An der Trennlinie der Welt
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Es ist kein helles Werk, das der Komponist Piotr Iljitsch Tschaikowski der Welt mit seiner »Pique Dame« überantwortete. Zwar eine Oper, die voller Liebe steckt, doch Liebe in ihrer zerstörerischen, destruktiven Form.
Hermann, die zentrale Figur der Handlung, findet als grüblerischer Einzelgänger keine Anbindung an die ihn umgebende Gesellschaft; er liebt Lisa, doch bringt ihn die wirtschaftliche Ungleichheit – sie ist vermögender als er – um den Verstand: Mehr und mehr konzentriert sich sein Denken auf eine mysteriöse alte Gräfin, die ein Geheimnis um drei unschlagbare Karten kennt. Drei Spielkarten, die ihm Reichtum bringen sollen – und damit auch das Liebesglück. Doch der Wahn nimmt überhand, Hermann tötet, verliert seine Liebe und seinen Lebenssinn; was bleibt, ist ein einsamer Tod.
Selten fand sich ein Komponist in einer Figur so wieder, wie es Tschaikowski in seinem Hermann tat. Die zerklüftete Seele, die zwischen Menschen, aber auch in der Einsamkeit litt, die Verzweiflung am Leben, die Trostlosigkeit und Angst, all das waren Zustände und Wahrnehmungen, durch die der Komponist tagtäglich zu gehen hatte. So erstaunt es nicht, dass er gerade mit dieser Pique Dame ein besonderes Meisterwerk schuf, das zu seinen wichtigsten Musiktheaterwerken zählt. Tschaikowski spürte dies, und so schrieb er in einem berühmt gewordenen Brief an seinen Bruder Modest, der das Libretto verfasst hatte:
»Entweder ich befinde mich in einem schrecklichen Irrtum, oder »Pique Dame« ist wirklich mein chef d’OEuvre.«
Und der sonst so selbstkritische Komponist ging sogar noch weiter, als er notierte: »Es scheint mir jetzt, dass die Weltgeschichte in zwei Zeitabschnitte geteilt ist: in den ersten gehört alles, was sich seit der Erschaffung der Welt bis zur Komposition von Pique Dame abgespielt hat. Der zweite hat vor einem Monat begonnen. « Und das natürlich pünktlich einen Monat nach Abschluss der Komposition...
Doch nicht nur Stolz, auch Schmerz brachte ihm das Werk während der Arbeit. Bitterliche Tränen, so liest man, habe er geweint, als er den Tod Hermanns im Finale der Oper komponierte, und vom Schauer wurde er gepackt, als es um die Geistererscheinung der alten Gräfin ging. Ein höchstpersönliches, intensiv durchlebtes Werk also.
Doch die Qualität der Pique Dame erschöpft sich freilich nicht in einer persönlichen Beziehung und im Stolz des Komponisten. Es ist die musikalische Reife, die an diesem Werk fasziniert. All das, was Tschaikowski in seinen Symphonien, seinen Liedern und früheren Musiktheaterwerken gelernt hatte, floss in dieses Spätwerk ein, das drei Jahre vor seinem Tod im Mariinski-Theater uraufgeführt wurde. Eine klanglich illustrierende Bildersprache, in Musik codierte Symbolik, wie die Unerbittlichkeit des Schicksals als absteigende Tonfolge und bewusste Rückgriffe in die Musikgeschichte stehen großen Melodie-Würfen gegenüber. Die Wahrheit des Gefühls im Gegensatz zum staubig-pompösen Ausstattungstheater der Vergangenheit, die Unmittelbarkeit der Aussage, eine Analyse des Netzwerks menschlicher Beziehungen und Psychologien: darum ging es Tschaikowski!
Regisseurin Vera Nemirova hat in ihrer 2007 herausgekommenen Inszenierung die tragische Oper zudem in eine Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs gesetzt, in der die Welten zwischen arm und reich immer weiter auseinanderdriften: So wird Hermanns versessene Jagd nach Geld und Wohlstand, mit der er anfangs die bessergestellte Lisa zu erobern versucht, noch einleuchtender und verständlicher. In der Wiederaufnahmen-Serie erlebt man KS Anna Netrebko in der Rolle der verzweifelten Lisa: eine für die Wiener Staatsoper neue Rolle »der« Netrebko, die damit nach der Tatjana in Eugen Onegin ihre zweite Tschaikowski-Partie im Haus am Ring gestaltet. In weiteren Rollen sind Yusif Eyvazov (Hermann), Elena Maximova (Polina), Elena Zaremba (Gräfin) und Boris Pinkhasovich (Jeletzki) zu hören. Als Dirigenten begrüßt die Wiener Staatsoper einen Hausdebütanten: Timur Zangiev.