Geige & Honig

Interview |

Sie sind wieder da: KS Roberto Alagna und Aleksandra Kurzak singen im Mai gemeinsam auf der Staatsopernbühne.

Was das Ehepaar über Giacomo Puccinis Tosca meint, wie sich das gemeinsame Leben in- und außerhalb der Opern-Blase gestaltet und warum Oper gerade auch in dunklen Zeiten erklingen muss: das erzählten sie im Interview.

Sie kennen einander schon lange, sind verheiratet und treten häufig gemeinsam auf. Wie würden Sie die Stimme des oder der anderen beschreiben?

Kurzak Ah, das ist ein­fach! Wenn ich Ro­ber­tos Stim­me hö­re, dann se­he ich ei­nen gol­de­nen, war­men Ho­nig.

Alagna Wirk­lich? Das ist schön! A­lek­san­dras So­pran scheint mir in­stru­men­tal, wie ei­ne Vio­li­ne. Als ich et­wa letz­ten Som­mer ih­re neue CD – Fal­con – ge­hört ha­be, fiel mir so­fort der Klang ei­ner Gei­ge ein. Da ist die­se be­son­de­re Qua­li­tät, die­ses un­glaub­li­che Le­ga­to, die­ser wun­der­schö­ne Ton, die­se per­fek­te Füh­rung. Wie ein ed­les Mu­sik­in­stru­ment!

Wenn Sie nun gemeinsam auftreten – herrscht dann absolute Zweisamkeit vor? Haben Sie etwa dieselben Einsing-Routinen?

Kurzak Oh nein! Da sind wir sehr un­ter­schied­lich! Ich brau­che die Ru­he, Ro­ber­to aber singt die gan­ze Zeit. Manch­mal, wenn wir ge­mein­sa­me Auf­trit­te ha­ben, be­nö­ti­gen wir zwei Ho­tel­zim­mer. Und dann kommt die Fra­ge: Aber, seid ihr nicht ver­hei­ra­tet?? War­um braucht je­der sei­nen ei­ge­nen Raum? Ant­wort: Weil ich in mei­nem ar­bei­te! Ich brau­che mein ei­ge­nes Zim­mer, um die nö­ti­ge Ru­he zu ha­ben.

Alagna Ich hin­ge­gen mag es, wenn Men­schen um mich sind. Kon­zen­trie­ren kann ich mich den­noch, weil ich mich in mei­ne ei­ge­ne in­ne­re Welt zu­rück­zie­he. Auch wenn vie­le Men­schen um mich sind. Ich lie­be ih­re Ge­sell­schaft!

Wie Puccini! Er komponierte auch gerne, wenn rund um ihn Menschen waren.

Kurzak Ro­ber­to ist Si­zi­lia­ner, mit 50 Cou­si­nen und Cou­sins. In ih­rer Mit­te fühlt er sich wohl!

Alagna Das konn­te ich im­mer schon! Ar­bei­ten, auch wenn es rund­her­um laut ist und ich von Men­schen um­ge­ben bin. Ich mag das. Ich mag die Men­schen in mei­ner Nä­he zu ha­ben, die ich lie­be und mit de­nen ich be­freun­det bin.

Einer Ihrer Kollegen sprach vor Kurzem davon, dass alle Tenöre nicht nur Cavaradossi singen möchten, sondern tatsächlich er sein wollen: Denn der Charakter dieses Künstlers, Liebhabers und Revolutionärs hat für viele etwas Vorbildhaftes. Sehen Sie das auch so?

Alagna Na­tür­lich ist Ca­va­ra­dos­si ein no­bler Cha­rak­ter, den man ger­ne auf ei­ner Büh­ne dar­stellt. Aber ich be­mü­he mich, grund­sätz­lich al­len Fi­gu­ren, die ich sin­ge, em­pa­thisch ent­ge­gen­zu­tre­ten. Al­so nicht nur den lie­bens­wer­ten und in­te­gren, son­dern auch den ver­werf­li­chen, wie ei­nem Pin­ker­ton in Ma­da­ma But­ter­fly. Es geht mir nicht dar­um, über sie zu ur­tei­len, son­dern ich ver­su­che, die Cha­rak­te­re in ih­ren je­wei­li­gen Si­tua­tio­nen zu ver­ste­hen. Und zu be­grei­fen, war­um sie so und nicht an­ders sind. Und ich will die Fi­gu­ren nicht künst­lich er­zeu­gen, son­dern ver­su­che, Ro­ber­to in der Si­tua­ti­on des je­wei­li­gen Cha­rak­ters zu sein. Al­so im Fal­le von Ca­va­ra­dos­si: Ich will sei­ne Ge­füh­le wirk­lich emp­fin­den, ich will sei­ne Le­bens­si­tua­ti­on füh­len. Das ist für mich ganz we­sent­lich.

Kurzak Was Ro­ber­to über das »Ge­füh­le wirk­lich emp­fin­den« ge­sagt hat: das se­he ich ganz ge­nau­so. Wahr­schein­lich hat es auch des­halb zwi­schen uns bei­den »Klick« ge­macht, weil wir so ähn­li­che Zu­gän­ge zum Thea­ter ha­ben. Wir spie­len nicht. Wir sind. Dann kann man ehr­lich sein, die Emo­tio­nen wirk­lich füh­len und sie ans Pu­bli­kum wei­ter­ge­ben. Ein ganz zen­tra­ler Punkt für mich als Sän­ge­rin! Und zum Cha­rak­ter der Tos­ca: Dass sie ei­ne sehr star­ke, tap­fe­re Frau ist, ist für mich ein Kli­schee. Ich se­he das gar nicht. Ich wür­de eher sa­gen, dass sie sehr na­iv ist. Wir wis­sen, dass sie im Klos­ter er­zo­gen wur­de und wir wis­sen, was Ca­va­ra­dos­si im Ori­gi­nal­stück von Sar­dou über Tos­ca sagt: Sie kann nur be­ten und sin­gen. – Das ist Tos­ca! Sie lebt in ei­nem Glau­ben an das Gu­te im Men­schen und kann sich gar nicht vor­stel­len, dass das Bö­se exis­tiert. Da­rum ist sie im 2. Akt so scho­ckiert über Scar­pia. Sie tö­tet ihn üb­ri­gens in ei­nem Zu­stand der Pa­nik, das ist kein ge­plan­ter Mord, son­dern sie sieht kei­nen Aus­weg mehr und ist in der Si­tua­ti­on über­for­dert. Denn was ist sie? Ei­ne ehr­li­che, net­te Per­son, mit gro­ßen Ge­füh­len, mit ei­ner gro­ßen Lie­be zu Ca­va­ra­dos­si. Und zur Kunst. Die­sen re­vo­lu­tio­nä­ren An­klang aber, den Ca­va­ra­dos­si hat – der fehlt ihr…

Alagna Künst­ler – und Tos­ca ist ei­ne ganz gro­ße Künst­le­rin – kön­nen manch­mal das ech­te Le­ben nicht ver­ste­hen.

Kurzak Sie lebt in ei­ner Bla­se. Ei­ner Kunst-Bla­se.

Alagna Ich bin auch ein biss­chen so. Manch­mal ver­ste­he ich das ech­te Le­ben nicht ganz.

Kurzak Oh ja, Ro­ber­to lebt ab­so­lut in der Kunst-Bla­se. (lacht)

»Wir spie­len nicht. Wir sind.
Dann kann man ehr­lich sein,
die Emo­tio­nen wirk­lich füh­len und sie ans Pu­bli­kum wei­ter­ge­ben.«

Bleiben wir kurz in dieser Blase. Sie sind seit vielen Jahren Teil der internationalen Opernwelt, stehen in vielen Rollen auf der Bühne. Kommt es Ihnen manchmal so vor, dass das echte Leben auf der Bühne stattfindet und jenes außerhalb eines Opernhauses das unechte ist?

Kurzak Nein, ab­so­lut nicht! Ich se­he im­mer auch die nor­ma­len Din­ge des Le­bens und küm­me­re mich um sie.

Alagna Für mich war es zu­min­dest ein we­nig so. In mei­nem Le­ben sind früh schlim­me Din­ge pas­siert, ich ver­lor früh mei­ne ers­te Frau und blieb als jun­ger Wit­wer mit ei­ner klei­nen Toch­ter al­lein. Das ech­te Da­sein schien mir er­schre­ckend, ich fürch­te­te mich vor dem Glück­lich­sein. Al­so ver­la­ger­te ich mein Le­ben auf die Büh­ne. Und exis­tier­te nur noch dort, vie­le Jah­re oh­ne Ur­laub…

Kurzak Da­zu kommt, dass Ro­ber­to in schwie­ri­gen Ver­hält­nis­sen groß ge­wor­den ist. Sei­ne Fa­mi­lie war sehr arm und für sei­ne El­tern war das Sin­gen ei­ne Flucht in ei­ne an­de­re, ei­ne bes­se­re Welt. Fast ein Ort des Wun­ders.

Alagna Ge­nau, das Sin­gen war für uns im­mer et­was ganz Be­son­de­res. Die Mu­sik half mei­nen El­tern und Ver­wand­ten in Si­zi­li­en durch al­le Schwie­rig­kei­ten. Und das ging auf mich über. Wann im­mer ich Pro­ble­me hat­te, zog ich mich in mei­ne ei­ge­ne Welt des Ge­san­ges zu­rück. Das ist in mei­ner Fa­mi­lie bis heu­te so. Mein Va­ter ist in­zwi­schen 85 Jah­re alt, er ist blind, aber wenn er singt, ver­gisst er al­le Här­ten des Le­bens.

Kurzak Ich wur­de in ei­ne Fa­mi­lie von Be­rufs­mu­si­ke­rin­nen und -mu­si­kern ge­bo­ren, mein Va­ter war Hor­nist, mei­ne Mut­ter sang in der Oper. Da­her war Oper für mich nichts Be­son­de­res oder Au­ßer­ge­wöhn­li­ches, son­dern Teil des nor­ma­len Le­bens. Da­durch, dass mei­ne Mut­ter am Abend in die Oper ging, um zu sin­gen, schien mir Sän­ge­rin ein ganz ge­wöhn­li­cher Be­ruf zu sein. Heu­te kann ich mir zwar nicht vor­stel­len, be­ruf­lich et­was an­de­res zu ma­chen, aber ich weiß, dass es ein Le­ben au­ßer­halb der Büh­ne gibt. Ich mag die Ba­lan­ce zwi­schen Kunst und ei­nem nor­ma­len Le­ben, zwi­schen dem Sän­ge­rin­nen­da­sein und je­nem als Mut­ter und Ehe­frau. Die­se Mi­schung ist gut für mich.

»Viel­leicht ist un­se­re Auf­ga­be, die Men­schen glück­lich zu ma­chen und sie mit un­se­rer Kunst in ih­ren schwie­ri­gen Zei­ten zu un­ter­stüt­zen.
Manch­mal den­ken wir, dass un­ser Sin­gen nicht reicht, dass das nicht die ech­te Mis­si­on ist.
Aber sie ist es.«

Meinen Sie, dass auch Zuschauerinnen und Zuschauer mitunter eine Zuflucht in der Kunst suchen, um von den Problemen des Alltags abgelenkt zu sein?

Kurzak Als ich die Tos­ca zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben sang, war es zwei oder drei Ta­ge nach dem Kriegs­be­ginn in der Ukrai­ne. Ich war sehr be­sorgt und ver­zwei­felt. Und die Si­tua­ti­on schien mir so ei­gen­ar­tig: Es gibt ech­te Pro­ble­me und Ka­ta­stro­phen – und ich ste­he in New York in der Me­tro­po­li­tan Ope­ra auf der Büh­ne und sin­ge. Un­ter­hal­te Men­schen. Das ist doch ver­rückt! Und ich war über­haupt nicht in der Ver­fas­sung, auf die Büh­ne zu ge­hen. Al­so mach­te ich di­rekt vor dem O­pern­haus li­ve auf Ins­ta­gram ei­ne kur­ze Sto­ry und sprach ge­nau über die­se Ge­dan­ken. Sonst ma­che ich in den so­zia­len Me­di­en so et­was nie, aber in die­sem Mo­ment fühl­te ich, dass ich et­was tun muss, dass ich nicht ein­fach auf die Büh­ne ge­hen kann. Al­so sag­te ich: Heu­te wird das Ge­bet der Tos­ca, die A­rie »Vis­si d’ar­te«, wirk­lich ein Ge­bet sein: ei­nes für Frie­den in der Welt. Und es war au­ßer­ge­wöhn­lich. Nach­dem ich die A­rie ge­sun­gen hat­te, war zu­nächst ei­ne un­glaub­li­che Stil­le im O­pern­haus. Viel­leicht ha­ben man­che die Sto­ry ja ge­se­hen… Und dann be­kam ich Nach­rich­ten aus dem Pu­bli­kum: Denk nicht, dass Kunst ge­ra­de nutz­los ist! Denn wir sind in die O­per ge­kom­men, um un­se­re Wun­den zu hei­len. Und ihr Sän­ge­rin­nen und Sän­ger seid Ärz­tin­nen und Ärz­te der See­le. Da ver­stand ich, was Mu­sik und das Sin­gen sein kön­nen: näm­lich viel mehr, als nur schö­ne Tö­ne. Manch­mal brau­chen die Men­schen sol­che hei­len­den Mo­men­te.

Soll also Kunst auch eine »Botschaft« vermitteln? Eine Lehre?

Kurzak Manch­mal geht es viel­leicht dar­um, ein­fach Ge­schich­ten zu er­le­ben. Ge­schich­ten, die die Mu­sik, das Li­bret­to, das Werk uns er­zäh­len. Wir kön­nen in Tos­ca nichts über die Schlacht zwi­schen Gut und Bö­se ler­nen, denn nie­mand ge­winnt. Viel­leicht ist es ein­fach nur die Freu­de an der Kunst an sich.

Alagna Viel­leicht gibt es ei­ne Bot­schaft für uns Künst­ler. Viel­leicht ist un­se­re Auf­ga­be, die Men­schen glück­lich zu ma­chen und sie mit un­se­rer Kunst in ih­ren schwie­ri­gen Zei­ten zu un­ter­stüt­zen. Manch­mal den­ken wir, dass un­ser Sin­gen nicht reicht, dass das nicht die ech­te Mis­si­on ist. Aber sie ist es. Viel­leicht geht es nicht dar­um, sei­ne po­li­ti­schen Ratschlä­ge hö­ren zu las­sen, son­dern Glück zu schen­ken und Men­schen glück­lich zu ma­chen.