Wenn sich Leben und Kunst durchdringen

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Vom Wal­des­rand zur Opern­büh­ne: Wie KS Sir Simon Keen­ly­si­de Le­ben und Kunst mit­ein­an­der ver­bin­det.

»Man er­war­tet von mir, dass ich sa­ge: Die O­per, die Auf­trit­te und Pro­ben, die Mu­sik, die Wer­ke er­fül­len mich. Und – was soll ich sa­gen? Es stimmt.«

KS Sir Si­mon Keen­ly­si­de kehrt im Ok­to­ber und No­vem­ber in ei­ner Vor­stel­lungs­se­rie von Claude De­bus­sys Pelléas et Mélisande als Go­laud an die Wie­ner Staats­oper zu­rück.

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Man hat mich ge­be­ten, über mein künst­le­ri­sches Selbst­ver­ständ­nis zu schrei­ben, über den Hu­mus, der mein Künst­ler­tum nährt. Nun fühle ich mich ge­ra­de dies­be­züg­lich recht un­si­cher, da ich mir mit der De­fi­ni­ti­on Künst­ler so schwer­tue. Manch­mal emp­fin­de ich mich eher als eine Art Bo­gen­schüt­ze denn als Künst­ler. Als einen Bo­gen­schüt­zen, der hofft, ge­nü­gend Pfei­le im Kö­cher zu ha­ben, um sich im schwie­ri­gen Da­sein auf der Stra­ße des Le­bens nicht all­zu sehr zu ängs­ti­gen.

Ich liebe meine Ar­beit als Sän­ger, aber all das, was sich zwangsläufig um die­sen Be­ruf an­samm­elt, ist mir un­er­träg­lich. Vor zehn Jah­ren war es bei­spiels­wei­se so weit, dass ich ein­fach keine Ho­tels mehr se­hen konn­te. Und seit­her ziehe ich mit mei­nem Wohn­mo­bil und mei­nem Mo­tor­rad von Stadt zu Stadt. Man­che wer­den das für ex­zen­trisch hal­ten. Viel­leicht ist es das auch, aber ich bin wirk­lich glück­lich mit die­ser Ent­schei­dung. Selbst­ver­ständ­lich lade ich keine Kol­le­gen oder gar In­ten­dan­ten in mein Wohn­mo­bil ein – die wür­den das nicht ver­ste­hen. Müs­sen sie auch nicht. Ich kann mir le­bend­haft vor­stel­len, was sie sich den­ken über Kom­fort und der­glei­chen. Aber: Wäh­rend ich die­se Zei­len schrei­be, sitze ich am Tag nach der Falstaff-Pre­mie­re in Brüs­sel am Ran­de der Ar­den­nen in ei­nem der schöns­ten Wäl­der. Was der Hu­mus mei­nes Künst­ler­da­seins ist? Nun: die Na­tur. Sie be­ru­higt mich, in­spi­riert mich, trös­tet mich und er­mög­licht mir die Ver­bin­dung zu die­ser wun­der­ba­ren Welt, in der wir le­ben.

Zwi­schen den Vor­stel­lun­gen sitze ich also hier im Wald, sam­mle Pilze, schnit­ze Holz­löf­fel oder eine Schüs­sel. Oder ich gehe ein­fach nur spa­zie­ren und lasse die Opern­tex­te, die Mu­sik, die An­wei­sun­gen der Re­gis­seu­re und Di­ri­gen­ten Re­vue pas­sie­ren. So durch­drin­gen sich Le­ben und Kunst auf idea­le Weise. Ich brau­che nicht viel und habe al­les um mich in mei­nem Wohn­mo­bil: ei­nen Ven­ti­la­tor, ein paar Werk­zeu­ge zum Bas­teln, eine klei­ne Bi­blio­thek, No­ten, ein Fo­to­al­bum mit den Bil­dern mei­ner Frau und mei­ner Kin­der. Für den Win­ter ei­nen Ofen. Ein klei­nes Ar­beits­zim­mer halt. Oder noch bes­ser: ein vor­über­ge­hen­des Zu­hau­se. Ich rei­se also die gan­ze Zeit in mei­nem Zu­hau­se her­um. Was der Hu­mus mei­nes Künst­ler­da­seins ist? Mei­ne Fa­mi­lie! Lei­der kann sie mich nicht un­ent­wegt be­glei­ten, aber das ist in Ord­nung so.

Al­lein in den letz­ten zwölf Mo­na­ten muss­te ich drei neue Rol­len ler­nen – die Ti­tel­rol­le im Falstaff bei­spiels­wei­se. Das ist viel Mu­sik! Das ist an­stren­gend! Aber Mu­sik ist für mich eine wich­ti­ge Quel­le des Da­seins. Über­haupt liebe ich die Kunst in all ih­ren Da­seins­for­men. Und je mehr sie sich ver­ei­ni­gen, des­to bes­ser. Syn­äs­the­sie ist et­was Groß­ar­ti­ges – die­se Zu­sam­men­schau al­ler Sin­ne: das Se­hen, das Hö­ren, das Rie­chen, das Schme­cken. Die Kunst­form Oper be­dient sehr viel da­von.

Man er­war­tet von mir, dass ich sa­ge: »Die Oper, die Auf­trit­te und Pro­ben, die Mu­sik, die Wer­ke er­fül­len mich.« Und was soll ich sa­gen? Es stimmt. Und wenn ich in ei­ner der gro­ßen Städ­te auf­tre­te, kom­men auch die Mu­se­en dran. Oder ich schlend­re durch be­son­ders schö­ne Stadt­vier­tel – de­rer es zum Bei­spiel in Wien vie­le gibt.

Ha­be ich ein Le­bens­re­zept? Ja, ich be­her­zi­ge die Schluss­er­kennt­nis des Ford (den ich ein Vier­tel­jahr­hun­dert lang sin­gen durf­te), die sinn­ge­mäß be­sagt, dass je­der, der sein Schick­sal nicht über­win­den kann, es mit An­mut ak­zep­tie­ren muss. Sehr klug. Man soll­te also nicht ver­su­chen, al­les im Le­ben zu kon­trol­lie­ren, son­dern das sich Ge­ben­de an­neh­men. Ich habe ei­nen Groß­teil mei­nes Le­bens tat­säch­lich nach die­ser Max­i­me ge­lebt – es je­den­falls ver­sucht. Und mit zu­neh­men­dem Al­ter wird mir die Rich­tig­keit die­ser Weis­heit im­mer kla­rer.

Und was wer­de ich jetzt als Nächs­tes ma­chen? Ich wer­de zu die­ser gro­ßen Bu­che hin­ter dem Wohn­mo­bil ge­hen und nach­schau­en, ob die Pilze nach­ge­wach­sen sind. Sie sind sehr wohl­schme­ckend. Ich mag aber auch die gif­ti­gen – ein­fach nur so zum An­schau­en. Sie sind wun­der­schön. Und da­nach? Da­nach gehe ich den Falstaff noch ein­mal durch. Ohne be­son­de­ren Grund – er sitzt oh­ne­hin, aber et­was in mir sehnt sich da­nach, die No­ten her­vor­zu­neh­men.

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