Die Sache mit dem Sterben

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Zur Wiederaufnahme von »Věc Makropulos«

Der Kom­po­nist Leoš Janáček stand im Herbst sei­nes Le­bens, als er sich »Věc Makropulos« (Die Sache Makropulos) zu­wand­te. Eine Oper, die sich in­ten­siv mit dem Tod, dem Ster­ben und der Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit ei­nes end­lo­sen, dies­sei­ti­gen Le­bens aus­ein­an­der­setzt. Janáček, da­mals um die 70 Jah­re alt und sehn­süch­tig in sei­ne deut­lich jün­ge­re Mu­se Kamila Stösslová ver­liebt, hin­ter­frag­te ein end­lo­ses Le­ben kri­tisch. An­läss­lich der Wie­der­auf­nah­me der Oper (sie­he Sei­te 20) ha­ben wir Künst­le­rin­nen, Wis­sen­schaft­ler, Phi­lo­so­phen und an­de­re mit der Fra­ge kon­fron­tiert:

»Wün­schen Sie sich ein end­lo­ses dies­sei­ti­ges Le­ben?«

»Ich freue mich auf die Stun­de in der ich mei­nen Kör­per ver­las­sen darf. Ster­ben heißt al­les hin­ter sich las­sen, das man zu­tiefst nicht ist. Ich bin nicht mein Kör­per, ich ha­be ihn nur. Ich bin auch nicht mei­ne Ge­dan­ken, ich ha­be sie nur, so­wie ich nicht mei­ne Ho­se oder mei­ne Schu­he bin, son­dern sie nur ha­be. Mich plagt in­ni­ges Heim­weh nach der Di­men­si­on, aus der ich auf die Er­de ge­kom­men bin und in die ich nach dem Tod mit Si­cher­heit zu­rück­keh­ren wer­de. In ein Re­vier des Lichts, der be­din­gungs­lo­sen Lie­be, der Gü­te und der voll­kom­me­nen Weis­heit.«

André Heller

»Der Ge­dan­ke, ir­gend­wann von all dem, das mir so viel be­deu­tet, Ab­schied neh­men zu müs­sen, macht mir schon Angst. Aber das Le­ben, wie die Mu­sik, exis­tiert in dem ›Jetzt‹ und man kann es nicht fest­hal­ten. Und das ist gut so. Und wie sagt die Marschallin im ers­ten Akt des Rosenkavalier so schön: ›Und in dem Wie? – da liegt der gan­ze Un­ter­schied.‹«

Simone Young, Dirigentin

»Un­be­ant­wort­bar. Ei­ner­seits rei­fe ich un­an­ge­nehm flink vom Zeit­ge­nos­sen zum Zeit­zeu­gen (und Böhm, Wind­gas­sen, Waech­ter, della Casa schla­gen Ru­dolf II. in mei­ner Un­sterb­li­chen­li­ga lo­cker um drei Jahr­hun­der­te). Die wür­de ich schon gern wie­der­se­hen. An­der­seits ist der Ge­dan­ke, mei­ne Töch­ter in die­sen Zei­ten al­lein­zu­las­sen, nur mit Ver­drän­gen er­träg­lich. Und ein paar Rin­ge mit Thie­le­mann wür­de ich auch noch gern hö­ren. Sa­gen wir al­so: Ge­zeugt ha­be ich schon, ge­pflanzt oh­ne En­de und nicht nur Mist ge­baut. Schau­en wir al­so, dass es oh­ne Makropulos noch ei­ne Zeit­lang geht.«

Heinz Sichrovsky, Journalist

»Ich hal­te es mit Woody Allen: ›Die Ewig­keit dau­ert lan­ge, be­son­ders ge­gen En­de‹! Ich fän­de es viel schö­ner, in ei­nem Kreis­lauf der Wie­der­ge­burt im­mer wie­der in neu­en Ge­stal­ten und mit neu­en Er­fah­run­gen ›Le­ben‹ zu er­fah­ren. Je­der Au­gen­blick ent­hält so­wie­so die Ewig­keit, wir müs­sen uns ein­fach im­mer wie­der auf die­sen ›Au­gen­blick‹ be­sin­nen!«

Ruth Brauer-Kvam, Schauspielerin & Regisseurin 

»Mit dem Fan­dan­go mei­nes klei­nen, in der Mu­sik be­hei­ma­te­ten Le­bens ha­be ich be­reits die Un­sterb­lich­keit be­rührt. Und das je­den Tag, Wan­ge an Wan­ge. Dem täg­li­chen Brot gleich ha­be ich die un­sterb­li­chen Wer­ke von Mozart, Verdi, Berg, Debussy und Schu­bert, von Wolf, Beethoven und vie­len an­de­ren zu mir ge­nom­men. Und so ge­nügt es mir, ei­nes Ta­ges in die­sem Äther zu ver­schwin­den. In die­sem un­end­li­chen und un­sterb­li­chen Uni­ver­sum ei­ner En­er­gie ... ei­ner En­er­gie aus La­chen und Lie­be.«

KS Sir Simon Keenlyside, Sänger

»Es ist die Her­aus­for­de­rung mei­nes Be­rufs als Re­gis­seur, im­mer wie­der mit dem Tod kon­fron­tiert zu wer­den. Kaum ei­ne Oper kommt oh­ne ihn aus. Das Künst­le­ri­sche vom Per­sön­li­chen zu tren­nen, funk­tio­niert nicht – mei­ne Sterb­lich­keit ist mir da voll be­wusst. An mei­ner Sterb­lich­keit ist nichts zu än­dern, es ist un­ser Schick­sal, zu ster­ben. Aber die­ses Wis­sen um den si­che­ren Tod gibt un­se­rem Le­ben Wert, es ist ein­ma­lig und be­son­ders. Oh­ne Tod wä­re es be­lie­big und ir­gend­wann un­er­träg­lich. Laut Kirpal Singh ist der Tod die Lö­sung ei­nes gro­ßen Rät­sels. Ich möch­te dies mit dem Zu­satz »oder auch nicht« er­gän­zen. (Kirpal Singh: spi­ri­tu­el­ler Meis­ter des Sant Mat, Prä­si­dent der Welt­ge­mein­schaft der Re­li­gio­nen (1894–1974))«

Nikolaus Habjan, Regisseur

»Als Pal­lia­tiv­me­di­zi­ne­rin ist mir die Ver­gäng­lich­keit ver­traut. Be care­ful what you wish for. Be­deu­tet ein end­lo­ses Le­ben ein end­lo­ses Al­tern oder ein ewi­ges Le­ben als Vam­pir ab dem Zeit­punkt des Bis­ses? Wel­cher Zeit­punkt des Le­bens wä­re der rich­ti­ge, um sich für ein end­lo­ses Le­ben zu ent­schei­den? Ewig Kind blei­ben, ewig ju­gend­lich, ewig er­wach­sen oder ewig ›ge­nau rich­tig‹ alt? Wäre das nicht Still­stand? Ein Le­ben oh­ne An­fang und En­de ist ein Le­ben oh­ne Span­nung, oh­ne Me­lo­die, oh­ne Cre­scen­do und De­cre­scen­do. Ei­ne Ge­sell­schaft der Un­sterb­li­chen scheint mir zum Schei­tern ver­ur­teilt. Dann doch lie­ber Le­ben bis zum Tod hin.«

Eva Katharina Masel, Leiterin der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin im AKH

»Der Tod ist die Mut­ter al­ler Sehn­süch­te. Was trie­be uns an? Bram Stokers Dracula be­schreibt das The­ma prä­zi­se und poe­tisch, am schöns­ten ge­sagt viel­leicht von Erich Kästner im Schluss­satz des Film­dreh­bu­ches zum Münchhausen (der wie Dracula nicht al­tert und nicht stirbt):
›Ein Halb­gott war ich, aber nur ein hal­ber Mensch, nun will ich al­les und for­de­re den Rest.‹«

Florian Boesch, Sänger

»Wür­de ich gern ein end­lo­ses dies­sei­ti­ges Le­ben le­ben, al­so end­los le­ben oh­ne Tod? Nein. Weil in zehn Ge­ne­ra­tio­nen nie­mand mehr mei­ne Wit­ze ver­ste­hen wür­de (manch­mal ist das heu­te schon schwer ge­nug), weil der Tod uns ei­nen Ho­ri­zont gibt und da­mit die Kost­bar­keit des Le­bens, weil Le­ben ein Zy­klus ist, nicht nur ein end­lo­ser Zu­stand. Aber das mit dem Dies­seits? Für mich ist das ja die ein­zi­ge Büh­ne, die­se Welt, jetzt, oh­ne Büh­nen­tech­nik, oh­ne Be­leuch­tung und lei­der auch oh­ne Souf­fleur. Trotz­dem ist ein kur­zer Mo­ment auf die­ser Büh­ne al­les, was wir ha­ben – »all the world’s a stage«, das wuss­te schon der al­te Shakespeare.«

Philipp Blom, Schriftsteller & Historiker

»Na­tür­lich hat es Vor­tei­le, un­sterb­lich zu sein, denn man kann all sei­nen Träu­men nach­ge­hen und muss sich kei­ne ge­sund­heit­li­chen Sor­gen ma­chen. Doch ich per­sön­lich fän­de es schreck­lich, end­los zu le­ben. Denn selbst, wenn man stän­dig neue Freun­de fin­det, muss man im­mer auch mit­er­le­ben, wie sie al­le ster­ben. Ab­ge­se­hen da­von lernt man zwar lau­fend Men­schen ken­nen, doch wur­den die­se in kom­plett an­de­ren Ge­ne­ra­tio­nen ge­bo­ren. Ob man sich da nicht ir­gend­wann fremd fühlt? Wo­mög­lich wür­de ei­nes Ta­ges so­gar die ei­ge­ne Fa­mi­lie aus­ster­ben und das wür­de mich trau­ri­ger ma­chen, als selbst zu ge­hen.«

Sarah, Schülerin

»Be­vor man sich für ein end­lo­ses Le­ben ent­schei­det, ist ein Blick in die Zu­kunft rat­sam. Be­reits in we­ni­gen Jahr­zehn­ten könn­te es auf die­sem Pla­ne­ten durch die Kli­ma­kri­se und de­ren Fol­gen schon recht un­ge­müt­lich wer­den. Un­ab­hän­gig da­von wird die Son­ne in et­wa 2,5 Mil­li­ar­den Jah­ren zu­nächst so stark, dass al­le Ozea­ne ver­damp­fen. War­tet man noch ein­mal so lan­ge, be­ginnt sie zu er­lö­schen. Aber schon viel frü­her wä­re die­ses Le­ben un­end­lich lang­wei­lig, weil al­les im Über­fluss Ver­füg­ba­re sei­nen Reiz ver­liert.«

Bernhard Weingartner, Physiker

»Ich le­be gern, ich mag die Men­schen, meis­tens je­den­falls. Ich ha­be ei­nen Be­ruf mit Sinn und so viel Schön­heit und Lie­be ist um mich her­um. Das sind für mich die Spu­ren Got­tes in der Welt. In die­sen Spu­ren ver­su­che ich zu ge­hen. Aber ir­gend­wann ist Schluss mit Spu­ren­su­che, dann will mei­ne Neu­gier mehr wis­sen. »Hey lie­ber Gott, wie schaut das bei dir so aus, im Him­mel? Ich hät­te bit­te gern ei­ne Ant­wort auf al­le Fra­gen!« Al­so kein end­lo­ses Dies­seits, da fühl­te ich mich neu­gie­ri­ger Mensch nicht ernst ge­nom­men.«

Bernhard Messer, Pfarrer v. Lichtental/Schubertkirche

»Ich glau­be an ei­nen na­tür­li­chen Ab­lauf des Le­bens und dass wir die Zeit, die wir hier ha­ben, mög­lichst in­ten­siv nüt­zen sol­len, kön­nen und dür­fen. Der gro­ße Traum von der Un­sterb­lich­keit ist schon da­rum ei­ne Uto­pie, weil ein Le­ben nur durch ei­nen kon­kre­ten Sinn le­bens­wert wird, aber kein Sinn für sich ge­se­hen Un­end­lich­keit be­sitzt. An­ders ge­sagt: Wird ein Sinn er­füllt oder zum Hö­he­punkt ge­führt, folgt dar­auf un­ver­meid­lich des­sen Aus­hö­lung und Ver­blas­sen, da nie­mand ei­ne idea­le Si­tua­ti­on für im­mer fest­hal­ten kann. Ein un­end­li­ches Le­ben führ­te al­so zwangsläufig bes­ten­falls zu ei­ner Sta­gna­ti­on. Und des­halb in­ter­es­siert es mich nicht. Nur Men­schen mit ei­nem über­mä­ßi­gen Ego glau­ben, dass sie die Ge­sell­schaft auf ewig mit ih­rem Da­sein be­rei­chern müss­ten – doch zu die­sem Schlag ge­hö­re ich nicht.«

KS Piotr Beczala, Sänger

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