Maximum an Gefühl
Interview |
Aufrichtigkeit über alles. Dieses Gefühl bekommt man, wenn die Sopranistin Adela Zaharia über Oper, Musik, Rollen und ihr Leben als Sängerin spricht. Mit Begeisterung und Verve, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit gibt sie Einblicke in eine Kariere, die sie nun auch an die Wiener Staatsoper gebracht hat. Und sie beschreibt im Gespräch mit Oliver Láng ebenso die Herausforderungen, die sich einer Sängerin heute stellen.
Die letzten Sekunden vor dem ersten Ton: Was schießt Ihnen durch den Kopf?
Beruhige dich. Beruhige dich. Beruhige dich. Atme tief. Positioniere den Klang. Vergegenwärtige dir, wie der erste Ton klingen soll. Und jetzt los!
Sie kamen aus keinem musikalischen Elternhaus, betraten als Sängerin also Neuland und mussten sich den Weg an die Spitze ohne Hilfe erkämpfen – in einem Interview sprachen Sie von einer gewissen Sturheit, die Ihnen half. Wie war das?
Nennen wir es lieber Beständigkeit. Wissen Sie, ich war kein Naturtalent, nie. Ich musste mit aller Kraft um jeden Schritt kämpfen, gerade auch als Sängerin. Anfangs war ich ganz verloren: Im damaligen Rumänien wusste ich kaum, was außerhalb meiner Heimat passiert, kannte niemanden aus dem Operngeschäft, hatte keine Verbindungen, keine Agentur, wurde unterschätzt. Übrigens: Auch von mir selbst. Und ich hatte extremes Lampenfieber, geradezu Auftrittspanik. Mit anderen Worten: Ich war definitiv nicht die Person, von der die anderen dachten, dass sie eine internationale Kariere machen wird. Also musste ich mir ein dickes Fell zulegen.
Ich musste lernen, mit Ablehnung umzugehen. Damit umzugehen, dass mir Leute sagten, ich sei nicht die Richtige für dieses oder jenes. Daher versicherte ich mir immer und immer wieder: Es wird besser werden! Es wird besser werden! Das meine ich mit Beständigkeit. Die Überwindung von Schwierigkeiten. Tagtäglich. Bis es tatsächlich besser wird. Aber dieser herausfordernde Prozess hat einen großen Vorteil: Ich nehme nie als selbstverständlich hin, was ich erreicht habe und wo ich jetzt stehe. Es fühlt sich alles etwas surreal an, und ich schätze alles Gute, das mir begegnet.
Würde die heutige Sängerin Zaharia die damalige Studentin Adela treffen und sie hätte einen Ratschlag gut – wie würde dieser lauten?
Ich würde sagen: Mach weiter, gib nicht auf, versuch es weiter. Es lohnt sich! Ach, vieles wäre viel einfacher gewesen, wenn mir das jemand gesagt hätte. Wenn ich gehört hätte: Du bist stark genug, du kannst das alles überwinden. Sei einfach du selbst, und alles wird sich zum Guten wenden. Wichtig wäre auch gewesen, hätte ich gewusst, wie lange dieser Prozess dauern kann.
Auf halbem Weg zur internationalen Kariere waren Sie im Opernstudio der Komischen Oper in Berlin. Dort sangen Sie in sehr jungen Jahren die Pamina in der Zauberflöte. War Ihnen bewusst, wie wichtig ein solches Debüt sein kann? Oder waren Sie einfach nur eine junge, zielstrebige Sängerin?
Ich glaube, ein großer Teil meines Glücks bestand immer wieder darin, dass ich mir nicht bewusst war, wie entscheidend eine Gelegenheit gerade ist. (lacht) Hätte ich es verstanden, wäre ich noch viel gestresster gewesen. Vielleicht versuchte ich daher immer wieder, ein wenig ahnungslos zu bleiben, um mit dem Druck besser umgehen zu können.
Als ich zum Beispiel mein Debüt in Paris hatte, fragte mich jemand: »Hast du keine Angst? Das ist das größte Haus, in dem du bisher gesungen hast!« Und bevor er weiterreden konnte und mir sagen konnte, wie viele Plätze das Opernhaus hat, stoppte ich ihn: »Ich will es gar nicht wissen! Ich will nur rausgehen und mein Bestes geben!« Und zur Komischen Oper: Ich denke, die Direktion hat erkannt, dass ich mit allem, das auf mich zukommt, gut umgehen kann. Sonst hätte ich die Pamina, mit der wir um die Welt getourt sind, ja niemals bekommen.
2017 gewannen Sie den Operalia-Wettbewerb, danach ging es mit Ihrer Kariere sehr schnell aufwärts. Mochten Sie diese Geschwindigkeit?
Ich habe gar nicht so richtig realisiert, was passiert ist und wie schnell sich plötzlich die Dinge entwickeln. Mein Leben und meine Laufbahn beschleunigten auf ein Tempo, das ich bis dahin nicht gewohnt war. Damit verbunden war ein enormer Druck, ebenso enorme Anforderungen und Herausforderungen. Und ich mittendrin, das alles nur am Rande wahrnehmend. Ich muss sagen, dass ich irgendwann kurz vor einem Burnout stand und unter dem Druck zusammenzubrechen drohte. Dann folgte die Pandemie und damit ein erzwungenes Abbremsen. Diese Zeit hat mir die Augen geöffnet und mich daran erinnert, dass ich ein Mensch und keine Maschine bin, meine Grenzen habe und mich nicht auf Dauer überfordern darf. Und diese Phase hat mich daran erinnert, was ich im Leben wirklich brauche und was wichtig ist. Als die Arbeit wieder losging, hatte ich eine gänzlich neue Einstellung – und diese hilft mir heute sehr.
»Ich glaube sehr stark an einen Austausch von Energien, und tatsächlich spüre ich das immer wieder. Ich gebe – und erhalte.«
Dann ganz konkret: Was ist wirklich wichtig im Leben?
Ich kann das natürlich nur für mich beantworten, und es klingt jetzt banal, aber: das Glücklichsein. Und um das zu erreichen, braucht es das richtige Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben, zwischen den Zeiten, in denen ich beschäftigt bin und jenen, die ich frei habe. Ich muss unterscheiden können zwischen dem Druck, dem ich gut standhalten kann, und jenem, der zu viel wird. Das sind Dinge, auf die ich zu achten gelernt habe – und ich lerne es immer noch. Letztlich geht es darum, wie ich mit meiner Stimme und meiner Gesundheit umgehe, auch, damit ich auf der Bühne mehr als hundert Prozent geben kann. Denn nur dann macht mir der Beruf als Sängerin Spaß. Es gibt das schöne englische Sprichwort »You can’t pour from an empty cup«. Ich muss also darauf achten, dass meine Tasse niemals leer wird.
Die Arbeit als Sängerin bringt es mit sich, dass es nicht nur Druck gibt, sondern auch strenge Spielregeln. Am Abend vor einem Auftritt nicht lang ausgehen, viel schlafen, gut essen, Vorsicht vor Klimaanlagen und vieles mehr. Das klingt vielleicht gar nicht so kompliziert, doch der Teufel lauert im Detail. Zum Beispiel: Manche geradezu unschuldig wirkende Speisen schaden der Stimme, dehydrieren, sind zu scharf oder verkleben. Nüsse zum Beispiel können Öle enthalten, die sich ungünstig auf die Stimmbänder auswirken. Gewöhnt man sich an all das?
Ich könnte weder behaupten, mich daran gewöhnt zu haben, noch dass es mir besonderen Spaß macht. Dieser disziplinierte Teil meines Lebens fällt mir schwer, weil es um ein ständiges Organisieren und Managen geht. Ich habe zwei Seelen in meiner Brust. Die eine ist perfektionistisch und auch ehrgeizig. Die andere träumt von einem sorgenfreien Leben am Meer.
Es ist tatsächlich so: Ich muss mich rund um eine Vorstellungsserie an einen strikten Schlaf- und Ernährungsplan halten. Ein romantisiertes Bohème-Leben ist oft nicht möglich. Wobei – es geht wieder um die richtige Balance! Ich habe mir immer vorgenommen, keine neurotische Sängerin zu werden.
Also: Solange ich nicht unmittelbar vor einer Vorstellung stehe, kümmere ich mich nicht um Klimaanlagen und freue mich, wenn in einem Cocktail Eiswürfel schwimmen, und esse, worauf ich Lust habe. Ich will nämlich in keiner Blase leben.
Das waren einige der herausfordernden Seiten des Sängerinnenlebens. Nun aber zu den glücklichen: Warum machen Sie das alles? Weil der Schlussapplaus Sie berauscht? Weil keine, die es nicht probiert hat, sich vorstellen kann, wie erfüllt man auf einer Bühne sein kann?
Nein, nein! Für mich ist das Publikum der wichtigste Teil. Dieser kleine Masochismus, den ich eben beschrieben habe, der kommt für mich nur infrage, weil an guten Abenden etwas zwischen uns Sängerinnen und den Zuschauern entsteht. Ich glaube sehr stark an einen Austausch von Energien, und tatsächlich spüre ich das immer wieder. Ich gebe – und erhalte. Wäre ich in Bestform und vom Publikum käme aber nichts – was hätte das für einen Sinn? Zu wissen, dass auf der anderen Seite Leute sitzen, die eine Aufführung erleben und sich mitreißen lassen, ist sehr, sehr bereichernd. Und ein Zweites: Die Erfahrungen, die ich mit Koleginnen und Kolegen auf der Bühne machen darf, sind immer wieder einzigartig. Wir erleben Augenblicke der Verbundenheit und emotionaler Höhenflüge, die manche Menschen vielleicht nie genießen dürfen. Diese tiefste Trauer, dieses höchste Glück, die komprimierten Gefühle, die auf der Bühne ausgelebt werden, sind einzigartig. Und wir bekommen das nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder.
Reift man dadurch als Mensch schneller?
Sagen wir es so: Ich bin heute nicht mehr der Mensch, der ich war, bevor ich die Bühne betrat. Denn die Zeit, die ich mit und in den von mir verkörperten Figuren verbringe, verändert mich radikal. Ich bin gezwungen, über sie nachzudenken. Über ihre Psyche, über ihre Beweggründe, ihr Handeln. Ich durchlebe ihr Dasein und mache daher Erfahrungen, die ich mir nie hätte vorstellen können. Ja, man lernt viel.
Was uns zum Thema »Lucia di Lammermoor« führt: Was haben Sie von Lucia gelernt?
Für mich ist Lucia eine unglaublich wichtige Partie, weil sie mir viel über die Wahrheit auf der Bühne beigebracht hat. Lucia kämpft im Laufe der Oper mit enormem Druck – seitens ihres Bruders, seitens der Gesellschaft. Mehr noch, sie glaubt, dass ihr Geliebter Edgardo sie verlassen hat. All diese Gedanken bombardieren sie. Die ganze Zeit. Man sieht förmlich, wie sie immer kleiner wird, zusammenbricht – und dem Wahnsinn verfällt. Das ist furchtbar! Aber sie verlässt durch den Wahn die Realität und entzieht sich den Normen. Fast ist es so etwas wie ein Moment der Befreiung. Wohlgemerkt: eine schreckliche, blutige Befreiung, die ihr aber einen inneren Frieden bringt. Das ist natürlich absurd! Denn sie ist ja im Wahn, tötet und stirbt… Durch das Singen und Spielen dieses Parts, vor allem des Wahnsinns, habe ich aber gelernt, mich auf der Bühne ganz verletzlich geben zu können, »nackt« und schutzlos zu sein und alle Oberflächlichkeiten abzustreifen. Ich versuche, nicht etwas darzustellen, sondern nur zu sein – ohne Zwänge. Es ist schwer zu erklären, und wenn man darüber spricht, klingt es so paradox.
Wie aber geht es Ihnen nach einer »Lucia« oder nach jeder anderen Vorstellung? Pures Glück? Erschöpfung?
Ich fühle mich mehr leer als glücklich. Natürlich – die Menschen um mich herum, die sind nach einer gelungenen Vorstellung glücklich. Und ich bin auch froh über die gesamte Situation. Das ist schon klar. Aber wenn ich tief in eine Rolle eintauche, dann bleibt nach dem Auftritt ein Gefühl der … ich kann es nicht anders sagen als: der Leere. Und ich brauche doch ein bisschen Zeit, bis ich wieder in unserer Welt bin.
Sie singen immer wieder Rollen sterbender Frauen. Wie geht es Ihnen am Tag nach einem Bühnentod? Fühlen Sie sich als Reaktion besonders lebendig? Oder nimmt einen dieses Bühnensterben mit?
Mich nimmt es mit. Gerade bei einer Rolle wie Lucia oder Violetta in »La traviata«, wenn der Tod von Anfang an mitschwingt. Das hat eine große emotionale Wirkung auf mich, und am Tag danach muss ich erst wieder Kraft tanken. Ich bin dann eher daheim, lese, regeneriere. Ich kann nicht einfach umschalten zwischen einer Verzweifelten, einer Sterbenden und einem fröhlichen Privatleben mit Freunden, Feiern und geselligen Abenden.
Weil Sie das Lesen angesprochen haben – Ihre aktuellen Bücher?
Zwei Autobiografien. Jene von der großen Sopranistin Virginia Zeani und zuletzt jene von Matthew Perry. Ich bin ein großer Friends-Fan und mochte seine Serienfigur immer sehr. Und ich finde es auch ungemein bewegend, seine echte Lebenswelt kennenlernen zu können. Wie ich an sich an allem, was das Leben und die Kunst bieten, interessiert bin. Denn alles – jeder Museumsbesuch, jedes Buch, jeder Mensch, den wir treffen – hinterlässt Spuren. Und all das formt mich. Und auch meine Kunst.
Letzte Frage: Warum Friends? Weil es dort eine geradezu wohlige Art Großfamilie gibt, die Geborgenheit vermittelt?
Als Studentin war die Serie für mich eine gute Möglichkeit, mein Englisch zu perfektionieren. Und das Leben dieser Freunde spiegelte auch mein Leben als Studentin wider. Und später, heute … Oft, wenn ich allein bin, die Koffer packe, eine Wohnung aufräume und Wäsche wasche, laufen Serien wie Friends oder Big Bang Theory im Hintergrund. Es ist genau, wie Sie sagen: Der Lebensstil als Sängerin ist ein einsamer – Reisen, Hotelzimmer, viel unterwegs. Da braucht man ein Gefühl der Vertrautheit, und genau das stellen solche Serien her. Viele meiner Koleginnen und Kolegen machen dasselbe. Man fühlt sich dann ein bisschen geborgener, ein bisschen mehr zu Hause.