Verehrtes Publikum!
Vom Haus |

Dieses verwirrende, atemberaubende Bild. Eine erst auf den zweiten Blick erkennbare Staatsoper, die Logenränge nur rudimentär vorhanden, Baulichter, rohe Baumstämme im Zuschauerraum: Eine Momentaufnahme des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Zerstörung und Aufbau, Identität und schuldhafte Vergangenheit, Sehnsucht und der Wille zum Neubeginn, all das steckt in diesem Bild. In diesem Herbst jährt sich die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper zum 70. Mal.
Und tatsächlich ist dieses Ereignis bis heute fester Bestandteil der großen Erzählung des Hauses am Ring. Mehr noch, dieser 5. November 1955 ist ein wesentlicher Punkt der jüngeren österreichischen Geschichte – weil es dabei um mehr ging als um einen Opernabend. Es war so etwas wie der überwältigende, kumulierte Eindruck eines Neubeginns, mit all den Hoffnungen, Wünschen und leider auch Verdrängungen, Leugnungen und Beharrungen.
Dass über der Wiedereröffnung inzwischen auch eine solide Legendenkruste liegt, erleben wir immer wieder. So übersteigt etwa die Zahl derer, die glaubhaft versichern, am 5. November beim Eröffnungs-Fidelio anwesend gewesen zu sein, ein Mehrfaches des Fassungsvermögens des Hauses. Man sollte das nicht zu harsch sehen. Es zeigt, welche Bedeutung dieses Datum für viele hat, nicht nur in der Erinnerung, sondern auch im Herzen.
In den nächsten Wochen und Monaten werden wir immer wieder auf das komplexe Thema Herbst 1955 wie auch auf seine Vor- und Nachgeschichte verweisen. So etwas wie der Beginn dieser Auseinandersetzung ist das erstmalig stattfindende Opern-Air-Galakonzert am 7. September, das der Wiedereröffnung gewidmet ist. Der Bogen wird weit reichen; wenn man so will, bis zur Fidelio-Premiere im Dezember 2025. Wir freuen uns darauf, diese Reise gemeinsam mit Ihnen zu machen –
herzlich,
Bogdan Roščić
Direktor der Wiener Staatsoper