Die tiefste Stimmlage

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So vielfältig ist die Stimmlage Bass

Sprechstimme und Gesangsstimme laufen nicht zwingend konform. Und das Auffinden der eigenen vokalen Heimat ist überdies oft gar nicht so einfach und von vornherein festlegbar. Schon gar nicht für einen, der nicht aus einem »Stimmfachleute-Umfeld« kommt. Ich beispielsweise war ein totales Gesangsgreenhorn. Ein Musikliebhaber zwar, der mit großer Freude und mit viel Ehrgeiz Klavier gespielt hat und auch gerne und viel in Opernaufführungen ging, aber einer, der sich im Traum nicht hätte vorstellen können, jemals professionell singend auf einer Bühne zu stehen. In so einem Fall ist es hilfreich, wenn nahestehende Verwandte und Bekannte instinktiv aus dem oft gehörten Singen in der Dusche ein Talent, eine Befähigung herauslesen können und einem dies mitteilen. Kommt der Betreffende daraufhin womöglich selbst zur Überzeugung, ein zumindest brauchbares, vielversprechendes Instrument zu besitzen, geht er zu einem echten Kenner, um diesem vorzusingen und ein erstes professionelles Urteil einzuholen.

In meinem Fall war dies der Tenor Professor Franz Lukasovsky an der mdw, dem ich die »Abendstern«-Arie des Wolfram aus Tannhäuser vortrug. Schließlich hielt ich mich für einen zukünftigen lyrischen Bariton. Nachdem er mich aber, um meinen Tonumfang auszutesten, einige Skalen hat singen lassen, lautete sein Befund: »Ich werde Sie enttäuschen müssen, Sie sind kein Bariton, bestenfalls ein Bassbariton, wahrscheinlich geht es aber sogar in Richtung Bass.« Geht in Richtung Bass bedeutet: Man ist mit 19, 20 Jahren weit davon entfernt, eine tragfähige Tiefe zu besitzen, aber gewisse Anlagen deuten an, dass sie eines Tages erreicht werden könnte. Man bewegt sich also ausschließlich im Bereich der Möglichkeitsform...

»Was der werdende Bass neben Talent, einem guten Material und einem guten Lehrer benötigt, ist Geduld. Viel Geduld.«

Für die Aufnahmsprüfung an die Wiener Musikuniversität legte ich also den Hebel um und konzentrierte mich auf Bassrollen, konkret auf den Sarastro in der Zauberflöte: Nicht zuletzt deshalb diese Partie, weil ich mich bei ihr selbst am Klavier begleiten konnte. Und was macht ein Gesangsgreenhorn auf der Suche nach dem eigenen Stimmklang in so einem Fall? Er hört sich oft, sehr oft (vielleicht sogar zu oft) einen Lieblingssänger an – und imitiert diesen bewusst oder unbewusst. Bei mir war dies Kurt Moll, was für die Jury bei der Aufnahmsprüfung erheiternd offensichtlich auf der Hand lag. Das heißt mit anderen Worten für den Beginn: Irgendwer muss erkennen, wohin man tendiert und irgendwer sollte einem auch klarmachen, dass jede und jeder eine ganz spezielle Stimme hat und man nicht versuchen sollte, als vokale Kopie eines anderen herumzulaufen, da dies über kurz oder lang in eine Sackgasse führt.

Es dauert und dauert...

Was der werdende Bass neben Talent, einem guten Material und einem guten Lehrer benötigt, ist Geduld. Viel Geduld. Der Reifungsprozess dauert nämlich Jahre und vor allem oft länger als bei den anderen Stimmtypen. Während die leichteren Soprane bereits in den 20ern mitunter in Hauptrollen die größten Bühnen erklimmen, hört man als Bass in derselben Zeit nur: »Nicht schlecht, in 15 Jahren könntest du als Wagner-Bass infrage kommen.« Trotzdem durchzuhalten, bedeutet für einen jungen Menschen fast so viel, wie das Meistern einer Zen-Aufgabe. Oder, anders formuliert: Als junger Bass gleicht man einem Rotweinwinzer. Regelmäßig geht man in den Keller, um nachzuschauen, ob der Wein, das heißt die Stimme, schon »anzubieten« wäre – und wird sehr lange immer aufs Neue enttäuscht. Doch in dieser Zeit passiert dennoch Wichtiges. Das Legen und Festigen des Fundaments für die spätere Laufbahn nämlich. Der Stimmumfang wird behutsam erweitert und die Technik schrittweise entwickelt – Hand in Hand damit geht außerdem das Vertrautwerden mit der eigenen Stimme. In welchem Höhenbereich, in welcher Tessitura fühle ich mich grundsätzlich wohl und kann den Muskeltonus halten, wo ist das Passaggio, also der Übergangsbereich, bei dem ich beginnen muss, den Ton zu decken? Wie beweglich ist meine Stimme grundsätzlich? Dazu kommen weitere Faktoren, die eine ehrliche Entscheidung verlangen. Bin ich beispielsweise bestimmten Rollen von der erforderten physischen Energie, also der Stamina her, überhaupt gewachsen, welchem Rollentyp komme ich von der Persönlichkeitsstruktur grundsätzlich am nächsten etc. ? In diesem gesamten Findungsprozess nutzen eigene Wunschvorstellungen wenig. Mit einer beispielsweisen schweren, festeren Stimme ist ein bassbaritonaler Figaro oder Leporello außer Reichweite, egal, ob man sich gerne auch hier festgesetzt hätte. Und umgekehrt. Wem die Schwärze und profunde Tiefe fehlt, der sollte besser nicht vom Großinquisitor oder einem Claggart in Billy Budd träumen.

Bass ist nicht Bass

Die allgemein genormten Fach-Kategorien sind in Wahrheit auch im Bassbereich nur Theorie. Keine von ihnen existiert in Reinkultur, überall gibt es Überschneidungen und Mischformen. Nicht umsonst existiert auch der Begriff Zwischenfach. Nichtsdestotrotz seien hier ein paar Einteilungen, wie man sie in der Szene stets hört, aufgelistet: Da wäre einmal der klassische basso cantante, der höhensichere, im italienischen Sinne klangschöne, legatoreiche Bass, der unter anderem von den Belcanto-Basspartien über Fiesco, Banco, Nabucco, Philipp II., Méphistophélès bis hin zu russischen Rollen wie Gremin oder Boris Godunow, ein breites Spektrum abdeckt. Je nach Robustheit und Höhensicherheit des Instruments darf er sogar die Fühler ins Heldenbaritonale hinein ausstrecken, darf also auch Rollen wie Wotan, Sachs, Holländer oder Barak ins Repertoire aufnehmen. Meine großen Vorbilder sind in diesem Zusammenhang Alexander Kipnis, Ezio Pinza, Hans Sotin oder Robert Holl. Es folgt der cantable basso profondo, die üppig-weichen, tiefen Stimmen mit der Fähigkeit zu schönen Kantilenen: Sarastro gehört eindeutig hierher, auch Gurnemanz, Daland, Rocco, Osmin. Wichtige Vertreter waren Martti Talvela, Kurt Moll oder das langjährige Ensemblemitglied Walter Fink.

Und dann gibt es die pechschwarzen, tiefen, schweren profondi mit dem gewissen Peng in der Stimme, jene, bei denen man sich schon beim bloßen Auftauchen des Sängers im Publikum fürchten darf – ein historisches Beispiel wäre Gottlob Frick, in jüngerer Vergangenheit Eric Halfvarson, Matti Salminen oder Kurt Rydl. Der schon erwähnte Claggart oder der Großinquisitor sind Paradebeispiele für dieses Fach. Das quasi Gegenteil ist schließlich der Bassbuffo mit Partien wie dem Don Basilio im Barbiere, Don Magnifico in der Cenerentola oder
Mustafà in L’italiana in Algeri. Gefordert ist hier eine sehr bewegliche, flexible Stimme und eine Fähigkeit zur Komik. Die benötigt auch der Ochs im Rosenkavalier – aber nicht nur diese. Der Ochs ist mit Sicherheit eine der anspruchsvollsten und herausforderndsten Partien des Bass-Repertoires. Vokal wie – auch wenn das komisch klingen mag – intellektuell. Der Sänger hat stets äußerst präzise zu sein, trotz des parlandoartigen Grundduktus – schließlich singt man nicht einfach ein paar Arien, sondern ist im Ensemble verankert und entsprechend für alle anderen im Team mitverantwortlich und von ihnen zugleich abhängig, insbesondere im ersten Akt. Man ist am nächsten Tag nicht umsonst auch geistig sehr müde.

Manches ist natürlich auch dem Klangideal der jeweiligen Epoche geschuldet. Früher hatte man einen Nozze-Figaro oder Don Giovanni mit einem Cesare Siepi besetzt, also dunkler als heute im Allgemeinen üblich. Und für den Holländer des George London musste man auch erst einen Daland finden, der sich farblich gut abgesetzt hat. Die Verantwortlichen müssten bei Besetzungen also immer auch auf die Relationen achten, die Stimmen aufeinander abstimmen und nicht blind schulbuchmäßig nach Kategorie vorgehen.

Der einzelne Interpret wird jedenfalls sein Leben lang austarieren, was gerade am Ehesten passt, was vielleicht gut passt und wovon er besser die Finger lassen sollte. Leider geht die gegenwärtige Musikindustrie für meinen Geschmack zu sehr auf Nummer sicher, liebt eben das Kategorisieren und damit verbunden eine gewisse Sterilität und Uniformität. Das gilt im Übrigen für alle Stimmtypen und -fächer. Natürlich wäre es gewagt, wenn man einem Hagen-Sänger ein Einspringen in einem koloraturreichen Bach-Oratorium anbieten würde. Aber ganz
auszuschließen ist auch das nicht. Ein wenig mehr an Kreativität, Vertrauen, Experimentierfreudigkeit, ja, Wagemut würde auch vielen der Entscheidungsträger in Besetzungsfragen guttun. Große Dinge erfordern Mut, Risiko und Vertrauen – ein Work in Progress also im besten Sinne. Unter dieser Tatsache leiden nahezu alle Sängerinnen und Sänger. Glücklicherweise gibt es einige wenige Bühnen, die diesbezüglich wohltuende Ausnahmen bilden.

Die Bass-Karriere währt meist lang

Für die angesprochene Geduldprobe am Beginn der Laufbahn, für das langwierige Warten auf die ersten wichtigen Partien entschädigen dann die späteren Jahre. Bis 65 vokal gesund zu sein, ist für einen Bass absolut keine Hexerei, wenn man immer auf genügend Stimmhygiene achtet, was bedeutet: Neben technischen Übungen sich auch dem Lied-Gesang zu widmen, der einen feinen Stimmschluss und ein bewusst intellektuelles Herangehen erfordert und trainiert. Natürlich beugt eine gute Rollenauswahl ebenfalls dem Stimmverschleiß vor. Und so ist es kein Wunder, dass so mancher Bass bis weit über 70 der Opernbühne erhalten bleibt. Bei bestimmten Figuren erwartet man als Publikum sogar eine gewisse Reife, einen menschlichen Erfahrungsschatz vom Interpreten – das ist dann der wohlverdiente Segen des Alters beim Bass-Interpreten.

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