Mozart ohne Kosmetik

Interview |

Philippe Jordan blickt im Gespräch mit Andreas Láng & Oliver Láng auf fünf Jahre als Musikdirektor der Wiener Staatsoper zurück.

Fangen wir mit dem gestrigen Abend – der Tannhäuser-Premiere – an. Wie geht es Ihnen am Tag nach einer Premiere? Sind Sie noch im Endorphinmodus? Oder öffnet sich bereits der Blick für Neues?

Erst einmal empfinde ich große Dankbarkeit für eine wunderbare Premiere, Dankbarkeit an alle Beteiligten, neben den Sängern möchte ich besonders die Leistung des wunderbaren Orchesters und natürlich auch des wunderbaren Chores hervorheben.

Natürlich ist man am Tag danach etwas erschöpft, aber es ist auch die Anspannung von uns allen abgefallen, die im Vorfeld eines solchen Abends alle fühlen. Wenn die Premiere dann gut läuft, ist eine allgemeine Erleichterung zu spüren.

Aber: Neben den Tannhäuser-Folgevorstellungen fangen gerade die Proben für den Ring des Nibelungen-Zyklus an und darüber bin ich sehr froh, denn das Schlimmste ist, wenn man nach einer Premiere in ein Loch fällt. So aber geht es weiter und das ist ein gutes Gefühl!

Wenn wir auf die letzten fünf Jahre zurückblicken, sehen wir ungemein viele Details, einzelne Premieren, Repertoireabende. Welche aber waren die großen Züge, die bestimmenden Schwerpunkte?

Das Zentrum hieß von Anfang an Mozart. Er war die Basis, wobei immer klar war, dass von diesem Mittelpunkt viele Einflüsse ausgehen und Kreise gezogen werden, egal, ob man Tschaikowski, Strauss, Wagner, Verdi oder Puccini spielt.

Die Gräfin in Le nozze di Figaro kann auch eine wunderbare Eva in Wagners Meistersinger sein, der Graf könnte auch einen Onegin oder den Wolfram im Tannhäuser singen. Mozart war die Energiequelle, deren Wirkung quer durchs Repertoire strahlte. Es war also naheliegend, dass wir konsequent an Mozart gearbeitet haben.

Wir wollten und haben aus internationalen Kräften ein entsprechendes Ensemble gebildet, das nach und nach zusammengewachsen ist. All die Jahre wurde an einer gemeinsamen musikalischen Sprache gefeilt, nicht nur bei den Sängerinnen und Sängern, sondern auch im Orchester und im Chor. Es ging um Spielweisen, um das Reagieren aufeinander, um einen besonderen Stil.

Damit haben wir bereits im ersten Jahr angefangen: Mit einer Wiederaufnahme der alten Le nozze di Figaro-Produktion. Dann kam ein neuer Da-Ponte-Zyklus mit Regisseur Barrie Kosky. Dass alle drei Werke von einem Regisseur gestaltet wurden, war wichtig, denn selbst, wenn jede Oper ihre eigene szenische Interpretation hat, gab es doch eine gemeinsame Bühnensprache.

Bereits bei der ersten Premiere des Da-Ponte-Zyklus, Don Giovanni, waren die Weichen endgültig gestellt und wir konnten mit Freude beobachten, wie letztlich das Gesamtkonzept aufging. Was für ein Glück, als wir im Frühjahr den ganzen Zyklus spielten: eine wunderbare Geschlossenheit, eine solche Homogenität!

Ein Höhepunkt war auch das konzertante Giovanni-Gastspiel in Paris: Von der Ouvertüre an war das Ganze wie aus einem Guss!

Betrifft diese Homogenisierung auch das Orchester?

Da geht weniger um den Klang, denn das Staatsopernorchester hat ja an sich einen wunderbaren Mozartton und jeder weiß um die ungemeine Sensibilität des Klangkörpers und dass die Musikerinnen und Musiker sehr genau auf die Bühne hören.

Man muss, besonders bei Mozart, hier nicht viel erläutern. Gerade darum habe ich mit dem Orchester bei Mozart auch nie Alleinproben gemacht. Wozu auch? Macht man bei einem Mozart-Klavierkonzert ja auch nicht… Lieber gleich mit den Sängern eine Oper gemeinsam erarbeiten!

Natürlich muss man sich einigen: In welche Richtung will man musizieren? Etwas traditioneller? Lässt man neue Einflüsse zu? Die Herausforderung dabei ist, dass so viele verschiedene Einflüsse gleichzeitig im Orchester zu finden sind und es Zeit braucht, ein einheitliches Klangbild auf Schiene zu bringen.

Mir persönlich war immer Transparenz und ein artikuliertes Spielen in der Arbeit mit dem Orchester wichtig. Auch darum war dieser Zyklus so entscheidend.

In welchem Zusammenhang steht da Ihre Rezitativbegleitung am Hammerklavier

Ich mache das insofern gern, weil die Rezitative eigentlich der innere Motor der Da-Ponte-Opern sind. Ganz besonders sie muss man mit Leben erfüllen, um die jeweilige Theatersituation genau zu erfassen.

Arbeitet man mit einem so wunderbaren Regisseur wie Barrie Kosky, der die Rezitative perfekt auf den Punkt gebracht hat, zusammen, funktioniert das besonders gut. Vieles wird dabei natürlich im Laufe der Proben entwickelt.

Aber auch im Moment der Aufführung kann man vom Hammerklavier her eingreifen, indem man etwa einen Akzent setzt, etwas zurückhält oder vorwärtstreibt. Abgesehen davon ist es angenehmer mitzuspielen, als nur dazusitzen; am Hammerklavier bin ich Teil des Ganzen.

Sie haben von einer musikalischen Sprache bei Mozart gesprochen. Wie kann man diese beschreiben? Wie beschreibt Philippe Jordan seine musikalische Mozartsprache? 

(lacht) Das sollen wirklich andere beurteilen!

Anders gefragt: Welche musikalische Grammatik wollen Sie vermitteln?

Also erstens geht es mir, wie vorhin angesprochen, um eine Einheitlichkeit. Zweitens: Je weniger Drumherum es bei Mozart gibt, umso besser. Also: Keine Kosmetik. Denn es ist bereits alles in der Musik enthalten, und wenn man sie so spielt, wie sie geschrieben steht, gelingt sie am besten.

So bin ich bekanntlich kein großer Freund von zusätzlich beigefügten Verzierungen, auch wenn man manches vielleicht zu Mozarts Zeit so gemacht hat. Da und dort: ja. Aber im Wesentlichen sind mir Reinheit und das Pure am liebsten, sowohl in den Gesangsstimmen als auch im Orchester.

Drittens und viertens: Klangschönheit und natürlich eine gute Intonation. Fünftens: Mir sind Leichtigkeit und Lebhaftigkeit wichtig. Selbst wenn im Repertoirebetrieb mitunter zur Sicherheit manches etwas langsamer gespielt wird, bin ich ein Freund von zügigeren Tempi. Es braucht einfach diesen inneren Motor, eine gewisse Brillanz und Geschwindigkeit.

Und Sechstens: Obwohl Perfektion gefordert wird, darf man sich nicht in ihr verlieren. Immer braucht es das Spontane, Unmittelbare, Lebendige.

Weil Sie die stilistische Einheitlichkeit erwähnt haben: Ist eine solche etwa bei Richard Wagner einfacher zu erreichen, weil es nicht so viele divergierende Sichtweisen gibt?

Viel einfacher! Bei Mozart gibt es mittlerweile so viele verschiedene, sich zum Teil extrem widersprechende Zugänge.

Die Wiener Philharmoniker betonen immer wieder, dass ihr Klang besonders auch von zwei Orten geprägt ist: von der Wiener Staatsoper und vom Musikverein. Kann man dementsprechend auch sagen, dass Sie in diesen fünf Jahren von der Wiener Staatsoper geprägt wurden?

Natürlich! Ich hoffe meinerseits, dem Haus etwas gegeben zu haben, aber natürlich hat mir das Haus unglaublich viel geschenkt!

Allein mit diesem Orchester jeden Tag zu interagieren, ist unglaublich bereichernd. Mir ist immer wieder aufgefallen, wie ich vieles von dem, was ich hier erfahren habe, an anderen Orten anderen Orchestern weitergegeben habe. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst.

Der Beginn Ihrer Zeit war auch von Corona geprägt.

Das war eine schwierige Zeit, aber ich denke, dass wir stolz darauf sein können, wie gut das Haus diese Phase gemeistert hat.

Wir haben nicht zugemacht, sondern gezeigt, dass wir für das Publikum, wenn auch in anderer Form, nämlich übers Fernsehen, da sind.

Immer wieder haben Sie an mehreren Tagen hintereinander unterschiedliche Werke dirigiert. War das dem Repertoirebetrieb geschuldet? Oder hat Sie das künstlerisch weitergebracht?

Das ist einfach die Realität hier am Haus und für mich eine Verpflichtung des Kapellmeisterberufes im besten Sinne. Das war früher durchaus so üblich, dass man an einem Abend Madama Butterfly leitet, am nächsten Tristan und Isolde und dann einen Figaro. 

Es gehört einfach zum Beruf, vielleicht einmal sogar ohne Probe. Für das Orchester ist es ja ebenso der Theateralltag. Ich sehe das als Zeichen der Lebendigkeit; es ist ein Vorteil, kein Nachteil.  

Inwiefern wirkten die einzelnen Opern über ihren Rahmen hinaus? Haben die Meistersinger vor drei Jahren den aktuellen Tannhäuser beeinflusst?

Natürlich steht jedes Werk für sich. Aber gleichzeitig befruchtet es alle anderen, es ist ein Geben und Nehmen. Selbst Verdis Don Carlo beeinflusst musikalisch die Art und Weise, wie ich den Tannhäuser mache. Dazu kommen die handwerklichen Erfahrungen, die sich im Dirigentenalltag ergeben, auch diese sind nicht stückgebunden.

Wir sprachen über Mozart und Wagner, Sie haben darüber hinaus etwa auch Puccini und Verdi dirigiert. Was war Ihnen noch wichtig?

Natürlich besonders auch Richard Strauss - denken wir etwa an den Rosenkavalier oder Salome - und Alban Bergs Wozzeck. Ein für mich ungemein prägendes Projekt!

Gibt es für Sie die Produktion der letzten fünf Jahre?

Wahrscheinlich die Meistersinger, Figaro und knapp dahinter der aktuelle Tannhäuser. Da hat einfach alles gestimmt, wunderbare Regie, fantastisches Orchester, tolles Sängerinnen- und Sängerensemble, ein glückliches Publikum, eine Einheit von Musik und Szene. Und alle zogen an einem Strang. Es gab natürlich auch viele andere schöne Dinge, Salome, Trittico und so weiter.

Wir Wiener behaupten so gerne, dass die Musik eine große Bedeutung für die Stadt hat. Ist das aus Ihrer Sicht tatsächlich so? Oder ist das nur ein Klischee?

Natürlich ist es so! Es gibt nirgendwo ein Publikum, das so sehr für die Musik lebt, für die Musik und das Theater. Das sich so auskennt, mitgeht und so intensiv reagiert. Nehmen wir Paris: Auch da spielen Musik und Theater eine Rolle, aber es gibt daneben viel anderes ebenso Wichtiges: Literatur, bildende Kunst, Mode, Film. 

Hier in Wien konzentriert man sich auf Musik, also Oper und Konzert und das Sprechtheater. Und dann gibt es hier dieses wunderbare Mitleben mit der Musik, mit diesem Haus und dem Repertoire. Wie viele im Publikum schauen sich immer wieder eine Bohème an, oder auch einen Wozzeck? Wo gibt es das sonst? In der Form kenne ich das nicht.

Was ist für Sie, abgesehen vom Künstlerischen, noch erinnerungswürdig?

Die Herzlichkeit des Publikums! Das ist etwas ganz Besonderes. Ich würde sagen, das Schönste, das einem passieren kann. Denn für das Publikum machen wir das alles ja… Und die Sprache, dieses Rubato im Wienerischen, das man überall spürt, auch im Spiel des Orchesters übrigens. Es hat etwas ungemein Musikalisches.

Und was nehmen Sie mit?

Dass Kunst und Musik wirklich ein Lebenselixier sind. Hier in Wien gibt es, im Vergleich zu anderen Orten, immer wieder sehr dunkle und kalte Winter. Da ist es klar, dass viele gerade in dieser Zeit ins Konzert, in die Oper oder ins Theater gehen. Oder auf Bälle. So etwas braucht es in Kalifornien nicht. (lacht) Aber davon abgesehen: Mitnehmen ist sehr relativ, da ich wahrscheinlich weiterhin in Wien wohnen werde.

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