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© Andrej Grilc

Das Staatsopernorchester: Primgeigerin Petra Kovačič

Wie oft werden junge Musikstudenten im Unterricht doch beschworen, die menschliche Stimme als Vorbild zu nehmen, auf dem Instrument gleichsam zu singen, zunächst auf die übergeordnete musikalische Linie zu achten und sich dann erst der eigentlichen detaillierten Gestaltung zuwidmen. Bei Petra Kovačič war es die Mutter, von der sie diesen gleichermaßen wichtigen wie richtigen Hinweis schon sehr früh wieder und wieder ans Herz gelegt bekam – als sie nämlich regelmäßig in deren Chor als Kind und Jugendliche bei diversen Aufführungen mitwirken durfte. Das ging derartig in Fleisch und Blut über, dass sie noch heute mit ihrem Geigenspiel stets eine imaginäre, vokal geführte Stimme umzusetzen trachtet. Und in diesem Sinne versteht sie die Violine nicht als ein besonderes Heiligtum, schon gar nicht als allegorische Abbildung des eigenen künstlerischen Selbst, wie dies manche ihrer Kollegen tun, sondern schlicht und einfach als Werkzeug. Als lieb gewordenes Werkzeug freilich, als kostbares Mittel zu einem höheren Zweck, zu dem man durch viel Arbeit, Zeit, Einsatz aber auch Erfüllung eine äußerst persönliche Beziehung aufgebaut hat und dem sie immer neue Möglichkeiten zu entlocken sucht. Das erklärt zugleich, warum Petra Kovačič, wenn sie mit dem Motorrad von ihrer Wohnung am Stadtrand zur Oper fährt, an besonders rutschigen Tagen lieber auf einem Dienstinstrument des Hauses spielt und ihre Geige sicherheitshalber zu Hause lässt, um sie keinen Gefahren auszusetzen. Die Geige wohlgemerkt – um sich selbst oder um ihre Hände sorgt sie sich weit weniger, denn das Zu-Tode-Fürchten ist ihre Sache nicht, Stolpern und sich etwas brechen kann man sozusagen auf ebener Erde beim Spazierengehen ebenso, und Sport betreiben oder schwerere Gartenarbeit macht schließlich auch Spaß.

Nein, Petra Kovačič ist keine weltabgewandte, sich vor jedem Windhauch ängstigende Persönlichkeit. Und ihre lebenspraktische Ader war bei ihr offenbar schon im Kindesalter ausgeprägt und beeinflusste letztlich die Entscheidung, es doch einmal mit der Violine zu versuchen: In ihrem kleinen Heimatort in Slowenien gab es keinen Geigenlehrer und, bis auf eine diesbezüglich inspirierend wirkende Nachbarin, de facto niemanden, der eben dieses Instrument einigermaßen beherrschte. Also war für die damals erst Fünfjährige klar: „Das will ich machen, das können nur wenige, da kann ich reüssieren.“ Erst zehn Jahre später realisierte sie bei der Aufnahme ihrer Studien in Ljubljana ihren Irrtum, die große Anzahl der übrigen angehenden Geiger und Geigerinnen und damit die gewaltige Konkurrenz – doch da war es bereits „zu spät“ und die Liebe zur Violine für immer zementiert.

Die große Konkurrenz stellte dann bei ihrem allerersten Probespiel im Jahr 2015 allerdings kein gröberes Problem dar. Mit den von vielen Seiten vorgebrachten, gutgemeinten Beschwichtigungen ausgestattet, dass sie sich keine Hoffnungen ma- chen sollte, da man ohnehin erst ab dem elften Antreten Chancen auf die zweite Runde hätte, ging sie völlig unverkrampft ins Rennen und gewann auf Anhieb die zur Disposition stehende Stelle in der ersten Geige des Staatsopernorchesters. (Trotz dieser unerwarteten Wendung beendete sie parallel zu ihrem Dienstantritt noch ihr Studium an der Wiener Musikuniversität.) Nun galt es endgültig aus Slowenien nach Wien zu übersiedeln – jedoch nicht ohne die geliebte Bibliothek mit den Grundsteinen der slowenischen Literatur insbesondere die von ihr so geschätzten, vorwiegend impressionistischen Gedichtsammlungen mitzubringen.

Der Impressionismus und die Spätromantik haben es ihr übrigens wie in der Literatur auch in der Musik angetan: Werke von Ravel und Debussy sowie Strauss und Puccini stehen neben dem obligaten Mozart ganz oben auf ihrer Liste des bevorzugten Repertoires. Selbst wenn so manches, gerade bei Strauss, vom handwerklichen mit gewissen Herausforderungen beziehungsweise mit privaten Auffrischungsarbeiten – sprich Üben – verbunden ist. „Was man tut, sollte man nie nur 80%ig betreiben, sondern immer zu mindestens 120%“, so Petra Kovačičs Grundeinstellung. Darum verwundert es nicht weiter, dass sie gelegentlich, um einen Gesamteindruck zu bekommen, so manche Vorstellung sogar aus dem Zuschauerraum anhört – um dann wiederholt zu erkennen, wie wunderbar sie es doch getroffen hat, an diesen herrlichen Werken aktiv mitgestalten zu dürfen.

Große Freude bereitet es ihr zusätzlich, wenn der legendäre Georg Bedry, der schon 1955 bei den Staatsoper-Wiedereröffnungsfeierlichkeiten mitgespielt hatte – und nach wie vor nicht nur über eine hervorragende Technik verfügt, sondern alle mit seinem Musikenthusiasmus und seiner Wissbegierde ansteckt – substituierender Weise neben ihr am Pult Platz nimmt und Wesentliches über die großen Pultgiganten berichtet, die heute viele nur mehr von Aufnahmen kennen. Mit zahlreichen aktuellen Größen der Dirigentenzunft hat Petra Kovačič freilich sowohl in den philharmonischen Konzerten als auch in der Staatsoper selbst schon regelmäßig musiziert und so manche Sternstunde erleben dürfen. Und anders als die Sänger auf der Bühne, darf sie sich, im für das Publikum schlechter einsichtigen Graben, bei besonders emotionalen Passagen durchaus die eine oder andere Träne erlauben.

Kennen gelernt hat Petra Kovačič die Wiener Staatsoper übrigens bereits als Teenagerin, als sie mit ihrer Gymnasiumsklasse im Zuge einer Wien-Exkursion, eine Vorstellung im Haus am Ring besuchte. Auf dem Programm stand damals Verdis Simon Boccanegra. Nun, der Funke wollte so gar nicht überspringen, oder, weniger euphemistisch ausgedrückt: sie empfand eine derartige Langeweile, dass sie es fast nicht bis zum Schluss aushielt. Das nur für all jene zur Beruhigung, die vielleicht nicht gleich zu jedem Meisterwerk einen Zugang finden: Heute gehört die überreiche Partitur des Simon Boccanegra zu Petra Kovačičs absoluten Favoriten, deren Schönheit und Tiefe sie jedes Mal aufs Neue überwältigen.

Andreas Láng