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© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Der Übersetzer der Psyche

"Die Gattung Oper ist wie ein gewaltiger Baum: Ein großer, dicht belaubter Ast mit viel Obst entspricht zum Beispiel dem Belcanto, ein anderer den Werken Wagners, wieder ein anderer dem Barock, ein weiterer den Stücken Verdis oder Puccinis oder dem Verismo oder der Klassik oder Massenet, und so weiter … Nur an einer Seite wächst ein solitärer Zweig mit einer einzigen Frucht, allerdings einer wunderbaren, großen und goldenen Frucht – und dieser Zweig ist Debussy, und diese Frucht ist Pelléas et Mélisande.“ Mit diesen wunderschönen Worten eröffnete Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli das Konzeptionsgespräch, also den ersten Probentag zur Staatsopern-Neuproduktion von Debussys einziger vollendeter Oper. Und tatsächlich hat dieses Werk zwar so manchen Komponistenkollegen beeinflusst, doch eine eigene Richtung oder Schule hat es nicht begründet, ebenso wenig wie es ein logisches Glied einer bereits existierenden, fortlaufenden, sich entwickelnden Tradition darstellt. Eine für sich stehende Kostbarkeit also, die von Kennern besonders hoch gehalten wird. Fast ein Geheimtipp – wenn man nach der Rezeptionsgeschichte geht. Denn allzu häufig begegnet einem diese wunderliche Oper auf den Spielplänen nicht, andererseits dann doch regelmäßig. Regelmäßig selten sozusagen. An der Wiener Staatsoper hat es auf jeden Fall fast zehn Jahre gedauert, bis Pelléas et Mélisande nach der Uraufführung das hiesige „Bühnenrecht“ erhielt. Bis zur zweiten Produktion verging sogar ein halbes Jahrhundert, bis zur dritten mehr als zwei Dekaden und die bislang letzte Vorstellung fand 1991 statt …

Andererseits spricht der Name der Dirigenten, die sich allein in diesem Haus für das Stück stark gemacht haben Bände: Bruno Walter, Franz Schalk, Herbert von Karajan, André Cluytens, Claudio Abbado. Sie alle liebten diese Musik, ja insgesamt diesen Einzelgänger unter den Opern. Ebenso wie Marelli oder der Dirigent Alain Altinoglu von Pelléas et Mélisande schwärmen.

Vor der Annäherung an dieses Stück lohnt es sich jedoch, ein wenig die Persönlichkeit des Komponisten, also Claude Debussys, anzusehen. Gemeinhin kennt man seine Orchesterwerke Nachmittag eines Fauns und La Mer, Musikliebhaber mit einer Klavierstudium-Vergangenheit werden das eine oder andere Klavierstück – zumindest die Arabesken und einige seiner Préludes, vielleicht sogar seine herausfordernden Etüden gespielt haben. Aber nur die wenigsten in Österreich wissen in Wahrheit über sein Leben, seinen Charakter, seine künstlerischen Intentionen Bescheid (obwohl er übrigens auch in Wien weilte). Schon sein zweiter Vorname Achille ist den meisten unbekannt. Erwähnenswert ist er dennoch, da sich Debussy in seiner Studienzeit gerne etwas hochtrabend Achille de Bussy nannte und dies wiederum einen kleinen Einblick in sein Wesen erlaubt: Debussy stammte aus einer bestenfalls kleinbürgerlichen Familie, deren roher, engstirniger Atmosphäre er schon sehr bald zu entrinnen trachtete. Seine spätere Kultiviertheit, sein nobler und sicherer Geschmack lassen jedenfalls nicht auf seine Herkunft schließen.

Zeitlebens ist er eher verschlossen, in Bezug auf Freunde äußerst wählerisch und künstlerisch von sich überzeugt. Letzteres bereitete seinen Professoren in Paris schnell Kopfzerbrechen, denn dieser junge, offensichtlich begabte Pianist und Komponist kannte kein Sich-Unterordnen, selbst den begehrten Rompreis, die größte und begehrteste Auszeichnung für Studierende des Pariser Konservatoriums, empfand er als Tortur. Die althergebrachten Regeln der Tonkunst waren ihm ein Graus und das zwischen der alten Grand Opéra und dem immer stärker werdenden Einfluss Richard Wagners hin und herpendelnde französische Musikleben eine einzige künstlerische Bankrotterklärung. Nicht, dass der 1862 geborene Debussy Wagner nicht geschätzt hätte – im Gegenteil, zunächst verfiel er ihm mit Haut und Haaren, spielte und kannte Wagners Opern wie wenige andere und pilgerte natürlich auch nach Bayreuth. Doch später kühlte diese Liebe spürbar ab. Den Ring des Nibelungen nannte er beispielsweise in Bezug auf die Leitmotivtechnik gar „ein musikalisches Adressbuch“ – was ihn aber nicht davon abhielt, in Pelléas et Mélisande, wenn auch auf ganz andere, subtile Weise, ebenfalls mit Figuren- und Szenenmotiven zu arbeiten.

Wer Tschaikowskis Biografie kennt, wird erstaunt auch bei Debussy auf Nadeschda von Meck treffen: Die Mäzenin des russischen Komponisten unterstützte auch den in seiner Studienzeit finanziell nicht eben gut gestellten französischen Querkopf, der sie als Klavierlehrer ihrer Kinder sowie als musikalischer Unterhalter wochenlang durch Europa begleitete (und auf diese Weise auch in näheren Kontakt mit der russischen Musik kam.)

Die Widersprüchlichkeit seines Wesens zeigt sich übrigens nirgendwo so deutlich, wie in seiner Einstellung zur französischen Musik an sich. Zum einen interessierte er sich nicht nur für allerlei osteuropäische und außereuropäische Musiktraditionen, sondern benutzte diese sogar als Inspirationsquelle. Zum anderen war er ein waschechter Nationalist. Für ihn galt es, die „arme“ französische Musik von den „ausländischen“, insbesondere den schädlichen deutschen Einflüssen zu reinigen. Nur Johann Sebastian Bach ließ er gelten. Ansonsten lautete sein Wahlspruch: Zurück zu Rameau, dessen französische Komponierweise seiner Meinung nach spätestens von Gluck „zertrampelt“ worden war.

Vieles von seinen musikalischen und ganz allgemein künstlerischen Vorstellungen und Ideen legte er in fiktiven Gesprächen mit dem von ihm erfundenen Gesprächspartner Monsieur Croche dar und auch seine Rezensionen, die er als Kritiker für diverse Zeitschriften verfasste, verraten viel von seinen eigenen Ansichten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass er sich vehement dagegen verwehrte als Impressionist bezeichnet zu werden – was insofern verwundert, als er im Allgemeinen gerne gemeinsam mit Ravel als der französische impressionistische Komponist genannt wird. Doch Debussy sah sich nicht als Abbildner der Realität, sondern als Vermittler des Unsagbaren, des hinter den Worten und Dingen stehenden Geheimnisvollen. In Hinblick auf Pelléas et Mélisande bedeutet dies: Debussy ist durch seine Musik Übersetzer, Übersetzer der Psyche der Handelnden.

Wenn Debussy, so überhaupt in eine Schublade gesteckt werden kann, dann in jene der Symbolisten (in deren Literaten- und Malerzirkeln er sich zeitweilig gerne aufhielt) – kein Wunder, dass er Maeterlincks symbolistisches Theaterstück Pelléas et Mélisande als Vorlage für seine einzige vollendete Oper wählte. Gleichzeitig wehrte er sich kämpferisch dagegen, Kunstwerke zu Tode zu analysieren: So wie der Komponist von der Natur inspiriert mit dem Herzen komponieren sollte, so hätte auch der Hörer mit dem Herzen die Musik zu erfassen. Oder, wie Debussy es wörtlich formulierte: „Die Menschen haben ein schlechtes Gedächtnis dafür, dass man ihnen als Kinder verboten hat, den Hampelmännern den Bauch aufzuschneiden (was bereits ein Verrat am Geheimnis ist): Sie wollen immer noch ihre ästhetische Nase überall hineinstecken, wo es nur geht. Wenn sie auch keine Hampelmänner mehr aufschlitzen, so erklären sie doch das Geheimnis, zerlegen es und töten es kaltherzig: Das ist bequemer und bietet überdies Stoff zum Reden.“

Seinem Selbstzeugnis folgend hat Debussy auf jeden Fall in Pelléas et Mélisande seine Grundintentionen verwirklicht, sodass dieses Werk sowohl hinsichtlich des dramatischen Duktus wie der Musik ein Beispiel einer in seinem Sinne wahren französischen Oper bietet.

Andreas Láng


Pelléas et Mélisande | Claude Debussy
Premiere: 18. Juni
Reprisen: 20., 24., 27., 30. Juni
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Einführungsmatinee: 4. Juni
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