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Die Proben haben begonnen

Mit dem Konzeptionsgespräch am 15. Oktober, also der erstmaligen Präsentation des Werkes und der Inszenierung für alle Mitwirkenden vor und hinter den Kulissen, haben die Proben zur Uraufführungsproduktion der Weiden begonnen. In den Pausen dieses ersten spannenden Tages fand der Schöpfer des Librettos, der bedeutende deutsche Lyriker Durs Grünbein, Zeit für ein Gespräch mit Andreas Láng.

Im Zentrum Ihrer dritten gemeinsamen Oper mit Johannes Maria Staud steht ein großer europäischer Fluss. Wie und vor allem warum wird ein Fluss zum Protagonisten in einem Musiktheaterwerk? Stammt die Idee von Ihnen oder vom Komponisten?
Durs Grünbein: Das kann ich so genau gar nicht mehr sagen. Johannes schwebte auf jeden Fall eine Oper vor, in der seltsame Verwandlungen geschehen, Personen mutieren – vergleichbar mit Ionescos Nashörnern. Da ich aber an einer bloßen Adaption dieses Stoffes nicht interessiert war, suchten wir weiter nach passenden Sujets und stießen schließlich unter anderem auf Algernon Blackwoods Die Weiden, wobei wir uns zunächst nur auf die unheimlichen Geschehnisse rund um die Weideninseln in der Donaulandschaft konzentrierten. Nach und nach wurde uns aber klar, dass uns in dieser Geschichte der Fluss als solcher anzog und so kristallisierte er sich – wie Sie richtig bemerkten – als die einzelnen Szenen verbindender, vielgestaltiger Protagonist heraus, der somit nicht das Äußerliche, sondern das Innerliche der Oper versinnbildlicht. Später trafen wir uns in Hainburg, gingen gemeinsam stundenlang am Ufer entlang und setzten uns schließlich an ein Manifest, in dem wir beschlossen, was wir alles nicht wollten: Keine Literaturoper, keine Romanadaption, keine Thesenoper, keine Mythenadaption, keine Biografieoper, wie sie mittlerweile seit Jahren in Mode ist. Es funktionierte nach dem Prinzip des Ausschlusses. Nach all diesen Verboten blieb thematisch nicht mehr viel übrig. Und damit begannen wir…

Warum keine Literaturoper, keine Biografieoper…
Durs Grünbein: Weil es sich um ausgetretene Pfade handelt. Wir wollten ein zeitgenössisches Drama auf die Bühne stellen, das über die aktuellen Vorgänge in Europa erzählt, in einem geografisch einigermaßen umrissenen Raum, der jedoch nach den Rändern hin ausfranst, sodass sich auch alle Nachbarn mitgemeint fühlen können.

Es geht also nicht primär um Österreich?
Durs Grünbein: Auch nicht primär um Deutschland. Es sollte ein aktueller zentraleuropäischer Stoff werden, der zugleich auf eine Vorgeschichte verweist: Auf all das, was in den letzten 80 Jahren an diesem Fluss vorgefallen ist, gewissermaßen als Erinnerung fortlebt und das Heute mitprägt. Zu diesen beiden Ansätzen – zum Verwandlungsmotiv und der Flussthematik – kam dann noch die Idee, eine junge Frau unter mysteriösen Umständen verschwinden zu lassen. Also sammelte ich viel Material über verschwundene Frauen – nicht zuletzt im Zusammenhang mit ungel.sten Mordfällen. Dass es in Wien übrigens den berühmten Friedhof der Namenlosen gibt, auf dem früher anonyme Wasserleichen begraben wurden, passt insofern ins Bild, als unser Fluss auf diese Weise auch die Funktion eines großen Bestatters erhielt.

Zur verschwundenen Frau passt vielleicht auch eine Liebesgeschichte…
Durs Grünbein: Die Konturen unserer jungen Frau wurden von Gespräch zu Gespräch konkreter. Sie kommt offenbar von auswärts, ihre Vorfahren sind aus der Heimat vertrieben worden. Mit ihrem Geliebten reist sie gewissermaßen zurück in die Vergangenheit und lernt seine Heimat, seine Bekannten, seine Familie kennen. Und nun war klar, dass es im Finale zu einer Eskalation kommen musste, deshalb steuert alles auf eine Naturkatastrophe zu…parallel zu einer politischen Katastrophe.

Würde das Weiden-Libretto auch als reines Sprechstück funktionieren?
Durs Grünbein: Man hat über dieses Libretto mehrfach gesagt, dass es filmische und sehr theatralische Züge besitzt. Das scheint mir auch so. Aber letztendlich geht es bei einem Operntextbuch darum, etwas Vertonbares zu schaffen. Nachdem Johannes und ich uns über das Narrativ und die Szenenfolge geeinigt hatten, begann ich Dialoge zu schreiben und Szene an Szene zu reihen. Dann kam von Johannes etwa der Wunsch, an einer bestimmten Stelle ein Duett einzufügen, an einer anderen eine Chorpartie. Eine weitere Vorgabe war der Verzicht auf jegliches Rezitativ, wodurch sich zwangsläufig neben gesungenen Passagen auch rein gesprochene ergaben, also musste an einen Schauspieler gedacht werden. Insbesondere beim Komponisten Krachmeyer sowie der Fernsehreporterin handelt es sich also um echte Sprechtheaterrollen. Die Gesangspartien hingegen wurden mit dem inneren Ohr geschrieben. Hier wurde mit Vokalkonstellationen und Alliterationen gewissermaßen musikalisches Material geschaffen, mit dem der Komponist arbeiten konnte. Alles in allem glaube ich also, dass das Libretto kein reiner Theatertext geworden ist.

Inwieweit existiert eine je eigene Sprache für jede einzelne Figur?
Durs Grünbein: Es wurde tatsächlich jede Person in ihrem Denken, Argumentieren, Sprechen charakterisiert. Die vier jungen Haupthelden beispielsweise sind sehr verschieden voneinander: Lea ist eine Akademikerin, bedächtig, vernunftorientiert, Peter eher eine geerdete Künstlernatur, der geschäftstüchtige Edgar wiederum ist der geborene Pragmatiker und seine aus Osteuropa stammende Kitty wirkt extrem zielstrebig, selbstbestimmt. Wir haben auch durchaus gerungen, sogar ganz elementar gestritten, wenn es um unsere Figuren ging. Es durfte nicht sein, dass die eine oder andere nicht zum Gesamtbild passende Facette einen Charakter zerstört, sie unglaubwürdig macht oder zu einem hohlen Popanz verkommen lässt.

Wurde vom Komponisten hinsichtlich des Gesamtduktus ein bestimmtes inneres Tempo eingefordert?
Durs Grünbein: Das innere Tempo einer Szene wei. zunächst nur der Komponist, der schon eine Vorstellung davon hat, wie sich die Partitur rundet, während der Librettist oft noch im Blindflug arbeitet, Text um Text abliefert und erst im Nachhinein merkt, wie sehr viele Forderungen an ihn kompositorisch vorbereitet waren.

Ziehen Sie andere Künste zur Inspiration heran wenn Sie selbst schöpferisch tätig sind?
Durs Grünbein: Es fließt tatsächlich aus verschiedenen Bereichen einiges zusammen. Malerei und Film sind sehr wichtig beim Imaginieren von Texten. Und während der ersten Beschäftigungsphase habe ich außerdem gezielt Opern angehört.

Zum Beispiel?
Durs Grünbein: Puccinis phänomenalen und auf gewisse Weise ultramodernen Trittico, bei dem drei komplette verschiedene Erzählweisen auf so geniale Weise zusammengeklammert wurden. Dann die Bühnenwerke der Zweiten Wiener Schule, auch Krenek, Schulhoff und Korngold, ebenso, als Vertreter der heutigen Zeit, Thomas Adès.

Sie sagten, dass Ihnen die visuelle Kunst sehr viel bedeutet…
Durs Grünbein: … auch im Fall der Weiden gab es zumindest ein bedrohliches Bild eines surrealistischen Malers aus den 1930er-Jahren, das mich stark inspiriert hat: Man sieht einige Karpfenköpfe inmitten von Eisschollen, mit aufgesperrten, in die Luft und zum düsteren Himmel gereckten Mäulern. Die Vereisung war eine Chiffre für die in Europa heraufkommenden totalitären Regime. Sie stand für die unguten 1930er-Jahre, in denen Europa zerrissen wurde von den Dämonen des Faschismus und des Stalinismus. Hier kam das Motiv der Metamorphose wieder ins Spiel, das darüber erzählt, wie Teile der Gesellschaft auf schaurige Weise mutieren können.

Liefern Ihnen umgekehrt bestimmte Themen Bilder, die dann wieder in die Arbeit einfließen?
Durs Grünbein: Das muss man sich ganz konkret vorstellen: In dem Moment, in dem ich eine Handlung an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Umfeld ansiedle, ergebe sich ganz von selbst Konstellationen. Bei den Weiden ist es eben der Fluss, der das Atmosphärische schafft. Da steht plötzlich ein Angler am Ufer und ruft etwas Unverständliches. Es gibt die verschiedenen Tageszeiten, Dunkel und gleißendes Licht, eindeutige und zweideutige Geräusche.

Ging es Ihnen mit den Weiden darum zu kommentieren, ein Statement abzugeben oder gar darum, eine Veränderung beim Publikum zu bewirken?
Durs Grünbein: Wir wollten eine Beschreibung historischer Ereignisse liefern, auf poetische Weise.

Und wie schreibt man eine Oper die auch noch in 200 Jahren aktuell sein soll?
Durs Grünbein: Das ist in der Tat schwierig! Es gibt da einen Instinkt, hinter der Tagespolitik die historischen und sogar mythologischen Züge zu erkennen. Formen der Demagogie, populistische Strömungen gab es seit der Antike immer wieder, da muss man die heutigen Namen nicht unbedingt nennen. Natürlich können Figuren, je nach Lesart, Erkennungsmomente im Publikum auslösen – etwa der schon erwähnte Komponist Krachmeyer oder Peters Vater. Denen verhelfen satirische Mittel zur Kenntlichkeit. Aber sie werden auch später noch als gute alte Bekannte erscheinen. Ich bin grundsätzlich kein Freund des didaktischen Theaters, denn die Frage ist doch: Woher kommt eigentlich die .berlegenheit der Aufklärer über die Aufzuklärenden? Kurzum: Die Weiden lassen sich auf viele Weisen inszenatorisch visualisieren, so hoffen wir. Abgesehen von der Musik, hat diese Oper einen eigenen Bilderfundus, den man nach vielen Seiten hin ausschöpfen kann.

Andreas Láng


Die Weiden  
Musik: Johannes Maria Staud | Text: Durs Grünbein
Uraufführung: 8. Dezember 2018
Reprisen: 11., 14., 16., 20. Dezember 2018

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