Ein Rockstar auf Tour
Debüt |

Lydia Steier
Was ist Ihr Antrieb, heute den Tannhäuser zu machen?
Es gibt so viele Parallelen zwischen den Opernfiguren und dem Heute. Mitunter ist es elektrisierend, wie aktuell uns manches vorkommt. Tannhäusers Unvermögen, in eine Welt zu passen, seine Zerrissenheit, sein Abdriften in Halluzinationen. Und wenn wir daran denken, was uns Psychologen über die Generation Z sagen, in der viele an massiven Depressionen und Angststörungen leiden, weil sie zwischen einer Online-Welt und einem echten Leben hin und hergerissen werden. Wenn wir von Menschen hören, die zwischen Moral, Geld, Erfolg, Freiheit, Familie und anderem stehen – das sind alles Fragen und Herausforderungen unserer Zeit.
Interessiert Sie das, indem Sie diese Phänomene vorführen, oder indem Sie sagen: Ich versuche hier ein Problem zu lösen?
Ich kann im Theater keine Probleme lösen. Wollte ich das tun, wäre ich Politikerin. Mir geht es um einen dynamischen, respektvollen Umgang mit unserem Zeitalter, um eine kritische Beziehung zu unserer Welt, um ein Nachfragen. Das ist meine Aufgabe.
Aber ist Ihr Tannhäuser eine realistische Geschichte? Baudelaire meinte, dass es sich bei den Figuren nur um Prinzipien handelt.
Zweifellos bewegen wir uns in einer Sphäre von Metaphern, wir haben einerseits Leidenschaft und Genuss, andererseits Pflicht und Frömmigkeit. Das sind archetypische Welten, durch die Musik zum Leben erweckt. Das Stück hat aber auch eine enorme Subjektivität und wir spielen auch mit den Blickwinkeln: Es gibt eine »objektive« Bühne, dann wiederum sind wir plötzlich, durch Licht- und Bewegungswechsel und seltsamen Erscheinungen, in Tannhäusers Kopf.
Das Ganze changiert also zwischen Realismus und einer subjektiven Sicht. So machen wir diese Metaphern menschlicher und holen sie näher an uns heran. Damit es nicht nur ein akademisches Konstrukt ist zwischen Pflicht und Verlangen, sondern eine Reise eines Helden – eines Helden, der komplett scheitert.
Ist die Welt von Venus also in Tannhäusers Kopf oder ist sie real?
Auf der Bühne muss Venus eine gewisse taktile, reale Qualität entwickeln, schließlich ist sie lang genug zu sehen. (lacht) Aber es ist nicht sicher, ob sie nicht nur ein Hirngespinst ist, oder ob er wirklich bei ihr war. Es gibt übrigens andere Figuren in dem Stück, die auch gerne dort wären…
Der zweite Akt ist dann ein wenig Macbeth-artig, man sieht die Geister aus dem ersten Akt wieder. Da ist wieder die Spannung zwischen subjektiver und objektiver Welt, wir haben Slow motion und Lichtwechsel, Tannhäuser hat Flashbacks.
Egal, wie sehr er sich auch bemüht, diese Welten auseinander zu halten – es ist nicht möglich. Er scheitert an dem Versuch, gewissermaßen einen Teil von sich abzuhacken, um ein anderes Dasein zu leben. Das ist als Ziel denkbar, aber nicht umzusetzen.
Gibt es bei Ihnen eine bessere und eine schlechtere Welt? Ist die Welt der Venus eine gute? Ist die strenge im zweiten Akt die beängstigendere?
Mit der Setzung, dass wir im zweiten Akt in der Zeit um 1938 sind – auch wenn es keine NS-Symbolik gibt –, ergibt sich natürlich eine negative Zeichnung. Wohingegen der erste Akt in einer Art Kabarettwelt spielt, vaudevillehaft, an die 1920er Jahre erinnernd. Die Kostüme sind an Otto Dix, Max Ernst und andere, später als »entartet« diffamierte Künstler, angelehnt. Das ist eine Welt, in der ich persönlich auch gerne wäre, das ist einladend, anziehend.
Was wir als eine zweite Ebene parallel dazu machen, ist, die Theatergeschichte ein wenig nachzuzeichnen: Der erste Akt ist wie ein dionysisches Fest, prätheatral, ein Zeitalter, in dem das Ritual eine große Bedeutung hatte und in dem die Agierenden und Zuschauenden nicht getrennt waren. Dann wird es uns vertrauter, ein Theater mit Darstellenden und einem zahlenden Publikum, und schließlich landen wir in einem Niemandsland mit Bildschirmen, in dem der Kontakt zwischen jenen, die den Content herstellen und jenen, die ihn konsumieren, zerbrochen ist. Als Tannhäuser stirbt, kehrt der Traum eines sinnlicheren Theaters zurück – eine Art Fiebertraum im Augenblick seines Todes.
»Bei uns ist Wolfram in Tannhäuser verliebt.
In den Menschen Tannhäuser.
Und er ist neidisch, dass er nicht so authentisch sein und sein Leben nicht ausleben kann.«
Und inwiefern hat die Gesellschaft Angst vor Tannhäuser?
Sie können durchaus Angst haben vor seinen Exzessen, davor, dass man sich vergisst, dass man seine Korrektheit und Viereckigkeit hinter sich lässt. Oder es ist auch nur eine gespielte Empörung, ein gesellschaftliches Konstrukt, denn wie viele Menschen hatten immer ihr geheimes Sexleben, sind fremd gegangen – nur sprechen sie es nicht aus. Manche haben dann gar keine Angst, sondern geben nur vor, entrüstet zu sein.
Für Wagner war das Mitleid mit Tannhäuser im zweiten Akt ein ganz wichtiger Aspekt. Können Sie damit etwas anfangen?
Ja, definitiv! Er verliert ja alles, die Chance auf eine glückliche Liebe zu Elisabeth ist dahin, alles, was er noch hat, ist die Möglichkeit, sich selbst irgendwie zu retten und Erlösung zu finden.
Erlösung wovon? Von seiner Authentizität?
Vor sich selbst. Im Sinne von: Rettet mich vor dem, was ich will. Das ist der Schrei von jedem Abhängigen.
Unser Herz schlägt meistens für eine bestimmte Figur. Welche ist es bei Ihnen?
Interessanterweise Wolfram. Denn wir alle wollen manchmal Tannhäuser sein, inkorrekt agieren, selbst, wenn das quälerisch ist. Aber um als Frau in unserer Regiebranche überhaupt überleben zu können, muss man sich oft anpassen, viel lächeln und brav sein.
Es ist wirklich verblüffend, aber Frauen dürfen deutlich weniger die Sau rauslassen als ihre männlichen Regiekollegen. Es gelten nach wie vor andere Parameter. Für alle gibt es Regeln, aber als Frau muss man deutlich mehr Regeln im Blick behalten. Wolfram ist keine Frau, klar. Aber ich verstehe, wie er sich unter den Zwängen der Gesellschaft fühlt.