»Manrico ist mehr Minnesänger als Soldat«
Interview |

Mit wie vielen Partien hat KS Piotr Beczała allein das Wiener Publikum doch schon begeistert!
Das breite Spektrum umfasst Donizettis Edgardo, Mozart (Belmonte und Tamino),
Französisches (Werther, Roméo, Faust, Don José), Puccini (Rodolfo, Cavaradossi),
Dvořák (Rusalka-Prinz), Wagner (Lohengrin), Ausgefalleneres wie Cilèas Maurizio und natürlich Verdi-Rollen wie den Herzog im Rigoletto,
Alfredo, Gustaf III.
Was könnte da dem Publikum abgehen?
Zum Beispiel der Manrico im Trovatore – und genau den wird er im Mai erstmals auch in Wien singen.
Dazu passend ein Gespräch mit dem gefeierten Tenor.
Sie haben vor Kurzem den Cavaradossi an der Staatsoper gesungen, jetzt folgt der Manrico. Beide sind verliebt, beide in die Politik verstrickt und beide sterben am Ende.
Aber wodurch unterscheiden sie sich charakterlich?
Die Geschichten des Verismo sind einfacher gestrickt, man versteht die Handlung aufs Erste, kein Text ist durch Wiederholungen verunklart, jedes Wort hat seine unverwechselbare Bedeutung – und genau so sind auch die meisten der dazu passenden Figuren.
Puccinis Cavaradossi agiert nie kopflos, sein Blick auf die Realität wird nie durch die Liebe verstellt, er weiß, was er Tosca erzählen darf und was nicht. Cavaradossi hat ein erklärtes Ziel und das wird angesteuert.
Die Verdi’schen Charaktere wirken hingegen allesamt komplexer. Insbesondere jene, die von den Tenören verkörpert werden, haben irgendeine Achillesferse, an der sie verwundbar sind, irgendein Trauma, das sie verarbeiten müssen.
Manrico beispielsweise wirkt immer gehetzt, in unterschiedliche Richtungen aufgespalten, deshalb gehen ihm, symbolisch gesprochen, auch ständig die Pferde durch. Er kann in Bezug auf seine Liebe zu Leonora, zu seiner Mutter oder seine politische wie persönliche Gegnerschaft zum Grafen Luna einfach keine dauerhaften Präferenzen setzen.
Ist Manrico bei seiner Mutter und erfährt, dass Leonora ins Kloster gehen möchte, springt er schon auf, um zu Leonora zu eilen. Ist er bei Leonora, lässt er wiederum alles liegen und stehen, um seine in Gefahr gekommene Mutter zu befreien.
Anders gesagt: Mal rennt er von der Mama zur Geliebten, dann von der Geliebten zur Mama – gesund ist das nicht! Und wenn er seinen Feind Luna endlich töten könnte, verschont er diesen aufgrund irgendeiner inneren Eingebung.
Manche würden sagen: ein labiler Tenor. In Wahrheit ist sein Problem, dass er nie wirklich agiert, immer nur auf eine Situation, mit der er überraschend konfrontiert wird, reagiert.
»Genau genommen ist Manrico ein Troubadour, ein Minnesänger, und das bedeutet, dass die lyrischen Qualitäten viel bestimmender sein müssen als die heldischen.«
Da zeigt sich, dass Luna und Manrico, ohne es zu wissen, tatsächlich Brüder sind, denn auch Luna reagiert mehr, als er denkend handelt.
Ja, Luna ist wie Manrico, nur eine Terz tiefer... ein Bariton halt.
Aber ist Manrico vielleicht dumm oder zumindest naiv? Es ist doch merkwürdig: Da erzählt ihm seine Mutter in einer Vision, dass er gar nicht ihr Sohn wäre und als er genauer nachfragt, kann sie ihn ohne weiteres wieder vom Gegenteil überzeugen.
Nein, dumm ist er nicht. Aber ein Südländer der alten Schule, also ein Muttersöhnchen. Azucena hat einfach einen unglaublichen Einfluss auf ihn, sodass er sich von ihr manipulieren lässt.
Auch Leonora hätte in der Ehe wohl ein leichtes Spiel mit ihm gehabt – vorausgesetzt natürlich, die Mutter wäre nicht in der Nähe gewesen. (lacht)
Was ist das überhaupt für eine Liebe zwischen Manrico und Leonora? Eine unreife, romantische Jugendliebe oder was Tieferes?
Man sollte diese Geschichte nicht zu sehr mit dem Verstand analysieren und versuchen, jede mögliche Windung auszubuchstabieren. Die Handlung ist so schon verworren genug.
Um ehrlich zu sein, denke ich gar nicht viel darüber nach, wer wessen Kind ist, wer nun wirklich verbrannt wurde und warum der dritte auf den ersten böse ist. Ich weiß auch nicht, ob es bei dieser Oper möglich ist, die Liebe zwischen zwei Menschen aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts verstehen zu wollen.
Die Geschichte spielt im 15. Jahrhundert, erzählt aus der Sicht des 19. Jahrhunderts, da waren die Umgebungsvariablen, also Denkmuster, die gesellschaftlichen Gepflogenheiten anders. Diese Liebe ist für mich einfach eine Tatsache, nach deren Wurzeln ich nicht forschen möchte und an der ich nicht zweifele – eingebettet in diese wunderbare Musik, die noch den Geist des Belcanto spüren lässt und die zugleich gelegentlich so etwas entfernt Jazziges vermittelt.
Auch wenn es nicht so passiert ist, wirkt die Oper wie direkt aus dem Bauch heraus komponiert – deshalb ist sie beim Publikum auch so beliebt.
In der Literatur liest man häufig, dass die Charaktere im Trovatore etwas Archetypisches haben und daher auch keine große Entwicklung durchmachen.
Da ist was dran. Ein Cavaradossi oder ein Don José ist am Ende der Oper sicherlich ein anderer Mensch als zu Beginn. Im Falle von Manrico würde ich das nur bedingt behaupten.
Was sich im Trovatore verändert, sind die Umstände, die auf die Figuren einwirken und sie zu Handlungen befähigen oder sogar zwingen.
Manrico etwa weist in seinem Agieren nur eine ganz bestimmte Bandbreite an Möglichkeiten auf, die sich immer daran orientiert, mit wem er es gerade zu tun hat. Ist beispielsweise die Mutter präsent, verhält er sich auf eine ganz bestimmte Weise, ist sie abwesend, dann auf eine andere.
»Die Verdi’schen Charaktere, insbesondere die Tenore, haben alle irgendeine Achillesferse, an der sie verwundbar sind, irgendein Trauma, das sie verarbeiten müssen.«

Aber was ist Manrico nun in seinem Innersten? Eher ein Künstler oder doch ein Soldat in einer politisch-militärischen Auseinandersetzung?
Genau diese Frage ist das Fazinierende an der Rolle! Man hört oft: »Manrico ist eine Rolle für einen Heldentenor«, weil alle an »Di quelle pira«, an seine berühmte Cabaletta denken. Aber genau genommen ist Manrico ein Troubadour, ein Minnesänger, und das bedeutet, dass die lyrischen Qualitäten viel bestimmender sein müssen als die heldischen.
Vom Sängerstandpunkt aus gesehen jedenfalls ein spannender Spagat.
Ich komme aus der lyrischen Ecke, für mich ist daher das »Deserto sulla terra« seinem Wesen entsprechender als diese heldischen zwei, drei Minuten, die seine andere Seite zeigen.
Grundsätzlich finde ich es interessanter, wenn man in den wirklich dramatischen Rollen – etwa beim Otello – ebenfalls die innigen Momente, die weicheren Farben, die lyrischen Komponenten herausarbeitet und nicht nur das Heldentenorale.
Warum ist die erwähnte »Di quelle pira«-Cabaletta so gefürchtet? Was ist an ihr so gefährlich, dass sie von einigen Tenoren sogar hinunter transponiert wird?
Gar nichts, wenn man sie singt, wie sie notiert ist. Man muss nur wissen, dass Tonarten gewisse Charakteristika aufweisen. Eine b-Tonart hat andere Farben als eine Kreuztonart, ein Es-Dur ist zum Beispiel runder, weicher als ein C-Dur.
Entsprechend dieser Eigenarten, entsprechend der Tessitura einer Rolle verhält sich auch eine Stimme, im aktuellen Fall die Tenorstimme. Der höchste Ton in der gesamten Partie des Radames in der Aida ist das hohe b, der Manrico geht wiederum nie über das hohe a hinaus, das zwar einen Halbton tiefer liegt, aber dennoch dramatischer klingt.
Will man nun in der »Di quelle pira«-Cabaletta, das in der aggressiven C-Dur-Tonart geschrieben steht, ein von Verdi nicht notiertes hohes C einbauen, tanzt die Cabaletta dadurch mit einem Mal aus der Reihe. Sie passt von ihrer Stimmdramaturgie nicht mehr zur restlichen Rolle. Und das macht die Cabaletta in diesem Fall so gefürchtet.
Apropos Farbe: Verdi sprach gerne von der Tinta eines Stückes. Il Trovatore gilt als dunkles Stück, als Nachtstück.
In unserer aktuellen Inszenierung vermittelt der Regieführer aber, von der Tradition abweichend, bewusst eine Hitze des Südens, eine der Carmen vergleichbare Atmosphäre.
Diesem Gedanken kann ich viel abgewinnen! Gerade die drückende Hitze kann die Gemütslage der Menschen ungemein verändern oder beeinflussen.
Da kommen ganz andere Aggressionen an die Oberfläche und aus Abneigung wird Hass und aus Hass wiederum schnell ein Blutvergießen.
Das Stück spielt schließlich in Spanien!
Und besitzt auch Manrico eine Grundfarbe, eine Tinta?
Da bin ich noch auf der Suche. Leider bin ich kein Synästhet wie zum Beispiel der Maler Neo Rauch, der einmal gesagt hat, dass Lohengrin und seine Musik für ihn blau wären, weil er diese Farbe sähe, wenn er das Werk anhört.
Aber es geht tatsächlich um Farben. Die Stimme reagiert nämlich auf bestimmte Situationen mit einer dazu passenden Spannung, wodurch sich die Grundfarbe des Moments, der Szene aber erst ergibt beziehungsweise ändert.
Ein gutes Beispiel dafür ist Manricos hyperlyrische Arie »Ah, sì, ben mio«. Er singt hier zu Leonora, zu einer liebenden Frau.
Und dann kommt mit »Di quelle pira« plötzlich der totale Umschwung ins extrem Dramatische. Eine komplett andere Farbe, eine andere Atmosphäre, eine andere Art der Stimmgebung.
Sie sind ein Auto-Liebhaber...
Stimmt.
Was wäre Manrico für eine Autotype?
Ganz sicher ein Sportwagen mit einem großen Motor. Ich würde sagen ein Ferrari.
Und Verdi?
Hm. In Hinblick auf die Vielseitigkeit seiner Opern, seiner Rollen: ein Ferrari Purosangue, also ein SUV. Ein Wagen für jede Lebenslage.