Ein großer Teamplayer des Musiktheaters
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In der deutschsprachigen Musiktheater-Landschaft macht der Regisseur Dirk Schmeding seit einiger Zeit nachhaltig auf sich aufmerksam.
Auch in Österreich ist er seit seinen überaus erfolgreichen Inszenierungen von Schwanda, der Dudelsackpfeifer und Venus in Seide am Opernhaus Graz sowie von Die stumme Serenade am Theater an der Wien alles andere als ein Unbekannter: Nun freut Schmeding sich auf sein Staatsoperndebüt mit Smetanas Verkaufter Braut.
Seit seiner Erstbegegnung mit dieser Oper als Schüler und Opernneuling fühle er sich von ihrer unbändigen Vitalität gepackt, so Schmeding. Zugleich sei das Werk von einer Melancholie durchdrungen, die nie sentimental oder pathetisch daherkäme, sondern weise, ebenso »lebensweise« wie die Komödien Shakespeares und Mozarts.
Wir machen Sie auf den nächsten Seiten mit drei seiner Inszenierungen aus den letzten Jahren in Wort und Bild bekannt. Sergio Morabito, ehemaliger Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, hat Schmedings Arbeit seit ihren Anfängen in Weimar und Stuttgart kontinuierlich verfolgt.
Eine laizistische Passion


Im Sommer 2019 inszenierte Schmeding am Theater Osnabrück Guercœur von Albéric Magnard (1865–1914). Es handelte sich um die erste szenische Wiederaufführung der Oper seit ihrer posthumen Uraufführung 1931 in Paris. Das Werk ist in seiner Verbindung von Spiritualität und politisch-konkreter Diesseitshoffung bemerkenswert. Dass Guercœur anlässlich der Osnabrücker Neuinszenierung von der Kritik als »Stück der Stunde« begrüßt wurde, ist durchaus nachvollziehbar. Magnard trat mit ihm als überzeugter Republikaner und Europäer gegen Reaktion und Chauvinismus an.
Das Stück erzählt die Geschichte des Läuterungsweges eines republikanischen Freiheitskämpfers. Im ersten Akt protestiert Guercœur im Jenseits gegen seinen Tod und wird endlich von der Allegorie der Vérité (Wahrheit) ins Leben zurückgeschickt, nicht zuletzt auf Fürsprache der Souffrance (des Leidens), denn auf seinem siegreichen Lebensweg war er dem Leiden nie begegnet. Zwei Jahre sind seit seinem Tod vergangen, doch die Welt ist nicht mehr die, die er verlassen hatte: Seine geliebte Giselle hat ihr an seinem Sterbelager abgelegtes Treueversprechen zugunsten seines einstigen politischen Ziehsohns Heurtal gebrochen. Dieser ist zum zynischen Populisten verkommen und schickt sich an, das emanzipatorische Vermächtnis Guercœurs zu schleifen. In den Wirren des Machtkampfes fällt Guercœur und geht, diesmal umfassend gescheitert, wieder ins Jenseits ein. Dort verheißt die Vérité die Utopie einer künftigen befreiten Gesellschaft, u.a. mit den Worten: »Die Vermischung der Rassen und Sprachen wird der Menschheit eine Kultur des Friedens geben.«
Am stärksten hat es dem Komponisten (wie vielen Franzosen) der Parsifal angetan. Nachklänge von dessen Leidensakzenten, sublimer Erlösungspoesie und zart-verhangenem, impressionistischem Vorfrühling prägen die zwischen 1897 und 1900 entstandene Partitur. (Unbedingt sollte man die Einspielung unter Michel Plasson von 1987 nachhören.)
Osnabrück hat das großformatige Werk mit großem Einsatz auf allen Ebenen beeindruckend gestemmt. Neben dem Solistenensemble wurde auch der Chor sowohl in den archaisierenden, nahezu liturgischen Rahmenakten als auch in den Aktions-Choren des zweiten Aktes den Aufgaben gerecht – ebenso das Orchester, das wohl nur aufgrund einer reduzierten Besetzungsgröße der geforderten spätromantischen Klangfülle vielleicht nicht in jedem Moment entsprechen konnte.
Dirk Schmeding und sein Team (Bühne: Martina Segna, Kostüme: Frank Lichtenberg) gingen mit großer visueller Fantasie und phantasievoll-spielerischer Leichtigkeit vor, was immer wieder zu klug gesetzten Brechungen führte. Im kontemplativen dritten Akt kontrapunktierte Schmeding die beschworene Utopie zunächst mit Reanimierungsversuchen Guercœurs, dann der Ausstellung seines Totenscheins und der Aufbahrung und Einäscherung des zum zweiten Mal und nun gewaltsam zu Tode Gekommenen.
Dafür hatte Schmeding seine Darsteller ganz offensichtlich von einem Notarztteam sowie einem professionellen Leichenverbrenner einweisen lassen, wie mir der Intendant Ralf Waldschmidt nach der Aufführung bestätigte: Gestische Präzision als Voraussetzung ästhetischer Schärfe und Triftigkeit. Zu Recht sprach die überregionale Kritik von einer »szenisch strengen, Geist und Intentionen des Stücks in keinem Moment verratenden Realisierung«.
Schmedings Inszenierung wurde in der Kritikerumfrage der Opernwelt zur »Wiederentdeckung des Jahres« gewählt und für die International Opera Awards 2020 nominiert.
Tanz auf dem Vulkan


Im Dezember 2021 folgte in Graz als Schmeding-Premiere Svanda dudák. Diesen 1927 in Prag uraufgeführten »Tanz auf dem Vulkan« der tschechisch-böhmischen Nationalmusik, der – über den notorischen Umweg einer deutschen Max-Brod-Bearbeitung als Schwanda, der Dudelsackpfeifer – zum Welterfolg wurde (Wiener Staatsoper, Covent Garden, Met …), kurz bevor die Nazis das Werk Jaromír Weinbergers, des Tschechen mit jüdischen Wurzeln, aus den Spielplänen verbannen, um 1938 in sein Land einzufallen, haben der Regisseur und sein Team als ebenso opulente wie intelligent-witzige Revue auf die Bühne gebracht.
Dabei gelang es dem Regisseur auch auf einer extrem stilisierten Bühne die anrührende Dreiecksgeschichte zwischen dem bäuerlichen Dudelsackvirtuosen, seiner frisch angetrauten Dorotka und Babinsky – einem böhmischen Robin Hood, der als Agent Provocateur die beiden tschechischen Landeier zu einer Reise »vom Himmel durch die Welt zur Hölle« verführt –, konkret, plastisch, dabei differenziert und mit liebevoller Genauigkeit zu erzählen.
Er vermochte dabei sogar auch Ganzkörperkostüme (wie die Pinguine, die den Hofstaat der Eiskönigin formieren, oder das welke Fleisch des Höllenfürsten) spielerisch zu beleben und zu beglaubigen. Den Folklore-Overkill der Partitur begegnete die Aufführung mit geistesgegenwärtiger Fantasie.
Nicht die rasanten Polkas, Furiants und Ozdemeks – bei denen der Max-Reger-Schüler Weinberger instrumentatorische und kontrapunktische Satzkünste spielen lässt, die in einer virtuosen Orchesterfuge gipfeln, mit der Schwanda der Hölle einheizt –, aber die sentimental-aufgedonnerten Schmulzen wären in einiger weniger brillanten Inszenierung vielleicht nicht ganz so gut zu ertragen.
Schmeding hat sich in meiner Wahrnehmung von Aufführung zu Aufführung eine immer sicherere und freiere Theatersprache erarbeitet, die zu großen Hoffnungen berechtigt.
Die große Hoffmann-Show


Im September 2023 brachte Dirk Schmeding am Staatstheater Darmstadt Offenbachs Hoffmanns Erzählungen auf die Bühne. Gemeinsam mit Robert Schweer (Bühne), Britta Leonhardt (Kostüme) und der Choreografin Rachele Pedrocchi schuf er eine Inszenierung, die ästhetisch gewagt und zugleich völlig stimmig ist. Schmeding zeigte sich dabei als echter Teamplayer, der die Impulse seiner Darsteller mitreißend und präzise kanalisiert.
Der Abend erzählt von der unmöglichen Beziehung zwischen Hoffmann, dem versoffenen Künstler-Narzisten-Genie, und seiner Muse, die ihn durch Höhen und Tiefen begleitet. Die Bühne: ein vollgestopftes Einzimmer-Apartement mit Bett, Moodboard, Skizzenkartons und einem mannhohen Kühlschrank. Aus diesem entwächst zunächst der Chor der Geister von Wein und Bier, bevor die große HOFFMANN-Soloshow beginnt – Hoffmann Performer und Publikum zugleich, während der gesamte Chor in Glitzerjacken sein eigenes Superstar-Ich feiert.
Die Muse bleibt Beobachterin und versucht, Hoffmann immer wieder vom Abgrund seiner Hybris zurückzuholen. Szenische Details wie ein überdimensionierter Flaschenöffner als Balalaika, gefiederte Sterne, tote Vögel und riesige Tauben-Skulpturen sorgen für sureale Bildgewalt und melancholische Zwischentöne. Schmeding gelingt es, Showeffekte und poetische Momente zu verbinden, ohne dass die Inszenierung in bloße Effekthascherei kippt.
Hoffmanns Charakter wird als unverbesserlicher Traumtänzer gezeigt, ähnlich Mastroiannis Rollen in Fellinis Filmen. Wie in Ginger und Fred spiegelt sich sein Leben in der Revue seiner Träume. Das Dekor der Binnenakte setzt Schweer aus den verfremdet-vervielfachten Elementen des Haushalts mit der Muse zusammen. Die Bühne bleibt leer, ein schwarzes Loch, über dem Hoffmanns Glitzer-Kometenschweif funkt.
Am Ende, als alle Doppelgänger zusammengebrochen sind, senken sich zwei Altglas-Container herab – für Braun- und Grünglas. So gnadenlos wurde Hoffmann selten »entsorgt«. Die Muse schafft es, sich von ihrem Partner zu lösen. Er strandet als Wrack vor den Containern, während aus dem Off die Apotheose erklingt: »Des cendres de ton cœur réchauffe ton génie«.
Besonders imponierend sind die Darsteller: Solgerd Isalv (Muse/Nicklausse) mit magnetischer Präsenz, Matthew Vickers (Hoffmann) in physischer Höchstform, Juliana Zara als kraftvolle Olympia, Megan Marie Hart mit dunkel timbriertem Sopran als Antonia und Jana Baumeister (Giulietta) etwas kühler im Ausdruck. Der Chor agierte hoch motiviert, Daniel Cohen leitete das Orchester stilvoll. Gespielt wird weitestgehend die Guiraud-Rezitativfassung in der kritischen Neuausgabe von Jean-Christophe Keck.
Fazit: Schmedings Hoffmann ist eine Inszenierung von seltener Balance – waghalsig, verspielt, visuell brillant und gleichzeitig tief melancholisch. Ein Abend, der Teamgeist, Fantasie und szenische Präzision auf beeindruckende Weise vereint.