Lernen fürs Leben?

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Fiordiligi, Dorabella & Co: Was bleibt, wenn der Vor­hang fällt? Mit­wir­ken­de aus »Così fan tutte« zie­hen per­sön­li­che Bi­lan­zen.

Im­mer wie­der er­zäh­len Sän­ge­rin­nen und Sän­ger, dass ein Rol­len­stu­di­um stets auch per­sön­li­che Cha­rak­ter­bil­dung ist. Denn die Er­fah­run­gen, Er­kennt­nis­se und Weis­hei­ten, die man von Opern­fi­gu­ren à la Marschallin im Rosenkavalier hört, brin­gen ei­nen selbst wei­ter und hel­fen ei­nem, das Le­ben bes­ser und tie­fer zu ver­ste­hen. An­läs­slich un­se­rer Così fan tutte-Se­rie im Ok­to­ber ma­chen wir nun die Pro­be aufs Ex­em­pel – und fra­gen Künst­le­rin­nen und Künst­ler, ob und was sie per­sön­lich aus ih­ren Così-Rol­len ge­lernt ha­ben.

Ruzan Mantashyan

Fiordiligi

Fior­di­li­gi war ei­ne der ers­ten Rol­len, die ich in Frank­furt stu­dier­te, und vie­le Jah­re lang blieb sie im Zen­trum mei­nes Re­per­toires. Die­se Rol­le war stets ei­ne Leh­re­rin für mich – stimm­lich er­in­ner­te sie mich dar­an, dass Dis­zi­plin und har­te Ar­beit im­mer Früch­te tra­gen.

Ihr gro­ßer Um­fang und die tech­ni­schen An­for­de­run­gen las­sen kei­ner­lei Ab­kür­zun­gen zu; je­de Phra­se ver­langt zu­gleich Kon­trol­le und Hin­ga­be – ein Gleich­ge­wicht zwi­schen Prä­zi­si­on und Frei­heit.

Als Thea­ter­fi­gur lehr­te mich Fior­di­li­gi, dass sich im Le­ben nichts er­zwin­gen lässt – man kann sich nicht ein­mal selbst zwin­gen. Sie wi­der­setzt sich, sie kämpft und sie schwankt. Doch ge­ra­de in ih­ren Wi­der­sprü­chen kommt ih­re Mensch­lich­keit zum Vor­schein.

Ge­füh­le zu un­ter­drü­cken, ver­stärkt nur das Rin­gen. Wah­re Stär­ke ent­springt dar­aus, Ver­letz­lich­keit und Ehr­lich­keit zu­zu­las­sen. In Fior­di­li­gis Weg ent­deck­te ich, dass es bei Au­then­ti­zi­tät auf der Büh­ne nicht um Per­fek­ti­on geht. Es geht um den Mut, Kom­ple­xi­tät zu zei­gen – Zer­brech­lich­keit und Ent­schlos­sen­heit ne­ben­ein­an­der be­ste­hen zu las­sen.

Mit der Zeit wur­de mir klar, dass Fior­di­li­gi das Le­ben selbst wi­der­spie­gelt: die stän­di­ge Span­nung zwi­schen Pflicht und Ver­lan­gen, zwi­schen dem, was wir glau­ben, sein zu sol­len, und dem, wer wir wirk­lich sind.

In­dem ich mich auf sie ein­ließ, lern­te ich, dass Kunst­fer­tig­keit nicht nur aus Dis­zi­plin ent­steht, son­dern auch aus Mit­ge­fühl – für die Fi­gur, für die Mu­sik und für sich selbst.

Dovolet Nurgeldiyev

Ferrando

Um ehr­lich zu sein: Ei­ne be­son­de­re Weis­heit ha­be ich von Fer­ran­do nicht ge­lernt.

Er ist ein jun­ger Of­fi­zier, in Do­ra­bel­la ver­liebt; er glaubt an die­se Ge­füh­le und ver­traut dar­auf, dass al­les gut ge­hen wird. Bis Don Al­fon­so ihn zu ei­ner Wet­te ver­führt, bei der es um die Treue sei­ner Ge­lieb­ten geht.

Ver­gleicht man ihn nun et­wa mit ei­nem Don Gio­van­ni oder mit ei­ner Don­na An­na – bei­de un­glaub­li­che Per­sön­lich­kei­ten, voll un­ter­schied­lichs­ter Lei­den­schaf­ten, Emo­tio­nen und An­trie­be –, so muss man zu­ge­ben, dass sei­ne Cha­rak­ter­zeich­nung we­ni­ger stark ist.

Und den­noch: Fer­ran­do ist für mich ei­ne Lieb­lings­rol­le – nicht nur we­gen der wun­der­schö­nen Mu­sik. Er be­weist ei­ne be­son­de­re Rein­heit, ei­nen Glau­ben an die Lie­be.

Singt er zum Bei­spiel die Arie Un’aura amorosa, so wer­den dar­in die Ge­dan­ken ei­nes Men­schen spür­bar, der nichts au­ßer die­ser Lie­be braucht. Hin­ge­bungs­voll und zu­tiefst be­rüh­rend!

Luca Pisaroni

Don Alfonso

Don Al­fon­so wird oft als ein Pup­pen­spie­ler, ein Phi­lo­soph, ein Zy­ni­ker ge­se­hen – und das ist er in vie­ler­lei Hin­sicht auch.

Was ich von ihm ge­lernt ha­be, ist, wie mäch­tig Dis­tanz und Be­ob­ach­tung sein kön­nen. Er lässt sich nicht emo­tio­nal in die Sa­che hin­ein­zie­hen – und das ver­schafft ihm Klar­heit. Aber die­se Art von Ab­stand hat auch ih­ren Preis.

Von Al­fon­so ha­be ich ge­lernt, wie schmal der Grat zwi­schen Weis­heit und Ma­ni­pu­la­ti­on ist. Sei­ne so­ge­nann­te »Lek­ti­on« für die jun­gen Lie­ben­den ent­hält teil­wei­se Wahr­heit – mensch­li­che Ge­füh­le sind un­vor­her­seh­bar, und Lie­be ist nicht im­mer be­stän­dig –, doch sei­ne Art, dies zu be­wei­sen, zeugt von man­geln­dem Mit­ge­fühl.

Das er­in­nert mich dar­an, dass Ein­sicht so­wohl auf der Büh­ne als auch im All­tag nie­mals oh­ne Em­pa­thie aus­kom­men soll­te.

Ja, ich glau­be al­so, dass wir von un­se­ren Rol­len ler­nen kön­nen. Al­fon­so hat mich ge­lehrt, be­wuss­ter dar­auf zu ach­ten, wie wir an­de­re be­ein­flus­sen – und zu hin­ter­fra­gen, ob wir un­se­ren Ver­stand ein­set­zen, um zu hel­fen, oder nur, um Recht zu be­hal­ten.

Alma Neuhaus

Dorabella

Auf den ers­ten Blick mag Do­ra­bel­la wie ei­ne et­was dümm­li­che oder ober­fläch­li­che Fi­gur wir­ken – wie es das Li­bret­to su­ge­rie­ren möch­te (es heißt: così fan tutte, nicht tutti – al­so die weib­li­che Form).

Sie ist jung, ver­liebt und scheut sich nicht da­vor, gro­ße Ge­füh­le zu zei­gen. Au­ßer­dem hat sie ei­ne star­ke Neu­gier auf das Le­ben, traut sich aber nicht, die­se aus­zu­le­ben, oh­ne dass Fior­di­li­gi ihr zu­vor die Er­laub­nis gibt.

Im Lau­fe der Oper durch­läuft Do­ra­bel­la ei­ne Ent­wick­lung hin zu mehr Selbst­ver­trau­en. Zu­nächst war­tet sie ab, was ih­re Schwes­ter tut, be­vor sie selbst han­delt. Doch schließ­lich über­nimmt sie die Füh­rung.

Ich den­ke, das ist ei­ne Rei­se, in der sich vie­le Men­schen wie­der­fin­den kön­nen. Ei­nen gro­ßen Teil un­se­rer frü­hen Jah­re ver­brin­gen wir da­mit, zu be­ob­ach­ten, was un­se­re Gleich­alt­ri­gen tun, oder dar­auf zu hö­ren, was El­tern und Men­to­ren uns ra­ten.

Aber ir­gend­wann müs­sen wir uns selbst ver­trau­en und un­se­re ei­ge­nen Ent­schei­dun­gen tref­fen. Selbst wenn die­se Ent­schei­dun­gen zu Feh­lern füh­ren – wie es in die­ser Oper si­cher­lich der Fall ist –, wer­den wir dar­an er­in­nert, dass wir, um zu wach­sen, manch­mal un­se­ren In­stink­ten fol­gen und ein Ri­si­ko ein­ge­hen müs­sen, statt im­mer nur zu war­ten, bis je­mand uns sagt, was wir tun sol­len.

Isabel Signoret

Despina

Von Des­pi­na ha­be ich ge­lernt, di­rekt, fan­ta­sie­voll und wand­lungs­fä­hig zu sein.

Sie ist ei­ne Frau, die ge­nau weiß, was sie will, und kei­ne Angst hat, un­ter­schied­li­che We­ge zu nut­zen, um es zu er­rei­chen.

Schlag­fer­tig und im­mer im Mo­ment le­bend, ist Des­pi­na ei­ne un­glaub­lich un­ter­halt­sa­me Fi­gur. Ih­re Ko­mik macht sie zu ei­ner wun­der­bar zu spie­len­den Rol­le, und sie hilft mir, als Dar­stel­le­rin den Kopf frei­zu­be­kom­men und ein­fach Spaß auf der Büh­ne zu ha­ben.

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