Drei starke Frauen

Interview |

Über die Frauenfiguren in »Elektra«, menschliche Abgründe in Strauss’ Oper und Whisky nach einer Aufführung.

Wie­der ein­mal geht es ganz schön bru­tal zu: Agamemnon op­fert sei­ne äl­tes­te Toch­ter, Iphigenie, und zieht dann in den Krieg. Die Mut­ter, Klytämnestra, nimmt sich ei­nen Lieb­ha­ber – ge­mein­sam er­mor­den sie Agamemnon nach sei­ner Rück­kehr. Der Sohn Orest flieht zu sei­ner Si­cher­heit aus dem Pa­last; sei­ne Schwes­tern Elektra und Chrysothemis blei­ben zu­rück. Bren­nend vor Hass und Ra­che­durst war­tet Elektra auf die Rück­kehr des Bru­ders, der den Va­ter­mord durch Mut­ter­mord rä­chen soll. – So erst­mal grob die Aus­gangs­la­ge des auf der Atridensage ba­sie­ren­den Ein­ak­ters Elektra von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Ein Stoff, der Dar­stel­ler und Pu­bli­kum glei­cher­ma­ßen zwingt, in die Ab­grün­de der mensch­li­chen Exis­tenz zu bli­cken. Im Mit­tel­punkt ste­hen da­bei drei Frau­en­fi­gu­ren – Elektra, Klytämnestra und Chrysothemis, die in ih­rer Kom­ple­xi­tät und In­ten­si­tät ei­ne sol­che Wir­kungs­kraft ent­fal­ten wie in kaum ei­ner an­de­ren Oper. Zur Wie­der­auf­nah­me an der Wiener Staatsoper keh­ren er­neut Aušrinė Stundytė und KS Camilla Nylund in den Rol­len der Elektra und der Chrysothemis zu­rück. KS Nina Stemme ver­kör­pert erst­mals die Klytämnestra. Mit Rebecca Sophie Mayr spre­chen die So­pra­nis­t­in­nen über die Un­tie­fen des Werks und die Be­zie­hung zu ih­ren Fi­gu­ren.

Frau Stundytė, Frau Nylund, Frau Stemme, Strauss’ Elektra ist für Sie al­le kein Neu­ling. Sie ha­ben das Stück schon vie­le Ma­le in­ter­pre­tiert, auch hier an der Wiener Staatsoper. Er­in­nern Sie sich noch an Ih­ren ers­ten Be­rüh­rungs­punkt mit dem Werk?

AS: Als ich noch Stu­den­tin war – und ein gro­ßer Puccini-Fan –, ha­be ich mal ein Vi­deo von Elektra ge­se­hen. Ich er­in­ne­re mich nicht mehr ge­nau an die In­sze­nie­rung, aber ich weiß noch, dass es mir über­haupt nicht ge­fal­len hat. Die Mu­sik kam mir wild vor, die Ge­schich­te zu bru­tal, und ich war über­zeugt, dass ich die­se Oper nie­mals live se­hen muss­te. Spu­len wir et­wa fünf­zehn Jah­re vor­wärts: Mir wur­de die Rol­le der Chrysothemis an­ge­bo­ten, und mei­ne Elektra war Irene Theorin. Ih­re Stim­me über­rasch­te mich völ­lig – plötz­lich klang die­se mör­de­ri­sche Welt wun­der­schön. Da dach­te ich: »Okay … viel­leicht ha­be ich mich ge­irrt. Ich wür­de das tat­säch­lich ger­ne ei­nes Ta­ges sin­gen.«

CN: Ich ha­be Elektra sze­nisch tat­säch­lich mal in Japan ge­se­hen. Das Stück und die­se Wahn­sinns­par­tie der Ti­tel­fi­gur wa­ren mir na­tür­lich oh­ne­hin ein Be­griff. Aber so rich­tig aus­ein­an­der­ge­setzt da­mit ha­be ich mich dann erst in mei­ner ers­ten Pro­duk­ti­on. Das war 2011 in Amsterdam in ei­ner Re­gie von Willy Decker, mit dem ich da­vor auch schon ei­ni­ge Ma­le ge­ar­bei­tet hat­te. Die ers­te Pro­duk­ti­on in ei­ner neu­en Rol­le ist na­tür­lich im­mer sehr prä­gend. Und dann die­se Frau­en­fi­gu­ren in ih­ren Zwän­gen und aus­weg­lo­sen Si­tua­tio­nen – das ist schon sehr be­rüh­rend.

NIS: Ich war da­mals in Wien für ein Vor­sin­gen bei dem da­ma­li­gen Di­rek­tor Ioan Holender und woll­te un­be­dingt die Akus­tik im Saal vor­ab hö­ren. Al­so ging ich am Vor­a­bend aus­ge­rech­net in die Kupfer-Elektra. Es war sehr be­ein­dru­ckend, aber ich sprach da­mals noch nicht sehr gut Deutsch und kann nicht sa­gen, dass ich kom­plett ver­stan­den ha­be, wo­rum es ging. Aber ich er­in­ne­re mich an ei­ne un­glaub­li­che In­ten­si­tät auf der Büh­ne und na­tür­lich hät­te ich da­mals nie­mals träu­men kön­nen, dass ich ir­gend­wann ein­mal Elektra und Klytämnestra auf der­sel­ben Büh­ne sin­gen wer­de.

»Die­se be­son­de­re Ver­bin­dung von Strauss und Hofmannsthal zu Wien – das kre­iert schon ei­ne sehr ein­zig­ar­ti­ge Atmosphäre.«

Frau Stemme, für Sie ist die­se Wie­der­auf­nah­me ja ein sehr be­son­de­rer An­lass, denn Sie ge­ben, un­ge­fähr zehn Jah­re nach­dem Sie auch Ihr Elektra-Rol­len­de­büt an der Wiener Staatsoper ga­ben, jetzt Ihr De­büt als Klytämnestra. Hat sich das zu­fäl­lig so er­ge­ben, oder ha­ben Sie es so ge­plant?

NIS: Nun ja, da­mals ha­be ich na­tür­lich stän­dig Rol­len­de­büts in Neu­pro­duk­tio­nen ge­ge­ben. Aber jetzt für die Klytämnestra – nach mei­nem Ortrud-De­büt 2023 wuss­te ich, dass ich hier in Wien sehr gu­te Un­ter­stüt­zung be­kom­men wür­de. Und dann gibt es au­ßer­dem die­se be­son­de­re Ver­bin­dung von Strauss und Hofmannsthal zu Wien – das kre­iert schon ei­ne sehr ein­zig­ar­ti­ge At­mo­sphä­re.

Wie fühlt es sich an, wenn man ein Stück be­zie­hungs­wei­se ei­ne Rol­le so lan­ge mit sich trägt?

AS: Das Groß­ar­ti­ge an Elektra ist, dass es nie lang­wei­lig wird. Ich kom­me nie an ei­nen Punkt, an dem ich den­ke: »Ja, jetzt ver­ste­he ich sie voll­kom­men.« Grie­chi­sche Tra­gö­di­en be­schäf­ti­gen sich mit die­sen gro­ßen mensch­li­chen Ar­che­ty­pen – Loya­li­tät, Ra­che, Trau­ma, Lie­be – und sie le­ben ir­gend­wo in uns al­len. Wenn ich mich ver­än­de­re, ver­än­dert sich auch mei­ne Elektra mit mir. Es ist, als wür­de man ein al­tes Ta­ge­buch wie­der auf­schla­gen: Plötz­lich fal­len ei­nem Din­ge auf, die man zu­vor über­se­hen hat. Des­halb bleibt es so span­nend.

CN: Ge­nau, mit der Zeit ver­än­dern sich man­che Din­ge na­tür­lich: Man geht an­ders an die Par­tie he­ran, singt sie an­ders. Das liegt da­ran, dass man da­zwi­schen na­tür­lich wei­ter wächst, an­de­re Par­ti­en singt, auch dra­ma­ti­sche­re Par­ti­en in mei­nem Fall. Da wer­den dann die ly­ri­schen Stel­len, die Chrysothemis zu sin­gen hat, schon et­was ein­fa­cher. Ich er­in­ne­re mich, dass ich die Rol­le an­fangs sehr an­stren­gend fand, auch wenn es kei­ne be­son­ders lan­ge Par­tie ist. Auf Dau­er lernt man, da bes­ser dar­über zu ste­hen.

Frau Stemme – das­sel­be Stück, neue Rol­le: Gibt es da auch Kon­ti­nui­tä­ten oder Ver­än­de­run­gen?

NIS: Ich ha­be im­mer im gu­ten Sin­ne ei­ne ge­wis­se Hass­lie­be zu Strauss’ Mu­sik ge­habt. Hand­werk­lich ist er ja wirk­lich ge­ni­al – fast zu ge­ni­al. Ein biss­chen wie Puccini. Er weiß ge­nau, wie er die Sän­ger, v. a. die So­pra­nis­tin­nen, be­han­deln soll, aber auch das Pu­bli­kum. Aber dann, wenn ich mei­ne Par­tie ge­lernt ha­be, bin ich ja to­tal of­fen. Dann geht mir die Mu­sik von Strauss wirk­lich un­ter die Haut. Der Wech­sel von Elektra zu Klytämnestra hat sich für mich jetzt ein­fach so er­ge­ben. Mei­ne Stim­me fühlt sich in ei­ner tie­fe­ren La­ge an­ge­neh­mer an; au­ßer­dem den­ke ich, dass mei­ne Büh­nen- und Le­bens­er­fah­run­gen nun in der Mut­ter­rol­le viel­leicht bes­ser auf­ge­ho­ben sind. Aber die In­ten­si­tät und Be­geis­te­rung für das Stück im All­ge­mei­nen bleibt ei­nem ab­so­lut er­hal­ten. Ins­be­son­de­re Elektra ist dies­be­züg­lich un­er­schöpf­lich.

Elektra ist in al­len Punk­ten ein ex­tre­mes Stück. Mord, Ra­che, Hass, Schuld, Fa­mi­li­en­trau­ma­ta … Al­le die­se Din­ge spie­len ei­ne gro­ße Rol­le. Wie stellt man sich men­tal auf ein sol­ches Su­jet ein?

NIS: Die Schwe­re des Su­jets nimmt ei­nen na­tür­lich mit. In mei­nen Vor­be­rei­tun­gen den­ke ich zur­zeit bei­spiels­wei­se fast tag­täg­lich an den Tod, denn die­se un­glaub­li­che To­des­angst ist ein zen­tra­les The­ma bei Klytämnestra. Ei­gent­lich weiß sie, dass sie ster­ben wird, aber sie ver­drängt es, ver­sucht, es von sich zu hal­ten. Strauss und Hofmannsthal le­gen das al­les in den Text und in die Mu­sik, in die Art und Wei­se, wie sie mit mu­si­ka­li­schen The­men und Mo­ti­ven um­ge­hen. Klytämnestra ver­sucht im­mer wie­der, ih­re Er­in­ne­run­gen zu un­ter­drü­cken, aber dann bre­chen sie un­er­war­tet nach au­ßen her­vor – das spie­gelt sich mu­si­ka­lisch wi­der. Ich den­ke, dass sich sehr viel im Un­ter­be­wusst­sein ab­spielt – qua­si im Sin­ne der Freud’schen Psy­cho­ana­ly­se. Das ist si­cher­lich auch der Ent­ste­hungs­zeit der Oper ge­schul­det.

CN: Ja, die­se gro­ße Angst – ich den­ke, das ist auch für Chrysothemis ein Haupt­the­ma. Sie ist ja kei­ne trei­ben­de Fi­gur in dem Stück, aber ih­re Schwie­rig­keit liegt da­rin, dass sie im­mer zwi­schen al­len steht. In dem ers­ten Zwie­ge­spräch ver­sucht sie, Elektra von ih­rem Ra­che­kurs ab­zu­brin­gen. An­de­rer­seits hat sie Angst vor ih­rer Mut­ter, vor der Un­be­re­chen­bar­keit der Klytämnestra und vor den schreck­li­chen Din­gen, die in die­sem Pa­last pas­sie­ren. Sie ist dort so ver­lo­ren und weiß nicht, wohin mit sich, au­ßer, dass sie weg will und hofft, dass al­les gut wird. Und am En­de stirbt Elektra auch noch, und sie bleibt ganz al­lein zu­rück.

Die an­de­ren Schwie­rig­kei­ten des Stücks sind na­tür­lich die mu­si­ka­li­schen An­for­de­run­gen: Chrysothemis ist zwar nicht durch­ge­hend auf der Büh­ne wie Elektra, aber durch die­se zwei kur­zen Sze­nen, durch die­ses Rein und Raus, muss man sich ei­gent­lich im­mer wie­der neu ak­kli­ma­ti­sie­ren. Das fühlt sich wahn­sin­nig stres­sig an, und ich glau­be, das ist viel­leicht auch et­was, das Strauss er­zeu­gen woll­te – die­ser stän­di­ge Stress, un­ter dem Chrysothemis steht.

AS: Ich den­ke, es ist un­mög­lich, sich wirk­lich mit die­ser Si­tua­ti­on zu »i­den­ti­fi­zie­ren« – zum Glück! Statt­des­sen ver­su­che ich, die Bot­schaft zu ver­ste­hen: In die­ser Fa­mi­lie ist nie­mand un­schul­dig. Je­der hat ei­nen Grund, je­der ist ver­letzt, und je­der glaubt, dass Ra­che al­les wie­der in Ord­nung brin­gen wird. Was die Ge­schich­te nicht bie­tet, ist ein Aus­weg. Die Spi­ra­le der Ge­walt hat kein En­de, sie es­ka­liert nur wei­ter. Das ist viel­leicht der be­un­ru­hi­gends­te As­pekt: Die Tra­gö­die ent­fal­tet sich nicht nur auf­grund des Bö­sen, son­dern weil kei­ne der Fi­gu­ren zur Ver­ge­bung fä­hig ist. Es ist das Ge­gen­teil ei­nes Hollywood-En­des. Die grie­chi­sche Tra­gö­die ver­wei­gert uns die Ka­thar­sis durch Glück – und zwingt uns statt­des­sen, uns mit uns selbst aus­ein­an­der­zu­set­zen. Man geht mit dem Ge­dan­ken weg: »Das hät­te an­ders en­den kön­nen, wenn je­mand ei­ne an­de­re Ent­schei­dung ge­trof­fen hät­te.«

Wie steht es denn um die Schuld­haf­tig­keit der Fi­gu­ren? Al­so die­ses »es hät­te an­ders en­den kön­nen, wenn …« – ist das ei­ne Hand­lungs­frei­heit, die die­se im My­thos ver­an­ker­ten Fi­gu­ren über­haupt be­an­spru­chen kön­nen?

AS: Wie ich be­reits sag­te, trägt in die­ser My­tho­lo­gie je­der Schuld – und je­der hält sei­ne Hand­lun­gen für ge­recht­fer­tigt. In die­sem Sin­ne ist Elektra viel­leicht das »un­schul­digs­te« Mit­glied der Fa­mi­lie. Aber es bleibt die Fra­ge: Wa­rum hat sie all die Jah­re ge­war­tet, oh­ne zu han­deln? Wa­rum han­delt sie erst, als sie vom Tod des Orest er­fährt? Hät­te sie es wirk­lich durch­ge­zo­gen? Wir wer­den es nie er­fah­ren. Ihr ein­zi­ges greif­ba­res Ver­bre­chen ist psy­cho­lo­gi­sche Fol­ter – die un­er­bitt­li­che emo­tio­na­le Ge­walt ge­gen ih­re Mut­ter. In der grie­chi­schen Tra­gö­die kann Pas­si­vi­tät ge­nau­so zer­stö­re­risch sein wie Han­deln.

NIS: Bei Klytämnestra muss man na­tür­lich die Vor­ge­schich­te be­ach­ten: Agamemnon ließ als Op­fer­ga­be für die Göt­ter die ge­mein­sa­me Toch­ter Iphigenie um­brin­gen. In­so­fern den­ke ich schon, dass Klytämnestra sich in ih­rer Ra­che an Agamemnon auch ge­recht­fer­tigt fühlt. Ich mei­ne, es gibt ja nichts denk­bar Schlim­me­res, als dass der ei­ge­ne Ehe­mann die ge­mein­sa­me Toch­ter er­mor­det. Und dann kehrt er nach dem Tro­ja­ni­schen Krieg auch noch mit ei­ner neu­en Lieb­ha­be­rin nach Hau­se zu­rück! Aber gut, Mord ist na­tür­lich Mord, und ich den­ke, wenn Klytämnestra im Zwie­ge­spräch mit Elektra da­von spricht, dass sie viel Gold an Orest ge­schickt hat, dann ver­sucht sie sich da­mit viel­leicht auch, ihr Ge­wis­sen frei­zu­kau­fen. Aber im Mo­ment möch­te ich mich in mei­ner In­ter­pre­ta­ti­on vor al­lem auf die­se Fra­ge der Ver­drän­gung, über die wir be­reits ge­spro­chen hat­ten, kon­zen­trie­ren und dar­auf, was es be­deu­tet, wenn all die­se un­ter­drück­ten Ge­füh­le plötz­lich wie­der hoch­kom­men.

Viel­leicht ein kur­zer Ex­kurs zu dem an­de­ren Strauss’schen Ein­ak­ter: Salome war der di­rek­te Vor­gän­ger zu Elektra, und Sie al­le ha­ben die­se Ti­tel­rol­le eben­falls ver­kör­pert. Wie emp­fin­den Sie die mu­si­ka­li­schen be­zie­hungs­wei­se stimm­li­chen Un­ter­schie­de zwi­schen den bei­den Wer­ken?

CN: Al­so, Salome ist, wie soll ich sa­gen, mu­si­ka­lisch viel blu­mi­ger als Elektra, auch wenn es in­halt­lich na­tür­lich ge­nau­so schreck­lich zu­geht. Ich lie­be es, die Salome zu spie­len. Man hat viel Ent­fal­tungs­spiel­raum auf der Büh­ne und wirk­lich Wun­der­ba­res zu sin­gen. Und es gibt vie­le Zwi­schen­tö­ne, die man durch­schei­nen las­sen kann, z. B. in der Be­zie­hung zu der Mut­ter Herodias – die Fa­mi­li­en­schwie­rig­kei­ten exis­tie­ren hier ge­nau­so wie in Elektra. Aber im All­ge­mei­nen ist Salome auf je­den Fall nicht so ei­ne Tour de Force wie Elektra.

AS: Das emp­fin­de ich ähn­lich. Salome zu sin­gen, fühlt sich an wie ein schnel­ler, auf­fäl­li­ger Sprint – viel Glit­zer, viel Ad­re­na­lin, gro­ßes Fi­na­le. Elektra ist ein Ma­ra­thon in schwe­ren Schu­hen. Das Or­ches­ter ist rie­sig, die Emo­tio­nen sind e­n­orm, und man muss sich wirk­lich sei­ne Kräf­te ein­tei­len. Salome will ei­nen scho­ckie­ren, Elektra will un­ter die Haut ge­hen. Ge­sang­lich kann man Salome »auf­füh­ren« – Elektra ver­langt ei­nem al­les ab und will dann noch mehr.

 

Strauss schreibt in sei­nen Er­in­ne­run­gen, dass Elektra sich zur Salome ver­hält wie der voll­en­de­te­re, stil­ein­heit­li­che­re Lohengrin zum ge­nia­len Erst­lings­ent­wurf des Tannhäuser. Wür­den Sie dem zu­stim­men?

NIS: Ja … viel­leicht muss­te es aber so sein, weil die bei­den Stü­cke auch sehr un­ter­schied­lich sind. Das war für Strauss auch ein The­ma. Er war ja nicht ganz über­zeugt, als er das Schau­spiel Elektra von Hofmannsthal ge­se­hen hat­te. Er hat­te Be­den­ken, ob es der Salome zu ähn­lich ist, weil bei­de Stü­cke ei­ne sol­che Frau­en­fi­gur ins Zen­trum stel­len. Aber das stimmt ja über­haupt nicht. Salome ist mu­si­ka­lisch sehr stark von Tristan und Isolde be­ein­flusst. Die Ti­tel­fi­gur ist jün­ger, ly­ri­scher, viel im­pul­si­ver, wohin­ge­gen Elektra ganz ziel­ge­rich­tet a­giert. Ihr gan­zes Le­ben hängt ja an die­ser Ra­che, und wenn die­se aus­ge­führt ist, en­det auch ihr Le­ben. Elektra ist in die­sem Sin­ne viel­mehr ei­ne Idee als Salome – al­so viel­leicht durch­aus et­was ein­heit­li­cher.

»Es sind cha­o­ti­sche, e­mo­tio­na­le, kom­pli­zier­te Frau­en, die ver­su­chen, ei­ne schreck­li­che Si­tua­ti­on zu ü­ber­ste­hen.«

Spä­tes­tens ab Salome ste­hen bei Strauss ei­gent­lich im­mer Frau­en­fi­gu­ren im Mit­tel­punkt der Hand­lung. Klei­ner Schwen­ker in die Po­pu­lär­wis­sen­schaft: In Film und Li­te­ra­tur wird häu­fig der so­ge­nann­te Bechdel-Test an­ge­wen­det als In­di­ka­tor für die Re­prä­sen­ta­ti­on von Frau­en in Wer­ken und Gen­res. Hier­für stellt man drei Fra­gen: Kom­men mehr als zwei Frau­en vor? Un­ter­hal­ten sie sich mit­ein­an­der? Spre­chen sie über et­was an­de­res als ei­nen Mann? Kann man dem­nach sa­gen, dass bei Strauss be­zie­hungs­wei­se in Elektra zeit­ge­mä­ße Frau­en­fi­gu­ren auf der Büh­ne ste­hen?

 

NIS: Jein … Es kommt dar­auf an, wie man sie in­ter­pre­tiert. Es ist na­tür­lich ein Ge­schenk, dass Strauss oft für meh­re­re weib­li­che Haupt­rol­len ge­schrie­ben hat. Als Wagner-Sän­ge­rin ver­misst man das ein biss­chen. Aber es stellt sich die Fra­ge, wa­rum Elektra den Mord nicht aus­füh­ren kann. Ist das, weil sie ei­ne Frau ist? Klytämnestra al­ler­dings führ­te die Tat selbst aus, al­so kann man viel­leicht auch nicht ar­gu­men­tie­ren, dass es im­mer der Mann sein muss­te.

Dann ist da na­tür­lich die Kin­der­fra­ge: Im Euripides ist es eher Elektra, die den Wunsch nach Fa­mi­lie und ei­nem trau­ten Heim hegt, nicht Chrysothemis. Al­so ver­än­dert Hofmannsthal durch­aus das Stück und stellt Chrysothemis deut­lich mehr in die »tra­di­tio­nel­le« Ecke. Und si­cher­lich hat er das auch be­wusst so in­ten­diert, denn dann kön­nen wir uns als Pu­bli­kum fra­gen, was das für Frau­en sind und wo­für sie ste­hen – oder auch, wo­für wir ste­hen.

CN: Ich den­ke, Strauss hat in ei­ner Zeit ge­lebt, in der Frau­en be­gon­nen ha­ben, ih­re ei­ge­nen Frei­hei­ten zu ent­de­cken. Er war ja auch mit ei­ner sehr star­ken Frau ver­hei­ra­tet, die ihn viel be­ein­flusst hat. Ge­ra­de Stü­cke wie Der Rosenkavalier füh­len sich un­ge­mein zeit­ge­mäß an, da hat er si­cher­lich den Li­bret­ti von Hofmannsthal auch viel zu ver­dan­ken.

Aus der Sän­ger­per­spek­ti­ve ist es na­tür­lich im­mer ei­ne Of­fen­ba­rung, Strauss zu sin­gen, weil er für die So­pran­stim­me ein­fach so gut ge­schrie­ben hat. An­de­rer­seits hat man auch manch­mal das Ge­fühl, dass die Frau­en bei Strauss in ei­ne Op­fer-Rol­le ge­drängt wer­den, ganz im Ge­gen­teil zu Wagner, wo die Frau­en ei­gent­lich im­mer eher Ret­te­rin­nen sind.

AS: Al­so, tech­nisch ge­se­hen wür­de Elektra den Bechdel-Test be­ste­hen – vie­le Frau­en auf der Büh­ne un­ter­hal­ten sich mit­ein­an­der. Sie spre­chen nicht im­mer über Män­ner, aber es han­delt sich auch nicht um »zeit­ge­nös­si­sche« Frau­en im mo­der­nen, fe­mi­nis­ti­schen Sinn. Sie spre­chen über Ra­che, Eh­re, Trau­ma­ta, aber es sind auch kei­ne ein­fa­chen grie­chi­schen Sta­tu­en. Es sind cha­o­ti­sche, e­mo­tio­na­le, kom­pli­zier­te Frau­en, die ver­su­chen, ei­ne schreck­li­che Si­tua­ti­on zu über­ste­hen. Die­ser Teil wirkt sehr mo­dern. Es ist fast be­ängs­ti­gend, wie ver­traut ih­re Emo­tio­nen noch im­mer sind.

Ei­ne letz­te Fra­ge: Ha­ben Sie nach so ei­nem Stück be­stimm­te Ri­tua­le zum »cool down« so­zu­sa­gen? Lie­ber ein war­mes Bad oder ein Glas Whis­ky?

AS: Wa­rum wäh­len? Ein war­mes Bad für die Mus­keln. Ein Glas Whis­ky für die Ner­ven. Per­fek­te Ba­lan­ce.

CN: Al­so, Whis­ky trin­ke ich gar nicht. Aber in Wien ist meis­tens je­mand in der Vor­stel­lung, den man kennt. Dann geht man da­nach noch ir­gend­wo hin und un­ter­hält sich über die Vor­stel­lung. Ich fin­de es im­mer be­son­ders in­ter­es­sant zu hö­ren, was Leu­te, die nicht vom Fach sind, dar­über den­ken. Ich bin ja nicht nur Sän­ge­rin, son­dern auch Schau­spie­le­rin. Da in­ter­es­siert es mich schon, wie die Ge­schich­te im Gan­zen ge­wirkt hat.

NIS: Al­so, nach Strauss am liebs­ten ein Bier. Bei kür­ze­ren Par­ti­en geht der A­dre­na­lin­spie­gel meis­tens schnel­ler wie­der he­run­ter, aber bei län­ge­ren Par­ti­en, die viel En­er­gie ab­ver­lan­gen – Elektra z. B. oder Isolde –, ge­he ich ger­ne nach Hau­se und ma­che ei­nen Spa­zier­gang. Aber mit den lan­gen Par­ti­en bin ich oh­ne­hin fer­tig, da be­dau­re ich nichts und seh­ne mich auch nicht zu­rück. Dann möch­te ich lie­ber vor­wärts zur nächs­ten Par­tie.

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