Musik, die ans Herz geht

Interview |

Tomáš Hanus dirigiert die Premiere der »Verkauften Braut«; im Vorfeld ein Gespräch über Werk und Komponist.

Er dirigierte an der Wiener Staatsoper 2020 die umjubelte Premiere von Eugen Onegin, weiters Vorstellungen von Jenůfa, Rusalka und Hänsel und Gretel: Tomáš Hanus. Geboren wurde er in Brünn, ist heute international gefragt, feiert Erfolge unter anderem an der Mailänder Scala, an den Staatsopern in München, Paris, Tokio und Prag, ist Musikdirektor der Welsh National Opera und ebenso umworben als Dirigent großer Symphonieorchester. Im September wird er die Premiere der Verkauften Braut leiten.

Lieber Maestro Hanus, wenn Sie an die Verkaufte Braut-Partitur denken. Welche drei Schlagworte fallen Ihnen als erste ein?

Brillant. Sehr berührend. Witzig. – Aber nicht so witzig.

Eines der Diskussionsthemen dieser Oper ist die Frage: Handelte es sich in der Uraufführungszeit um eine Nationaloper? Und wenn ja: Was war das Nationalopern-hafte daran?

Das ist ein Thema, für das man eigentlich ein Symposium braucht. Ich persönlich denke, dass die Oper damals sicherlich so verstanden wurde und es war ebenso sicherlich auch Smetanas Absicht, etwas »typisch Tschechisches« zu komponieren. Auf der anderen Seite: Wenn wir seine gesamte Biografie und sein Schaffen heranziehen, dann gäbe es Werke, die als Nationalopern naheliegender gewesen wären als die Verkaufte Braut. Es ist darüber hinaus – im Hinblick auf das, was uns heute zum Begriff Nationaloper einfällt – ein bisschen schwierig, dieses Wort zu verwenden. Jedenfalls: Smetana hat mit dem Werk ein sehr überzeugendes Werk angeboten – und das ist die Hauptsache.

Die Verkaufte Braut wurde, wie Sie sagen, als Nationaloper verstanden. Was aber empfand man in puncto Musik als tschechisch? Smetana verwendete keine Volkslieder – wären es die Tänze, die in der Oper vorkommen?

So ist es! Wobei man sagen muss, dass Smetana die Tanzmusik, die er in der Volksmusik vorfand, in Hinblick auf Qualität und Brillanz weiterentwickelt hat. Mit anderen Worten: Es war keineswegs so, dass er die originale Tanzmusik aus bestehenden Quellen einfach nur eingebunden hat. Sondern es lag ein Akt des Komponierens und musikalischen Ausformulierens vor. Genau genommen muss man den Aspekt des Tschechischen in der Verkauften Braut so formulieren: Was man hört, ist typisch Smetana. Später sagten die Leute zu diesem Stil: Das ist typisch tschechisch. Und irgendwann wurde diese von ihm geprägte Klangsprache zur Tradition. In Wahrheit aber ist es mehr Smetana als alles andere. Überspitzt formuliert könnte man zu all dem sagen, dass er ein erstklassiger deutschsprachiger Komponist war, der die tschechische Musiktradition begründet hat. Ein Witz – aber für das Verständnis der Sache nicht ganz falsch.

Die Arbeit an der Oper erfolgte in Schüben, Smetana überarbeitete die Partitur mehrfach. Gespielt wird an der Staatsoper die Letztfassung – hat es Überlegungen bezüglich der unterschiedlichen Versionen gegeben?

Man kann anhand der Fassungen dieser Oper dem Kompositionskampf, den Smetana durchmachte, folgen. Ursprünglich wollte er ein Singspiel, eine leichte Operette. Dann aber veränderte er das Werk, die gesprochenen Dialoge wandelte er zu Rezitativen um und die Klangwelt wurde eine tiefergreifende. Wir bringen die populäre letzte Fassung, denn diese war seine bevorzugte. Und man kann ganz objektiv sagen, dass die späteren Änderungen das Werk besser gemacht haben.

Smetana selbst war von der Oper nicht vollends überzeugt, sein Librettist nicht vom Text. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Weltweit betrachtet ist die Verkaufte Braut sicherlich sein bekanntestes Opernwerk. Aber ich kann verstehen, dass er aus seinem Blickwinkel andere Opern, die international schwieriger zu vermitteln waren, für wichtiger hielt. Und es hat sicherlich auch damit zu tun, dass er sich in seinem Personalstil – den wir natürlich bei der Verkauften Braut sehr deutlich erleben – später noch weiterentwickelt hat. Das merkt man ja auch bei den nachträglich in die Verkaufte Braut eingefügten musikalischen Nummern. Was das Libretto betrifft: Die Textbücher, die er vertonte, waren immer wieder ein Problem, immer wieder wurden ihm durch deren mäßige Qualität Grenzen gesetzt. Dazu kommt, dass er sich in der deutschen Sprache komfortabler fühlte als im Tschechischen; und daher gibt es in den Werken regelmäßig auch fragwürdige Verbindungen von Text und Musik. So gesehen ist es gar nicht unberechtigt, die Verkaufte Braut auf Deutsch zu spielen.

Mit fraglichen Verbindungen von Musik und Wort meinen Sie, dass zum Beispiel Betonungen in Text und Musik nicht kongruent sind?

Ja, oder dass der Aufbau von Sätzen untypisch oder sperrig ist.

Damals lagen viele musikalische Beeinflussungen in der Luft. Richard Wagner natürlich, aber auch das Werk von Mozart. Welche Bezugspunkte empfinden Sie bei Smetana als prägend?

Ich würde sagen, dass man die tschechische Romantik in der Verkörperung von Bedřich Smetana und Antonín Dvořák als eine slawische Version einer Nach-Mozart-Entwicklung verstehen kann. Diese mitunter fast schlicht anmutende Romantik lässt später, etwa bei Rusalka, fast impressionistische Einflüsse spüren – der eigentliche Ausgangspunkt aber bleibt immer Mozart. Was nun Richard Wagner betrifft: Bei Smetana findet sich sicherlich eine entsprechende Inspiration, denken wir an das Orchester, das auch dramaturgisch eine so enorm tragende Rolle spielt; denken wir an Aspekte wie Leitmotiv oder eine unendliche Melodie. Aber dennoch muss ich Smetana vor dem Vorwurf des Wagner-Eklektizimus verteidigen. Denn Einflüsse: ja, aber er blieb immer ganz er selbst.

Das würde auch bedeuten, dass die Sängerinnen und Sänger aus dem Mozart-Fach kommen sollen.

Zweifellos funktioniert es vokal und stilistisch sehr gut, wenn man in manchen Rollen auf Mozart-Stimmen zurückgreifen kann. Es gibt aber auch Konzepte in der tschechischen Tradition, die eine andere Besetzung vorschlagen, nämlich zum Beispiel aus der Tschaikowski-, Mussorgski-, Weber- oder Wagner-Richtung kommend. In erster Linie geht es jedoch darum, Phrasierung, Farben, Stimmungen zu verstehen und Smetana-entsprechend umzusetzen. Wenn man das verinnerlicht, sind viele Fragen beantwortet.

Sie meinten am Beginn des Gesprächs, dass die Verkaufte Braut ein witziges Werk ist, aber nicht so witzig.

Erstens zeigt Smetana in dieser Komödie auch dunklere Seiten und begnügt sich nicht mit einem leichten Humor. Und zweitens macht er sich nicht lustig über seine Figuren. Man kann das am Beispiel von Vašek demonstrieren: Smetana komponiert seinen Charakter sehr ernsthaft, sein Stottern sehr detailliert, aber neben dem witzigen Aspekt lacht er ihn musikalisch nie aus. Es geht um Mitgefühl, man muss auch den Schmerz der Figur hören.

Zeichnet Smetana andere Figuren auch mit einer solchen Genauigkeit? Gibt es musikalische Personencharakterisierungen?

Ja, ein gutes Beispiel ist Kecal. Das ist ein Mensch, der sich selbst gerne sprechen hört und daher wiederholt er immer wieder Dinge, die er schon mehrere Male gesagt hat. Und damit sind wir übrigens beim Thema Übersetzung bzw. Neuübersetzung. Denn dieses fast primitiv Repetitive in Kecals Sprache war in anderen Übersetzungen nicht so klar dargestellt – aber es ist von besonderer Bedeutung, um den Charakter zu verstehen. Er ist eine Figur, die einen ganzen Abend lang singen kann und dennoch eigentlich sehr wenig sagt. Das darf im Deutschen natürlich nicht fehlen. Jeník und Mařenka wiederum müssen von einer ganz besonderen, typischen Smetana’schen Lyrik getragen werden. Sie ist voller Innigkeit und Schlichtheit – und sehr schwierig zu erzeugen. Denn Empfindung und Sentimentalität werden nur durch eine gefährlich schmale Grenze getrennt. Und nur, wenn man auf der richtigen Seite dieser Grenze bleibt, erstrahlt die Musik in ihrer vollen, ehrlichen Schönheit.

Welche Funktion ist dem Chor zugeordnet?

Dass Smetana gelernt hat, den Chor gekonnt einzusetzen, war ein entscheidender Teil seiner persönlichen Entwicklung als Komponist. In der Verkauften Braut hat der Chor weniger eine dramatische Funktion als jene des brillanten Zeichnens der Atmosphäre, das Aufzeigen der Realität des Dorflebens. Es handelt sich um absolute Meisterstücke, und alle Ensembles freuen sich, diese gestalten zu dürfen.

Ich hake zum Thema Übersetzung nach. Für diese Premiere wurde eine neue erstellt. Wie ist diese entstanden? An welchen Kriterien ist sie ausgerichtet?

Ganz zu Beginn muss man sich entscheiden, in welcher Sprache man die Oper aufführen will. Im Gegensatz zu Werken Leoš Janáčeks ist das Tschechische bei Smetana kein entscheidender Grundsatz, keine zwingende Notwendigkeit, denn seine Musik baut deutlich weniger auf der Melodie der Sprache auf als jene seines Kollegen Janáček. Und wenn man zusätzlich bedenkt, dass gerade die ersten Wiener deutschsprachigen Aufführungen dieser Oper den endgültigen Durchbruch für das Werk brachten und sich eine lange Aufführungstradition daran knüpft, ja, die Verkaufte Braut geradezu auch eine Wiener Heimat hat, ist eine deutschsprachige Aufführung bei allem Respekt zur Originalsprache und den positiven Aspekten solcher Aufführungen voll berechtigt. 

Die bekannten deutschen Übertragungen haben bereits sehr gute Dienste geleistet und die Oper dem deutschsprachigen Publikum geöffnet. Da sie aber in keiner Weise verpflichtend sind, bietet eine neue Übersetzung die Gelegenheit, näher zum Geist und Inhalt des Originals zu gelangen. Eine, die musikalisch korrekt ist, aber auch den Sinn vollständig wiedergibt. Wir sprachen über Charakterisierungen und Nuancen: diese dürfen natürlich nicht verloren gehen; es reicht also nicht, dass etwas nur richtig ist, es muss auch der tiefere Sinn eingefangen und wiedergegeben werden. Und weil das ein Work in Progress ist, wird sich im Probenprozess zweifellos noch einiges tun.

Vielen ist Smetanas Orchester-Zyklus Mein Vaterland beziehungsweise ein Teil daraus, die symphonische Dichtung Die Moldau, ein Begriff. Wenn man nun den Symphoniker Smetana mit dem Opernkomponisten vergleicht: Gibt es entscheidende, nicht nur offensichtlich durch die Genres bestimmte Unterschiede?

Obwohl es große Ähnlichkeiten in der Klangsprache gibt, merkt man beim Vaterland, dass es eine sehr moderne Art des Komponierens ist. Man darf nicht vergessen, dass Smetana damals bereits taub war und sich daher nur in seiner Klangwelt und in seiner Fantasie bewegte – ohne eine Kontrolle durch das Gehör. In dem Sinne würde ich sagen, dass diese symphonischen Werke, wie auch in der Kammermusik die wunderbaren Streichquartette oder das Klaviertrio, im Denken sehr modern waren, fast avantgardistisch. Auch das Vaterland ist weniger harmlos komponiert, als es manchmal verstanden wird, mit scharfen Ecken und Kanten. Die Opern hingegen sind traditioneller angelegt.

»Smetana kann unschuldig, ohne dass ein Konstruktionsprinzip oder ein kompositorisches Muster durchscheint, etwas Wunderschönes, zutiefst Berührendes und ans Herz Gehendes erzählen.«

Wenn Smetanas Vaterland-Zyklus mitunter zu harmlos interpretiert wird: Gilt das auch für die Verkaufte Braut? Gibt es auch da eine Tradition, die klanglich glättend zugreift?

Meine Heimat war im 20. Jahrhundert viele Jahrzehnte lang kein freies Land. Die Verkaufte Braut wurde in dieser Zeit zu politischen Zwecken ausgenutzt und in dem totalitären System als unproblematische Unterhaltung missbraucht. Nach dem Motto: Das Volk soll den Mund halten und sich über eine vermeintlich harmlose, komische Oper freuen. Und selbst, wenn große Dirigenten, Sänger, Regisseure an den Produktionen wirkten, gab es doch immer interpretatorische Mauern, an die man stieß. 

Ich möchte als Beispiel noch einmal auf den vorhin angesprochenen Vašek hinweisen: Es ist eine betroffen machende Angelegenheit, wenn man diesen Sohn erlebt, der nie erwachsen geworden ist, der halt einfach nur reich ist, aber für die wirtschaftliche Stabilität der Familien ausgenützt wird. Passt sein Charakter wirklich in eine glatte Nationalfeier? Oder Mařenka, ist sie denn tatsächlich dieses klischeehafte Dorfmädchen, das man gerne in romantischen Bildern malt? Natürlich nicht. Zweifellos ist die Musik der Verkauften Braut so stark, dass sie dieses Verbiegen zum Teil erträgt. Wenn man sie aber ehrlich interpretiert, hört man viel Komplexes, und bei Weitem keine ungefährliche Popcorn-Oper.

Allerletzte Frage. Gibt es einen Aspekt, den Sie als besonders aktuell für ein heutiges Publikum empfinden? Wenn etwa ein Opernneuling die Vorstellung betritt – ein Aspekt, von dem Sie sagen: Da, genau darauf achten!

Ich habe vorhin das Wort Schlicht­heit verwendet, und das im besten Sinne des Wortes. Ich empfinde in der Musik etwas ganz Unkalkuliertes, Unkommerzielles, Nicht-Erzwungenes. Schon in meinen jungen Jahren hat mich das ausgesprochen stark angesprochen, so intensiv, dass mir bei manchen lyrischen Stellen die Tränen in die Augen getreten sind. Smetana kann unschuldig, ohne dass ein Konstruktionsprinzip oder ein kompositorisches Muster durchscheint, etwas Wunderschönes, zutiefst Berührendes und ans Herz Gehendes erzählen. Vielleicht ist es diese Unaufdringlichkeit, die gerade auch ein noch nicht so versiertes Publikum in den Bann zieht.

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