Wer bekommt den Tschechischen Trotzkopf?

Interview |

Neustart für Smetanas »Verkaufte Braut«: die Besetzung über ihre Rollen, Brüche und einen neuen Blicken auf das Werk.

Die mehr als drei Jahrzehnte währende Unterbrechung der viele Generationen umfassenden Verkauften-Braut-Aufführungsgeschichte an der Wiener Staatsoper war zweifelsohne ungeplant und einem bloßen Zufall geschuldet: Die seit 1982 gespielte Produktion verschwand nach 1991 sang- und klanglos – und eine neue ergab sich einfach nicht. Dieser Traditionsriss hatte aber unter anderem auch dazu geführt, dass die meisten Mitglieder des Orchesters und Chors am Premierenabend des 28. September zum ersten Mal an einer Aufführung des Werkes in diesem Haus mitwirken.

Noch krasser sieht die Situation in Hinblick auf die Sängerinnen und Sänger aus, da der Besetzungszettel sogar durchwegs Staatsopern-Rollendebüts aufweisen wird (auch wenn einige der Solisten mit ihren jeweiligen Partien andernorts schon Erfolge feiern konnten). Mit anderen Worten: Im Haus am Ring wird es – auch für das Publikum – einen wirklichen Neustart geben.

Seit Mitte Juni wird bereits geprobt und so konnte schon knapp vor der Sommerpause das folgende ausführlichere Gespräch mit den drei Hauptakteuren Slávka Zámečníková, Pavol Breslik und Michael Laurenz alias Mařenka, Jeník und Vašek stattfinden. Eine erste Tuchfühlung gewissermaßen.

 

Die Verkaufte Braut galt auch hier an der Wiener Staatsoper immer als ein Renner, wie man so schön sagt. Fast wie die Fledermaus. Und dann verschwand das auf dieser Bühne beheimatete Stück und somit nach und nach auch die Werkkenntnis seitens vieler im Zuschauerraum. Daher bitte ich zu Beginn vielleicht um eine kurze Personenverortung, eine Beschreibung der drei von Ihnen gegebenen Charaktere.

Michael Laurenz: Zunächst möchte ich betonen, wie toll ich es finde, dass sich wichtige Häuser wie die Wiener oder die Bayerische Staatsoper, die sich den großen Repertoirebetrieb auf die Fahnen geschrieben haben, wieder der Spielopern des 19. Jahrhunderts annehmen. Schließlich können all die Komponisten wie Lortzing, Flotow oder eben Smetana im Falle der Verkauften Braut mit ihren wunderbaren Werken nach wie vor auf ein großes Publikum zählen. Nicht zuletzt, wenn dabei so intelligent-moderne szenische Interpretationen herauskommen, wie es sich, der Probenarbeit nach zu urteilen, in unserem Fall ankündigt. Und damit bin ich schon bei »meiner« Figur, dem Vašek, den man ja sehr unterschiedlich anlegen kann. In der Vergangenheit wurde er zum Beispiel sehr oft als durchgehend eindimensionaler Depp vorgeführt. Unser Regisseur Dirk Schmeding hat beim Konzeptionsgespräch am ersten Probentag aber darauf hingewiesen, dass ihn ganz besonders die charakterliche Entwicklung aller Handelnden interessiert. Im Falle des Vašek bedeutet das einen längst fälligen Loslösungsprozess von der ihn krankhaft bevormundenden Mutter und damit die Umwandlung eines introvertierten Nerds zu einem lebensfähigen jungen Mann, der am Ende weiß, was er will.

Auch Jeník muss Entwicklungen durchmachen, nur beginnen bei ihm die ersten bereits viel früher. Weit vor der eigentlichen Handlung, die man auf der Bühne sieht und hört.

Pavol Breslik: Nachdem seine Mutter früh verstorben und eine ihn ablehnende Stiefmutter ins Haus gekommen war, musste er seine Heimat verlassen und sich auf eigene Faust in der weiten Welt behaupten. Solche traumatischen Erfahrungen machen natürlich etwas mit einem! Und nun ist er, von allen unerkannt, ins Dorf zurückgekehrt, hat das Herz der schönen Mařenka erobert und möchte endlich der Welt auch offenlegen, wer sein Vater ist.

Slávka Zámečníková: Aber du willst lange nicht mit mir über deine Traumata reden.

pb Richtig, denn hier ist sein wunder Punkt. Und wenn Mařenka sagt, dass man wenig über seine Vergangenheit weiß, ist das wie Salz auf seine Wunden. Das hört man sehr schön auch in der Musik seines Rezitativs: Kaum beginnt er über seine schwierige Kindheit zu reden, schon bricht eine unterdrückte Wut durch. Er ist einer jener Männer, die nicht zeigen möchten, wie sehr sie in ihrem Innersten verletzt wurden. Und Mařenka bohrt genau da immer wieder hinein und sorgt damit für einen Veränderungsprozess bei Jeník.

Mařenka traut sich einfach, heikle Fragen zu stellen, die unter Umständen zu unerwarteten, problematischen Situationen führen könnten. Und das wiederum bringt sie selbst innerlich weiter.

pb Schließlich muss sich auch bei Mařenka einiges verändern! Du kommst aus einem reichen Haus, hast immer alles gehabt, was du wolltest, jetzt auch noch den coolsten Kerl der Gegend…

sz Nein, wirkliche Probleme hat Mařenka nie gekannt…

pb Doch mit dem Auftauchen des ihr aufgezwungenen Heiratskandidaten Vašek scheint alles mit einem Mal ins Wanken zu geraten. Und dann glaubt sie sich auch noch von ihrem Geliebten verraten…

sz Man hört es förmlich in ihrer Arie, wie wenig sie es fassen kann, wie gebrochen sie mit einem Male wirkt, weil die Erfüllung ihres Traumes, Jeník zu heiraten, in Gefahr gerät!

ml Bereits ihre anfängliche Verunsicherung bringt sie schon dazu, Grenzen zu überschreiten. Die Aversionen, der offen an den Tag gelegte Ekel gegen Vašek, sind auffallend!

sz Stimmt, es ist schon interessant, wie viel Gemeinheit gegenüber Vašek plötzlich aus Mařenka herausbricht, wie sehr sie sich bemüht, ihn zu verunsichern, zu verletzen. Es ist gar nicht leicht, diese Facette ihres Charakters darzustellen, zumal ich mich im echten Leben niemals so verhalten würde. Jedenfalls verdient sie es, dass sie knapp vor dem Happy End glaubt, am seelischen Abgrund zu stehen. 

ml Zu ihrer Entschuldigung muss allerdings gesagt werden, dass sich aus arrangierten Ehevorhaben nur wenige Auswege bieten.

sz Und Mařenka weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie stark genug sein wird, ihren Eltern Widerstand zu leisten. Hier spielt nämlich noch etwas mit: Diese tschechisch-slowakische Art des Denkens, die den Kindern suggeriert, den Eltern grundsätzlich etwas schuldig zu sein. 

pb Und daran hat sich bis heute in Teilen der Bevölkerung leider nur wenig geändert. Viele glauben sogar noch im Erwachsenenalter, den Eltern auf irgendeine Art und Weise irgendetwas zurückgeben zu müssen.

sz Letztlich emanzipiert sich Mařenka aber rasch von diesen Denkmustern. Ihr ist klar, dass sie sich nicht dafür hergeben wird, ihrem Vater den Wohlstand zu sichern. Nicht für den Preis ihres Liebesglücks. Aber sie ist jung und unerfahren und weiß daher nicht, auf welche Weise sie ihr Ziel, Jeník zu heiraten, verwirklichen soll.

Es wäre natürlich alles viel leichter, wäre Mařenka in Jeníks Plan eingeweiht. Wenn sie also wüsste, dass Jeník der ältere Sohn des reichen Mícha ist und sie damit nur zum Schein »verkauft« wird, oder?

pb Würde sie einmal zuhören, ließe sie Jeník nur ein einziges Mal ausreden, könnte er Mařenka ja in den Plan einweihen. Aber ihr ständiges »Ich möchte nichts mehr hören« steht dem natürlich im Weg.

sz Ihr Problem ist, dass sie zunächst ein unbeschreiblicher Trotzkopf ist. Das Ausmaß dieses lästigen Charakterzuges habe ich eigentlich erst beim Einstudieren der Rolle bemerkt. Ich fürchte, ich war als 15-Jährige diesbezüglich recht ähnlich. Mařenka ist einfach sehr jung, kennt das Leben noch nicht und weiß nicht, was Beziehung und Liebe in Wirklichkeit bedeuten. Erst dieses ganze Tohuwabohu im Laufe der Handlung, die Missverständnisse, das Ringen um die Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens, bringen Mařenka und Jeník in Wahrheit so richtig zueinander. Nicht zuletzt Mařenkas Bereitschaft, ihr Trotzverhalten zurückzuschrauben und besser zuzuhören. 

Und wenn sie in ihren alten Fehler des Nicht-Zuhörens zurückfällt? Könnte ihr Jeník dann im Falle eines späteren Ehekraches nicht irgendwann den Satz an den Kopf werfen: »Hättest Du doch besser den Vašek geheiratet«?

sz Warum sollte sie in diesen Fehler zurückfallen? Man lernt aus der Erfahrung! Überdies glaube ich nicht, dass die beiden viel streiten werden…

pb Naja, wir werden sicher streiten – das tun wir schließlich in der Oper auch –, aber dann versöhnen wir uns. Und das Versöhnen ist ja immer das Schönste. (lacht) Aber so einen Satz wird Mařenka von Jeník sicher nie zu hören bekommen!

Kommen wir zurück zu Mařenkas Aversionen gegen Vašek: Der Untertitel der Verkauften Braut lautet: »Komische Oper in drei Akten«. Aber was ist daran komisch, wenn ein Außenseiter wie Vašek, der sich nicht wirklich wehren kann, fies behandelt wird?

pb Aber das Publikum hat wenigstes immer Mitleid mit ihm, er ist so was wie die Lieblingsfigur der Oper. Wie der Papageno in der Zauberflöte.

Aber Papageno bekommt ja wenigstens seine Papagena.

ml Und Vašek bekommt später vielleicht die Esmeralda – die scheint es ihm tatsächlich angetan zu haben.

Und Mařenka? War er in sie auch verliebt?

ml Nein, zumindest am Anfang kann man hier definitiv nicht von Liebe sprechen. Das Zusammentreffen mit Mařenka ist für diesen jungen Burschen eher so etwas wie eine Reizüberflutung. Bis dahin war er stets unter der Knute seiner Mutter gestanden und nun trifft er, gewissermaßen in der freien Wildbahn, erstmals auf eine Frau.

sz Noch dazu gleich auf so eine Frau!

ml Auf die Schönste vom Dorf! Klar ist er vollkommen überfordert…

Jetzt eine Frage an die Slowakin und den Slowaken: Wie viel Heimatliches entdecken Sie in dieser Oper?

pb Das Stück spiegelt ohne Zweifel das ländliche Leben der früheren Tschechoslowakei wider. Im Grunde wird man selbst heute noch in manchen Dörfern all diese Typen finden. Sogar einen wie den Heiratsvermittler Kecal. Oder einen Vašek, mit dem schon im Kindergarten keiner spielen wollte. 

sz Die Oper ist wie ein der Realität nachempfundenes Bilderbuch. Wenn ich die Musik höre, fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt und erinnere mich an all das Selbsterlebte in meinem Heimatdorf. Es gibt einen sehr lustigen Film, mit dem wir alle, Slowaken wie Tschechen, aufgewachsen sind: Sonne, Heu und Erdbeeren (Slunce, seno, jahody). Und das dort Geschilderte – es spielt in einem ländlichen Milieu im späten 20. Jahrhundert – deckt sich mit Vielem, das in der Verkauften Braut an Situationen und Menschlichem anklingt. 

pb Und das Schöne ist, dass Smetana eine Musik komponiert hat, die genau dieses Feeling aufgreift. Es handelt sich bei ihm nicht um Volksmusik, aber beispielsweise diese oft in Terzen geführten Melodien und die punktierten Rhythmen verbreiten eine ganz spezielle Atmosphäre, die dem Landleben dieser Gegend abgelauscht zu sein scheint.

Und wie ist der Zugang eines Nicht-Slawen zu diesem Feeling?

ml Ich war beruflich zunächst Instrumentalist, habe sehr lange professionell Trompete gespielt, und da es im Orchestersatz oft vorkommt, dass zwei Trompeten im Terzabstand Melodien bringen, die an eine Volkstümlichkeit erinnern, die in jedem Blasmusikverein ausgekostet wird, ist mir das angesprochene Feeling, zumindest musikalisch, durchaus vertraut. 

pb Leider hat Smetana, wie Beethoven, ungemein »unsängerisch« geschrieben, also wie jemand, der sich überhaupt nicht darum schert, was Stimmen zu leisten imstande sind.

Beim Vašek kommt im zentralen Duett mit Mařenka dazu, dass es plötzlich ganz veristisch wird. Wenn es sich gegen Ende dieser Nummer über das a hochschaukelt und diese Halbtonrückungen auftauchen, hat die Musik nichts Tschechisches mehr an sich, da geht es fast in Richtung Puccini, das ist große Oper!

sz Für jemanden wie mich, die derzeit vorwiegend beispielsweise Gilda, Norina oder Mozart singt, ist es superinteressant zu entdecken, wie sich das tschechische Repertoire anfühlt. Zumal es in Osteuropa tendenziell die Tradition gibt, alles mit dramatischeren Stimmen zu besetzen. 

pb Tradition ist ein schreckliches Wort. Die Tradition will, dass beispielsweise auch der Prinz in Rusalka von dramatischeren Tenören gesungen wird. Und dabei gab es genügend hervorragende lyrischere Interpreten dieser Rolle. Aber je weiter man nach Osten kommt, desto mehr gilt von einer Stimme: Je größer, desto besser. 

sz Die typischen Mozart-Stimmen sind bei uns zu Hause nicht so geschätzt wie etwa hier in Wien.

ml Interessant, was ihr sagt: Der Jeník erinnert ja im Grunde fast noch an einen Mozart-Tenor, nur ist er unglaublich hoch gesetzt, liegt ständig über dem fis-gis-Formantenwechsel und daher sehr schwer zu singen. Bei Mařenka sieht es ähnlich aus – ein bisschen eine Partie wie: »Pamina plus«. Aber wenn man diese tschechische Musik bis zu Janáček weiterverfolgt, werden die Tenöre und Soprane noch einmal dramatischer, da benötigt man tatsächlich Spinto-Stimmen, die eine gewisse Schlagkraft aufweisen. 

pb Aber im Gegensatz zu Smetana singt sich Janáček gut. Janáček hat nämlich die tschechische Sprachmelodie beim Komponieren berücksichtigt. Geschrieben sehen die Noten bei ihm sehr kompliziert aus, aber es klingt extrem natürlich und das macht es leichter. Nicht einfach, aber leichter. Bei Smetana kommt als Schwierigkeit noch dazu, dass man als Sänger mehr geben muss als bei Donizetti, Verdi oder Mozart, weil das Orchester mit den Stimmen mitgeht, also nicht bloß eine Umtata-Umtata-Begleitung spielt. Zur Entstehungszeit der Verkauften Braut, als die Instrumente aufgrund der früheren Bauweise und der früheren Materialien noch weniger Volumen entwickelt hatten, war das weniger ein Problem. Aber genau genommen gilt Ähnliches auch für das heutige Belcanto-Orchester: Die heutigen Instrumente sind nicht sängerfreundlich.

Zum Abschluss eine sehr wichtige Frage. Wann haben Sie jeweils Ihre erste Verkaufte Braut-Erfahrung gemacht – sei es als Zuschauer oder als Interpret?

sz Ich habe meine erste Verkaufte Braut live mit sechzehn Jahren gesehen und dieses Erlebnis gab dann den Ausschlag, mich bewusst für den Beruf der Sängerin zu entscheiden. Das Stück war also schicksalhaft für mich. 

pb Mein erster Kontakt zu dieser Oper fand via Fernsehen statt – es handelte sich um die total kitschige Inszenierung von František Filip mit Peter Dvorský und Gabriela Beňačková als Jeník und Mařenka: Alle waren in bunten Trachten gekleidet, und das Dorf schien aus Lebkuchenhäusern zu bestehen. Mittlerweile habe ich mehrere unterschiedliche Produktionen selbst singen dürfen.

ml Um ehrlich zu sein, kannte ich die Oper vor meinem Vašek-Debüt in München eher nur vom Hörensagen. Aber seit jener Produktion liebe ich das Werk und die Rolle, aus der man wirklich viel machen kann, ungemein.

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