Probenbeginn »Fidelio«
Interview |
Ein Gefangener, der für Wahrheit kämpfte und dessen Leben nun bedroht ist. Seine heldenhafte Frau, als Mann getarnt, um ihn zu retten. Und ein grausamer Machthaber, der vor Mord nicht zurückschreckt. Zuletzt: Befreiung, Jubel, Glück.
So die Eckpunkte von Ludwig van Beethovens einziger Oper Fidelio, von vielen als die Freiheitsoper schlechthin betrachtet: werden doch im Schlusschor die Ideale von Freiheit und Brüderlichkeit jubelnd besungen. Mehr noch, die Handlung erzählt, wie Glaube, Liebe und Hoffnung aus dem Kleinen ins Große wirken und selbst autoritäre Systeme stürzen können.
Auf den zweiten Blick entdeckt man zahlreiche zusätzliche Zwischentöne. Da ist etwa ein Mitläufer, der wirtschaftliche Sicherheit sucht. Eine junge Frau, die sich in die verkleidete Protagonistin verliebt. Und wie steht es um den allgemeinen Schlussjubel? Fühlt sich das zentrale Paar in diesem verstanden?
Alles Aspekte, denen Regisseur Nikolaus Habjan, der mit dieser Inszenierung sein Hausdebüt an der Wiener Staatsoper gibt, besonders nachspüren möchte. Gemeinsam mit Franz Welser-Möst, dem musikalischen Leiter der Produktion, bringt er eine neue szenische Umsetzung der Oper heraus.
Musikalisch bietet Fidelio einzigartigbekannte Momente: etwa Florestans ins fiebrig-visionshafte kippende Kerker-Arie, Leonores eindringliche Beschwörung der Hoffnung, Pizarros grausam-triumphierendes »Ha, welch ein Augenblick!«, das vielschichtige, kostbar-schwebende Quartett »Mir ist so wunderbar« und schließlich den bereits genannten, frenetisch aufbrandenden Jubelchor am Schluss.
Das Werk selbst spielte und spielt in der Wiener Operngeschichte eine denkbar große Rolle: Die Uraufführung (aller drei Fassungen) fand in Wien statt, mit dem Fidelio wurde 1955 die wiederaufgebaute Wiener Staatsoper eröffnet, mit fast 1.000 Aufführungen zählt das Werk zu den Ecksteinen ihres Repertoires. Und dass mit diesem Fidelio die erste szenische Neuproduktion der finalen Fassung seit 1970 erfolgt, streicht die Bedeutung der anstehenden Premiere nur noch mehr heraus.
»Wahrheit wagt ich kühn zu sagen, und die Ketten sind mein Lohn.«
Regisseur Nikolaus Habjan im Interview
Was ist Beethovens Fidelio für Sie? Eine Freiheitsoper? Oder ein Werk, das zeigt, wie stark solche Begriffe dem Missbrauch ausgesetzt sind? Schließlich wurde die Oper nicht nur im NS-Regime auf alle möglichen Arten instrumentalisiert.
Fidelio ist für mich eine Freiheitsoper, die von ganz großen Idealen getragen wird. Wie es aber mit Idealen und Begriffen leider so ist, können diese ganz schnell gestohlen und missbraucht werden. Das ist, wie Sie sagen, auch dem Fidelio in der Zeit des NS-Regimes passiert. Dafür kann die Oper aber nichts! Ich glaube fest daran, dass man diese Oper im Hinblick auf große Ideen betrachten muss – und nicht als ein in irgendeiner Weise dystopisches Werk.
Eine für Sie besonders wichtige Figur in der Oper ist der Kerkermeister Rocco – ein klassischer Mitläufer, der anfangs auf der Seite des Despoten Pizarro steht. Was weckt Ihr Interesse an ihm?
Er ist die einzige Figur, die eine echte Entwicklung von ihrem ersten bis zum letzten Auftritt durchmacht. Und das ist für mich das Spannende an ihm. Er beginnt als kleiner, opportunistischer Wurm – anders kann man es nicht sagen –, als einer, der zutiefst bieder ist und unter dem Einfluss des Gouverneurs Don Pizarro steht. Im Laufe der Handlung wendet er sich aber immer mehr dem Einfluss Leonores zu und wechselt die Seite. Er wird immer selbstständiger, beginnt plötzlich Dinge zu hinterfragen. Er will wissen, warum die Gefangenen ohne Grund weggesperrt werden, warum er dem gefangenen Florestan nichts zu trinken geben soll, warum er sich für alles einspannen lassen soll – sogar für einen Mord.
Und am Ende der Oper macht er etwas, das der Rocco des ersten Aktes niemals getan hätte: Er fährt dem höchsten Politiker, dem vom König gesandten Don Fernando, mit den Worten »Wohlan, so helfet! Helft den Armen!« über den Mund. Ein wunderschöner Moment!
Das ist übrigens, denke ich, die Botschaft des Fidelio: Man muss nicht ein Held sein. Wir alle sind – und da darf sich keiner von uns ausnehmen – auf irgendeine Weise Mitläufer. Aber wir können uns entscheiden, welchem Einfluss wir uns zuwenden. Und genau das macht Rocco. Er wendet sich dem Guten zu.
Der finale, euphorische Schlussjubel – ist dem zu trauen? Oder wird da letztlich wieder etwas von oben verordnet?
Ich glaube, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man ein solches Finale negativ, also von oben verordnet, lesen sollte. Wenn man sich die Theatergeschichte anschaut, merkt man eines: Sind die Zeiten gut, dann macht man gerne dystopisches Theater. Wenn die Zeiten selbst aber immer dystopischer werden – und das kann man heute leider nicht verleugnen –, dann muss man Kunst schaffen, die hilft, mutig zu sein.
Der große Theatermacher Michael Vogel hat einmal einen schönen und unglaublich wichtigen Satz gesagt: »Mein Wunsch ist es, dass die Leute nach einer Vorstellung ein kleines bisschen mutiger aus dem Theater hinausgehen, als sie gekommen sind.« Ich denke, der Fidelio ist genau so gemeint. Und daher muss man die mutige Rettungstat, die Leonore begangen hat, auch in einer entsprechenden – also euphorischen – Art und Weise würdigen.
Dass dies in der Oper so nachdrücklich geschieht, das ist auch dem Charakter Beethovens geschuldet.
In welcher Zeit wird Ihre Inszenierung spielen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft? Oder in einer nicht näher definierten Zeitlosigkeit?
Ich möchte keinen Fidelio mehr sehen, der etwa an der deutsch-deutschen Grenze spielt – also eine Produktion, die eine ganz konkrete politische oder gesellschaftliche Situation erzählt. Der Fidelio funktioniert meiner Meinung nach nur, wenn er allgemein gehalten ist. Man muss ihn als ein Märchen begreifen, als eine Fabel.
Wenn man das Werk zeitlich und geografisch zu konkret verortet, verliert es an Bedeutung. Abgesehen davon läuft man zusätzlich Gefahr, dass die Produktion ästhetisch nach wenigen Jahren veraltet ist.
Wenn Fidelio eine Fabel ist – wollen Sie das Werk bewusst in scharf abgegrenzten Schwarz-Weiß-Tönen halten? Also – abgesehen von Rocco – ein wenig kategorisieren: Das sind die Bösen, das sind die Guten?
Natürlich, es sind ja alles Archetypen – auch Rocco. Das sind sie im Libretto, und als solche sind sie auch in der Musik ganz klar definiert: Man kann hören, wie Rocco tickt, wie Marzelline ist, was Florestan und Leonore ausmacht. Wir treffen auf letztlich schablonenhafte Charaktere und keine – wie etwa bei Mozart – hoch auspsychologisierte, sehr komplexe Figuren.
Nein, hier ist alles sehr klar, fast holzschnittartig. Was aber auch den Reiz des Werkes ausmacht!