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Am Stehplatz: Robert Schindel

Unter all den vielen Vorstellungen, die Sie in Ihrer Stehplatzzeit an der Wiener Staatsoper erlebten – fällt Ihnen spontan ein besonders prägendes Erlebnis ein?
Robert Schindel: Das kann man wohl sagen! Meine erste Meistersinger-Vorstellung! Das muss so 1957 oder 1958 gewesen sein, ich war erst wenige Male am Stehplatz gewesen und hatte noch keine große Routine. Es folgte nach dem langen Anstellen eine doch sehr lange Vorstellung, an deren Ende ich nicht mehr wusste, wie ich stehen sollte. Ich hatte das Gefühl, mich kaum noch bewegen zu können. Hinsetzen war auch keine Option, denn dann hätte ich nichts gesehen. Es war wirklich eine Qual! Dann aber bin ich mit den alten Stehplatz-Hasen ins Gespräch gekommen und die haben mir alle Tricks erklärt. Zum Beispiel, dass es auch auf der Galerie Stehplätze gibt.

Schlossen Sie sich diesen alten Stehplatz-Hasen an? Oder gingen Sie lieber alleine?
Robert Schindel: Es gab schon damals diese berühmten Gruppierungen von Fans eines Sängers oder einer Sängerin – ich muss aber sagen, dass ich zu keiner dieser Gruppen gehörte. Ich schloss eher wenig Bekanntschaften und nahm an den nachfolgenden Diskussionen über eine Vorstellung nicht teil. Das hat mich weniger interessiert. Ich bin eigentlich immer gleich nach ei- ner Vorstellung nach Hause gegangen und habe mich mit der Oper, dem Erlebten, dem Nachhall in mir beschäftigt. Vielleicht war ich auch nicht häufig genug, um mich einer Gruppe anzuschließen – ich ging etwa ein- bis zweimal die Woche, und viele andere drei- bis vier- bis fünfmal. Sehr oft aber war ich mit einer angeheirateten Tante, einer leidenschaftlichen Opernliebhaberin, in der Oper. Sie besaß auch eine sogenannte Amts- bescheinigung, die es nach 1945 für die Opfer des Faschismus gab: Man hatte nicht viel davon, aber musste sich als Inhaber einer solchen Bescheinigung zum Beispiel in der Oper nicht anstellen, sondern konnte direkt zur Kasse gehen. Meine Tante nahm immer Karten auf der Galerie, ganz rechts: So sah ich fast nie, was sich auf der rechten Seite der Bühne abspielte. Jedenfalls war ich oft mit ihr in der Oper und sie hat mich ans Musiktheater herangeführt.

Können Sie sich noch an Ihre ersten Opern erinnern?
Robert Schindel: Ja, alles F-Opern: Fidelio, Figaro und Freischütz. Mit diesen Werken bin ich in die Gilde der Opernnarren eingestiegen.

Wählten Sie Ihre Opernbesuche eher nach Werken, Komponisten oder Sängern aus?
Robert Schindel: Bei großen Sängern ging es um die Sänger, das ist klar. Zum Beispiel, wenn meine Lieblinge auf der Bühne standen. Aber ich war grundsätzlich an Opern interessiert, an neuen Opern. Ich besaß ein Kartenspiel, das hieß Opernquartett, da kamen viele Werke vor, die ich anfangs nicht kannte. Und die schaute ich mir systematisch alle an. Ich sammelte gewissermaßen die Opern. Sobald ich die Werke gut kannte, verlagerte sich das Interesse, es ging mehr und mehr um die Besetzung. Aber ich war kein typischer „Fan“, der immer nur wegen einer Sängerin oder wegen eines Sängers ging.

Das bedeutet, dass Sie kein Unterschriftenjäger nach einer Vorstellung waren?
Robert Schindel: Nein, ich stand nicht an der Bühnentür, um die Sänger zu treffen. Obwohl ich es als Autor ja ganz gerne habe, wenn sich jemand nach einer Lesung an mich wendet.

Sie sprachen gerade von Lieblingen. Auch wenn Sie kein typischer Fan waren, gab es die dann doch?
Robert Schindel: Ja, natürlich. Der Erich Kunz, der Paul Schöffler, der Julius Patzak. Wobei Letzterer in manchen Rollen, etwa als Florestan, durchaus umstritten war, weil er ja keine so große Stimme hatte. Oder auch die Wilma Lipp, die Erika Köth. Später zum Beispiel die Renata Tebaldi, die leider nur sehr selten an der Wiener Staatsoper gastierte. Ich erinnere mich an ihre Aida unter Karajan, da stellten wir uns eine ganze Nacht und einen ganzen Tag lang an. Den Radames sang damals leider nicht Mario del Monaco, den ich liebte. Es gab also durchaus Lieblinge ...

Und wonach suchten Sie die Lieblinge aus? Die Stimme? Die Gestaltung? Das Spiel?
Robert Schindel: Mir war in jungen Jahren das szenische Spiel schon sehr wichtig, der Kunz war für mich der Beckmesser schlechthin, aber auch der Figaro und der Papageno. Der später kommende, aber ihn teilweise überlappende Walter Berry war stimmlich sicherlich besser, aber wenn man jung ist, hat man manchmal an- dere Kriterien.

Wie wichtig war Ihnen das Szenische, das Bühnenbild?
Robert Schindel: Anfangs schien es mir sehr wichtig, ich wollte schon einen dramatischen Don José, einen dramatischen Otello. Aber im Laufe der Zeit rückten für mich mehr und mehr die Stimmen, das Orchester, die Musik ins Zen- trum. Ich bin grundsätzlich sehr offen, was die Inszenierung anbelangt: Ich finde moderne Zu- gänge, solange sie nicht auf Kosten der Musik gehen und die Sänger in ihrem Gesang nicht einschränken, ebenso interessant, wie ich auch traditionelle Lösungen schätze. Manches, wie die Tosca, hat ja inzwischen etwas durchaus Familiä- res, weil man sie schon so lange kennt.

Und waren Sie ein Bravo- bzw. Buh-Rufer?
Robert Schindel: Nein, bis auf den Applaus habe ich keine Äußerungen von mir gegeben. Ich war ja zusätzlich ein leidenschaftlicher Sportplatz-Besucher, dort habe ich entsprechend geschrien. Und dort gehört das Geschrei hin, fand ich. Obwohl ich natürlich weiß, dass die Oper gerade von der Begeisterung lebt. Buh-Rufen lehne ich grundsätzlich ab. Man kann ja auch nicht applaudieren, wenn einem etwas nicht gefallen hat.

Hatten Sie Repertoireschwerpunkte?
Robert Schindel: Eigentlich bin ich diesbezüg- lich ein Vielfraß: Musik ist für mich Musik, es gibt fast nichts, was mir nicht gefällt. Vielleicht bin ich kein großer Rossini-Freund, aber im Grunde schätze ich alle großen Komponisten. Ich liebe Wagner, aber ich bin kein Wagnerianer, weil ich Puccini und Verdi ebenso liebe. Und ich bin nach wie vor neugierig auf das, was ich nicht kenne ...


ROBERT SCHINDEL, geboren 1944 in Bad Hall/Oberösterreich; Arbeiten für Film, Fernsehen und Rundfunk. Seit 1986 lebt er als freier Schriftsteller in Wien.
Robert Schindel wurde für sein literarisches Werk mehrfach ausgezeichnet. Seit August 2009 ist er Professor am Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst Wien.