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Ein in­ne­res Ge­spräch des Di­ri­gen­ten Ivor Bolton mit Wolf­gang Amadeus Mozart.

Mo­zart! So oft den­ke ich über Sie nach. Über Ihre Wer­ke, über In­ter­pre­ta­tio­nen und wie man sich Ih­nen nä­hern kann, darf und soll. We­ni­ger in in­ne­ren Ge­sprä­chen mit Ih­nen, wie ich es heu­te ma­che, son­dern meis­tens geht es um die Sa­che an sich, um Ihre Mu­sik.

Ein sol­ches Ge­spräch be­ginnt ja schon mit der Fra­ge: Wie soll ich Sie an­spre­chen? Darf ich »Du« sa­gen? Viel­leicht lie­ber nicht. Ich füh­le mich zwar Ih­rer Mu­sik eng ver­bun­den, aber den­noch: Sie blei­ben auf ei­nem Po­dest, in Ge­dan­ken sind Sie also für mich nicht Wolf­gang, son­dern Mo­zart.

Und doch: Darf ich ei­nen Au­gen­blick lang sehr per­sön­lich wer­den? Wol­len Sie wis­sen, wie ich Sie mir vor­stel­le? Es gab und gibt ja so vie­le Mo­zart-Bil­der über die Jahr­hun­der­te – teil­wei­se wird ei­nem ein ar­ti­ges Ro­ko­ko-Wol­ferl ge­zeigt, teil­wei­se sieht man ein ex­al­tier­tes Ge­nie. Rund 200 Jah­re nach Ih­rem Tod hat ein eng­li­scher Dra­ma­ti­ker na­mens Pe­ter Shaf­fer ein Schau­spiel über Sie und Sa­lie­ri ver­fasst, das sehr er­folg­reich ver­filmt wur­de. – »Ver­filmt wur­de«: Ich er­klä­re Ih­nen spä­ter, was das be­deu­tet –, je­den­falls war das ein fast ka­ri­ka­tur­haf­ter, wil­der Mo­zart, ein Kind des aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­derts. Wie aber wa­ren Sie wirk­lich? Für mich müs­sen Sie ein un­ge­mein un­ge­dul­di­ger Mensch ge­we­sen sein. Wie soll­te es denn auch an­ders sein? Wenn man be­denkt, wie un­glaub­lich vie­le Wer­ke Sie in so kur­zer Le­bens­zeit ver­fasst ha­ben, da­zu die zahl­rei­chen Rei­sen quer durch Eu­ro­pa – um das al­les in ein Le­ben zu pa­cken, da muss man hy­per­ak­tiv sein, ex­trem ge­schäf­tig, un­ge­dul­dig. Und es stand schon auch, wenn man Ih­ren Brie­fen glau­ben darf, ein Sinn für Ka­rie­re da­hin­ter. Im Ge­gen­satz zu an­de­ren, wie Jo­seph Haydn, der sehr lan­ge am Esterhazy’schen Hof weil­te, wa­ren Sie we­ni­ger sess­haft und blie­ben bei kei­nem sehr lan­ge. Im­mer trieb es Sie wei­ter; da war durch­aus auch Ehr­geiz da­hin­ter, oder?

Darf ich noch et­was er­zäh­len? Über mei­nen ers­ten Kon­takt mit Ih­nen … Ich war et­wa neun Jah­re alt und hör­te Don Giovanni – ei­ne Schall­plat­ten­auf­nah­me mit Jo­sef Krips. Ich kann­te noch sehr we­nig aus dem O­pern­re­per­toire und war über­wäl­tigt von der Ori­gi­na­li­tät der Par­ti­tur. Und ich ent­deck­te in der län­ge­ren Be­schäf­ti­gung mit Ih­ren Kom­po­si­tio­nen bald das Ge­heim­nis von Meis­ter­wer­ken. Je tie­fer man, ge­trie­ben vom For­scher­geist, in ein Werk ein­dringt, um­so mehr will man wis­sen. Man ent­deckt Pa­ral­le­len zu an­de­ren Stü­cken, zu an­de­ren Kom­po­nis­ten – Be­son­der­hei­ten. Und das hält bis heu­te an, die­ses For­schen-Wol­len und Im­mer-Neu­es-fin­den-Dür­fen.

Wis­sen Sie, was ich mir oft aus­ma­le? Die his­to­ri­sche Auf­füh­rungs­si­tua­ti­on. Ich ver­su­che mir vor­zu­stel­len, ei­ner der Künst­ler zu sein, die bei den ers­ten Auf­füh­run­gen da­bei wa­ren. Denn zwei­fels­oh­ne wä­re es un­glaub­lich be­rei­chernd, ein Werk in sei­nem his­to­ri­schen Kon­text zu er­le­ben – in ei­nem der nicht mehr exis­ten­ten Thea­ter, im al­ten Burg­thea­ter am heu­ti­gen Mi­chae­ler­platz in Wien zum Bei­spiel. Ich ma­le mir aus, in ei­nem die­ser Räu­me zu sein, und fra­ge mich: Wie hat es wohl ge­klun­gen? Wie war die A­kus­tik?

Na­tür­lich, das wird man nie wis­sen, aber al­lein die Be­schäf­ti­gung mit die­sen Fra­gen bringt uns wei­ter und ge­hört selbst­ver­ständ­lich zu den Vor­be­rei­tun­gen ei­ner heu­ti­gen Auf­füh­rung. Denn wo­rum geht es? Dem Kom­po­nis­ten schon da­durch Re­spekt zu er­wei­sen, dass wir ver­su­chen, so na­he wie mög­lich an sei­ne Ge­dan­ken­welt zu ge­lan­gen – selbst wenn un­ser Wis­sen um die his­to­ri­sche Auf­füh­rungs­kul­tur lü­cken­haft ist. Aber wenn ich mir vor­stel­le, dass ich ei­ne Ih­rer O­pern di­ri­gie­ren müss­te, wäh­rend Sie mir zu­hö­ren – das wä­re un­ge­mein span­nend. Ich wä­re ner­vös, sehr ner­vös. Denn Kom­po­nis­ten sind eben die Schöp­fer des Werks, und wir In­ter­pre­tin­nen und In­ter­pre­ten doch nur je­ne, die es aus­füh­ren. Selbst­ver­ständ­lich brin­gen wir un­se­re Krea­ti­vi­tät und Kunst­fer­tig­keit ein, aber den­noch: Er­schaf­fen ha­ben Sie und Ih­re Kol­le­gen die gro­ßen Wer­ke. Da­her ste­hen Kom­po­nis­ten für mich in ge­wis­ser Wei­se et­was er­höht. Ich kann mich er­in­nern, wie es war, als ich von ei­nem Ih­rer spä­te­ren Kol­le­gen, Heinz Hol­li­ger, ein Werk zur Ur­auf­füh­rung brach­te. Al­le Be­tei­lig­ten wa­ren enorm auf­ge­regt, denn al­le woll­ten, dass er zu­frie­den ist …

Ich weiß nicht, ob es für je­man­den aus dem 18. Jahr­hun­dert vor­stell­bar ist, wie wir heu­te Mu­sik ma­chen. Darf ich es Ih­nen be­schrei­ben? Wir spie­len ein un­ver­gleich­lich grö­ße­res Re­per­toire als zu Ih­rer Zeit – da­für aber sehr viel we­ni­ger Ur­auf­füh­run­gen und sehr, sehr viel we­ni­ger Mu­sik aus der Ge­gen­wart.

Was wir auf­füh­ren, ist Mu­sik aus mehr als 400 Jah­ren; das meis­te im Re­per­toire liegt Jahr­hun­der­te zu­rück. In Ih­rer Zeit war das an­ders. Die­sen lan­gen Blick in die Ver­gan­gen­heit hat­ten die Mu­si­ker da­mals nicht – es wur­de mehr oder we­ni­ger nur Zeit­ge­nös­si­sches, die Mu­sik der letz­ten Jahr­zehn­te, ge­spielt. Das war schon rein stilis­tisch und tech­nisch ei­ne an­de­re Si­tua­ti­on. Denn al­le Mu­si­ker spie­len ei­nen Stil, wa­ren in die­sem ganz zu Hau­se; es gab ge­wis­ser­ma­ßen ei­ne ge­mein­sa­me mu­si­ka­li­sche Mut­ter­spra­che.

Ich wen­de mich auch an Sie, weil ich dem­nächst an der Wie­ner Staats­o­per Ih­re Entführung aus dem Serail lei­ten wer­de. Ent­stan­den ist das Werk ja im Zu­ge der Idee ei­nes Na­tio­nal­sings­piels, die Kai­ser Jo­seph II. ge­bo­ren hat. Ich ha­be viel dar­über nach­ge­dacht, in­wie­fern sich der Ge­dan­ke der Auf­klä­rung – das Er­zie­he­ri­sche, das dem Kai­ser wich­tig war – in der Entführung zeigt.

Ei­ner­seits kann man na­tür­lich sa­gen, dass sein ge­sam­tes Sings­piel-Pro­jekt kein gro­ßer Er­folg war. Es hat­te nicht lan­ge Be­stand; fast al­le Wer­ke, die ent­stan­den sind, sind in mei­ner Zeit nicht mehr be­kannt. Und doch: Man sieht in dem Pro­jekt das gro­ße In­ter­es­se des Herr­schers an der Kul­tur, an der Mu­sik, an der Auf­klä­rung. Die man üb­ri­gens auch in der Ent­wick­lung der Fi­gur des Bas­sa Se­lim er­kennt – vom west­li­chen Ste­reo­typ ei­nes grau­sa­men os­ma­ni­schen Herr­schers hin zu ei­nem Cha­rak­ter, der am Ende po­si­ti­ve Wer­te wie Ver­ge­bung ver­kör­pert.

Aber wem er­zäh­le ich das! Sie ha­ben das Werk ja kom­po­niert. Lie­ge ich rich­tig? Wa­ren das die An­lie­gen der da­ma­li­gen Zeit? Sie ha­ben ja ins Li­bret­to ein­ge­grif­fen, was mir be­weist, über welch the­a­tra­len und dra­ma­ti­schen In­stinkt Sie ver­fü­gen.

Aber dach­ten Sie dar­an, dass das, was Sie schrei­ben, un­sterb­lich wird? Nur ein Bei­spiel un­ter vie­len: Das Quar­tett Bel­mon­te, Kon­stan­ze, Pe­dril­lo, Blon­de am Ende des 2. Ak­tes zieht mich je­des Mal aufs Neue in den Bann. Die­se weit aus­grei­fen­den mo­ti­vi­schen und har­mo­ni­schen Ent­wick­lun­gen! Die­se Ent­fal­tung ei­ner Viel­zahl von mu­si­ka­li­schen Cha­rak­te­ren. Die­ses Quar­tett zählt mei­nes Er­ach­tens zu den fort­schritt­lichs­ten Stü­cken, die bis zu die­sem Zeit­punkt – also 1782 – im O­pern­kon­text kom­po­niert wur­den. Ver­gleich­bar wä­ren viel­leicht nur ähn­li­che Pas­sa­gen aus La finta giardiniera und aus Idomeneo.

Und in die­sem Fi­na­le, bei der An­dan­ti­no-Stel­le »Wenn uns­rer Eh­re we­gen«, fas­zi­niert mich im­mer wie­der, wie die ein­zel­nen Fi­gu­ren gleich­zei­tig un­ter­schied­li­che Emo­tio­nen aus­zu­drü­cken ver­ste­hen. Was emp­fan­den Sie, als Sie das schrie­ben? Sie ha­ben die­se kom­ple­xen Fi­na­li spä­ter auf die Spit­ze ge­trie­ben, in Ih­rem be­rühm­ten Sep­tett in Le nozze di Figaro. Wenn wir heu­te das Quar­tett spie­len, bleibt die Zeit stets ei­nen Mo­ment lang ste­hen. Die­se ein­zig­ar­ti­ge Kom­bi­na­ti­on aus mu­si­ka­li­scher Schön­heit und dem Ge­fühls­aus­druck der ein­zel­nen In­di­vi­du­en, die über die Si­tua­ti­on nach­sin­nen – stand die Zeit auch still, als Sie das kom­po­nier­ten?

Oder Kon­stan­ze: Wie vie­le an­de­re hät­ten sie als ein­deu­ti­ge Fi­gur ge­zeich­net, die nur ih­ren Bel­mon­te liebt. Sie aber schuf­ten ei­nen mehr­di­men­sio­na­len Cha­rak­ter, der nicht nur schwarz oder weiß ist, son­dern durch­aus schwankt. Das macht die Ge­schich­te viel span­nen­der. Und die­ses Fluk­tu­ie­ren hört man in ih­rer Mu­sik; man spürt, dass sie auch Bas­sa Se­lim nicht gänz­lich ab­ge­neigt ist.

Ich möch­te noch ein­mal an die his­to­ri­sche Auf­füh­rungs­si­tua­ti­on an­schlie­ßen: Wie klang das al­te Burg­thea­ter, in dem ja nicht nur die Entführung aus dem Serail, son­dern auch Le nozze di Figaro und Così fan tutte ur­auf­ge­führt wur­den? War das Haus a­kus­tisch per­fekt für die­se O­pern? Oder gab es da­mals auch schon Fra­gen der Ba­lan­ce – nicht nur zwi­schen dem Or­ches­ter und dem Sän­ge­ren­sem­ble, son­dern auch in­ner­halb des Or­ches­ters?

Uns be­schäf­tigt das heu­te ziem­lich. Denn wenn ich ein Werk wie die Entführung in der Wie­ner Staats­o­per di­ri­gie­re, dann ist es ein zwei­fels­oh­ne grö­ße­res und vor al­lem hö­he­res Haus als das his­to­ri­sche Burg­thea­ter. Wo­bei hier in Wien, in der Staats­o­per, die Ent­fer­nung zwi­schen Büh­ne und Par­kett gar nicht so groß ist – das geht noch viel her­aus­for­dern­der, et­wa in man­chen ame­ri­ka­ni­schen Häu­sern.

Mich wür­de ja in­ter­es­sie­ren, was Sie zu die­sen Thea­tern un­se­rer Ge­gen­wart sag­ten. Wür­den Sie neue, ganz an­de­re O­pern schrei­ben?

Ei­ne Sa­che noch: Stimmt es, dass Jo­seph II. nach der Entführung mein­te: »Ge­wal­tig viel No­ten, lie­ber Mo­zart«? Ich fra­ge mich im­mer wie­der, ob das nicht nur ei­ne apo­kry­phe Ge­schich­te ist. Ich er­klä­re mir den Satz ja so, dass Jo­seph II. es ganz an­ders mein­te, näm­lich im um­ge­kehr­ten Sin­ne. Im Ver­gleich zu den zahl­rei­chen, qua­li­ta­tiv schlech­te­ren Wer­ken, die da­mals ent­stan­den sind – O­pern, die schwä­cher in der Or­ches­trie­rung wa­ren, blas­ser in der Far­big­keit und im Aus­druck – im Ge­gen­satz zu die­sen wa­ren es frei­lich ge­wal­tig viel No­ten.

Viel­leicht hat Jo­seph II. die Sa­che ein­fach über­rascht, ver­wun­dert? Er hat ein­fach kein so kom­ple­xes und reich­hal­ti­ges Werk er­war­tet? Ha­ben Sie wirk­lich so keck ge­ant­wor­tet, wie er­zählt wird: »Grad so viel No­ten, Eu­re Ma­je­stät, wie nö­tig sind«? Konn­te man so mit Kai­sern spre­chen? Oder hat­ten Sie ei­nen be­son­de­ren Stand bei ihm?

Ent­schul­di­gen Sie bit­te die­se ge­wal­tig vie­len Fra­gen – aber wie vor­hin ge­sagt: Je tie­fer man in ei­ne Sa­che ein­dringt, um­so mehr will man wis­sen. Und wenn Sie kom­men und zu­hö­ren wol­len: ab 12. Ok­to­ber im Haus am Ring! Die Be­set­zung wird Sie be­geis­tern, wenn ich das so an­mer­ken darf …

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