere in einigen wenigen Minuten exponieren müssen und verständlich für den Zuschauer werden. Dazu kommt eine stilistische Grundentscheidung der Oper, das gelegentliche Abheben von der unmittelbar praktischen Realität in das Surreale, in das Parabolische. Diese beiden Eigentümlichkeiten auszutarieren und ins szenisch Verständliche und Überzeugende zu rücken, sozusagen auf der Bühne „anzusiedeln“, an diesen Punkten setzte meine Mitarbeit ein.

Aber Ihr Bühnenbildner war nicht direkt am Diskurs mit Staud und Grünbein beteiligt, oder?
Andrea Moses: Nein, aber wir haben, während Johannes Maria Staud mit der Komposition begann, angefangen, Ideen für die visuelle Umsetzung zu entwickeln. Jan Pappelbaum fand, wie ich meine, mit den beiden zentralen Drehscheiben, eine tolle Bühnenlösung. Sie ermöglicht uns, den Fluss zu imaginieren, auch in seinen verschiedenen poetischen Erscheinungen und dramaturgischen Funktionen; sie hilft, die einzelnen Stationen der Reise zu konkretisieren und die oben beschriebenen Klippen des Werks zu „umschiffen“.

Inwieweit floss die Atmosphäre eines großen Stromes in das Inszenierungskonzept ein?
Andrea Moses: Nun können die titelgebenden Weiden an irgendeinem Gewässer in Europa stehen, die Geschichte dieser Oper spielt aber eindeutig an der Donau. Die jüngere Geschichte des Ortes Hainburg an der Donau, der Todesmarsch der gefangenen Juden Karfreitag 1945, neben all den poetisch-fiktionalen Quellen, haben Staud und Grünbein zu dieser Oper inspiriert. Das werden wir deutlich betonen, wir haben gespenstische Atmosphären der Flusslandschaften bei Hainburg eingefangen, um die schrecklichen historischen Vorgänge in unserer Inszenierung zumindest anklingen zu lassen.

Wie sieht es mit der Architektur des Stückes aus? Zielt alles auf den Sturm am Ende der Oper hin oder gibt es Einzelhöhepunkt in jeder Szene?
Andrea Moses: Jede Szene besitzt einen eigenen Höhepunkt und doch bewegt sich alles auf einen abschließend-lösenden Höhepunkt zu. Den sehe ich aber nicht im Naturgeschehen, sondern in dem Moment, in dem Lea bei ihren Ahnen ankommt. Lea steht immer in einem Spannungsverhältnis zu den Anderen: Sie ist die Fremde, die von außen kommt, sie wundert sich, denkt laut, bleibt außerhalb. Durch die Konfrontation mit den Seelen der 1945 Ermordeten, fühlt sie sich mit einem Mal zu einer ganz bestimmten Gruppe zugehörig.

Glauben Sie, dass die Weiden so manchen im Publikum politisch aufrütteln wird?
Andrea Moses: Die Figurenkonstellation in den Weiden ist so angelegt, dass der Idealist, der Revolutionär, der für eine bessere und gerechtere Welt eintritt, nicht existiert. Ich hoffe, dass das Publikum genau dieses Fehlen des utopischen Moments wahrnimmt, vielleicht sogar als Aufruf versteht, selbst aktiv zu werden, um diese offensichtliche Lücke in unserer Gesellschaft – und die Weiden sind ja ein Abbild unserer Gesellschaft – aufzufüllen.Wie gesagt, das ist eine Hoffnung. Aber selbst wenn sich der eine oder andere lediglich aufregt und auf Distanz geht und nach der Vorstellung streitet, ist zumindest etwas bewegt worden.


Die Weiden | Johannes Maria Staud - Durs Grünbein
Uraufführung: 8. Dezember 2018
Reprisen: 11., 14., 16., 20. Dezember 2018

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