Der Ring ist ein Spiegel

Interview |

Erst­mals lei­tet Pablo Heras-Casado den Vier­tei­ler an der Wie­ner Staats­oper. Michael Volle wird den Wotan/Wanderer ge­stal­ten.

Auf­füh­run­gen von Richard Wagners Te­tra­lo­gie Der Ring des Nibelungen zäh­len zu den be­son­de­ren Fei­er­ta­gen im Opern­ka­len­der. Das gran­di­os-um­grei­fen­de Werk, das für vie­le zum Wich­tigs­ten im Mu­sik­the­a­ter-Re­per­toire zählt, be­rich­tet von Göt­tern und Men­schen, von Lie­be und gren­zen­lo­ser Gier, vom Wil­len und von der Macht.

Der Tenor Stephen Gould mein­te einst, dass er sich nach ei­nem Siegfried-Abend wie nach ei­nem Au­to­un­fall füh­le. Kön­nen Sie die­sen Ein­druck auf den ge­sam­ten Ring be­zo­gen nach­voll­zie­hen?

 

Pablo Heras-Casado (PHC): Für ei­nen Di­ri­gen­ten ist es ge­nau das­sel­be. Ich ken­ne kein an­de­res Werk, das in ir­gend­ei­ner Wei­se mit dem Ring ver­gleich­bar wä­re. Kein an­de­res Mu­sik­the­a­ter­werk, kei­ne Sym­pho­nie, ein­fach nichts. Und da­bei be­zie­he ich mich nicht nur auf die Di­men­sio­nen des Ge­samt­baus, es geht al­so nicht nur um die Kraft, die man braucht, son­dern das Werk for­dert auf al­len Ebe­nen. Es gibt al­so ei­ne phy­si­sche Her­aus­for­de­rung, ei­ne psy­chi­sche, ei­ne geis­ti­ge und so wei­ter. Der Ring des Nibelungen ist ein­fach mit nichts in der Mu­sik­li­te­ra­tur ver­gleich­bar.

Michael Volle (MV): Ja, klar, vie­le die­ser Rol­len ha­ben ih­re gro­ßen Be­an­spru­chun­gen. Wenn ich et­wa an den Wal­kü­ren-Wotan den­ke: Er ist, wie Pablo ge­sagt hat, nicht nur vo­kal, son­dern auch men­tal und emo­tio­nal sehr an­stren­gend – die her­aus­for­dernds­te von den drei Wotan/Wanderer-Fi­gu­ren. Wäh­rend es im Rhein­gold für Wotan zum gro­ßen Teil um »kon­zen­trier­tes Kon­ver­sa­ti­ons­sin­gen« geht, wird in der Wal­kü­re in den Mo­no­lo­gen, aber auch in den gro­ßen Du­et­ten enorm viel ge­for­dert. Ei­ne wei­te­re Kom­ple­xi­tät der drei Opern liegt da­rin, dass sie so un­ter­schied­lich sind. Man muss sich al­so auf Ver­schie­de­nes ein­stel­len. Singt man ei­nen Zy­klus in­ner­halb ei­ner Wo­che, merkt man doch schon sehr deut­lich, dass Opern­sin­gen durch­aus et­was Kör­per­li­ches ist. (lacht)

Ih­ren ers­ten Ring er­leb­ten Sie in Bay­reuth, es war ei­ne Auf­füh­rung un­ter Adam Fischer. Kön­nen Sie sich noch an den Ein­druck er­in­nern?

PHC: Selbst­ver­ständ­lich, denn es war nicht nur ei­ne sehr gu­te Auf­füh­rung, son­dern für mich ein Ein­tritt in ei­ne neue Welt. Ich war noch jung, zwar durch­aus mit Richard Wagner ver­traut – doch der Ring, die­ses gro­ße The­a­ter­er­leb­nis, das war für mich noch Neu­land. Und was soll ich sa­gen… das Gan­ze ent­pupp­te sich als ech­ter Schock! Ich konn­te vie­les fast gar nicht fas­sen – ein­fach, weil es für mich so neu war. Be­kannt­lich sind bei den Bay­reuth­er Fest­spie­len die Pau­sen zwi­schen den ein­zel­nen Auf­zü­gen im­mer sehr lang. Tat­säch­lich brauch­te ich da­mals die­se Stun­de Pau­se, um mich wie­der zu sam­meln. Es war ein­fach ein un­glaub­li­ches, be­ein­dru­cken­des Er­leb­nis und ich war da­nach nicht mehr der­sel­be wie da­vor.

Den­ken Sie als Di­ri­gent den Ring als Gan­zes? Oder sind es vier Opern, die Sie sich ein­zeln vor­neh­men?

PHC: Als ich den Ring erst­mals lei­te­te, be­trach­te­te ich die vier Tei­le ei­gen­stän­di­ger. Heu­te se­he ich mehr das gro­ße Gan­ze: Das Rhein­gold et­wa ver­ste­he ich nun als Pro­log, als den Be­ginn ei­ner Rei­se. Für mich ist die Te­tra­lo­gie ein gro­ßer Bo­gen, der im Ge­samt­en zu be­trach­ten ist.

Wenn wir an ein­zel­ne Mo­men­te wie »Wotans Ab­schied« in der Walküre den­ken: Fast al­le im Pu­bli­kum sind an die­ser Stel­le zu­tiefst er­grif­fen und zer­flie­ßen förm­lich. In­wie­fern geht es Ih­nen als Wotan-Sän­ger eben­so?

MV: Die­se Sze­ne ist na­tür­lich die Kul­mi­na­ti­on des ge­sam­ten Abends. Wir be­fin­den uns da­bei an ei­nem Gip­fel­punkt ei­nes psy­cho­lo­gi­schen Ge­mäl­des: Der Va­ter hat ei­ne hef­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­ner Toch­ter Brünnhilde – je­ner Per­son, die er auf der Welt am meis­ten liebt, mehr noch als sei­ne Frau. Und er muss sich von ihr tren­nen. Wenn man bei all die­sem Auf und Ab in die­ser Sze­ne nicht höl­lisch auf­passt, wird man von der Rüh­rung über­mannt – und kann nicht wei­ter­sin­gen. Da­her muss ich als Wotan ei­nen klei­nen emo­tio­na­len Schutz­wall auf­bau­en. Auf der an­de­ren Sei­te ha­be ich aber auf das, was von Brünnhilde kommt, zu re­agie­ren und kann mich in punk­to Mit­füh­len nicht voll­kom­men ab­schot­ten. Ei­ne Grat­wan­de­rung!

Macht die­ses mensch­li­che Lei­den Wotan sym­pa­thisch?

MV: Ich den­ke schon. Wenn ich an die Re­ak­tio­nen vie­ler Zu­hö­re­rin­nen und Zu­hö­rer nach ei­ner Vor­stel­lung den­ke, dann spürt man schon, dass er nicht als je­mand Ab­ge­ho­be­ner wahr­ge­nom­men wird – wie er sich an­fangs im Rhein­gold schon auch zeigt –, son­dern es doch die sehr mensch­li­che Sei­te gibt. Das wird ge­ra­de in den an­ge­spro­che­nen Kon­fron­ta­tio­nen mit Brünnhilde sehr deut­lich ge­macht. Man muss sich da voll dar­auf ein­las­sen, um die Zer­ris­sen­heit und das Mensch­li­che die­ses Got­tes glaub­haft zu trans­por­tie­ren. Die Fol­ge ist, dass der Wal­kü­ren-Wotan ei­nen auf­risst – im po­si­ti­ven Sin­ne. Und das muss er auch!

Ist für Sie der Wotan die Fi­gur, die Ih­nen am span­nends­ten vor­kommt?

PHC: Ich ha­be ein gro­ßes Ver­ständ­nis für Loge. Er schlägt sich nicht auf die Sei­te der Göt­ter, er möch­te ih­nen mit­un­ter na­he sein, aber nicht zu na­he. Er will sich kei­ner Sei­te voll­kom­men aus­lie­fern. Im Grun­de wird er nir­gends völ­lig hei­misch – und sei­ne Mu­sik zeigt das.

Das Or­ches­ter hat auch im Ring ei­ne be­son­de­re Funk­ti­on. Es er­zählt un­ter an­de­rem viel über das, was im Un­ter­grund, im Un­be­wuss­ten, im Ver­bor­ge­nen statt­fin­det. Braucht es dem­ent­spre­chend ei­ne be­son­de­re Be­hand­lung sei­tens des Di­ri­gen­ten?

PHC: Bei Wagner bie­tet das Or­ches­ter weit mehr als nur ei­ne schö­ne Mu­sik oder ei­nen be­ein­dru­cken­den Klang. Es ist ei­ne mäch­ti­ge Quel­le für die Ge­samt­er­zäh­lung, ab­so­lut es­sen­zi­ell, wenn es da­rum geht, das Werk zu be­grei­fen. Über die Mo­ti­ve, die Ver­ar­bei­tung die­ser, den Klang, die Far­ben und die Tex­tu­ren wer­den vie­le De­tail­in­for­ma­tio­nen ge­ge­ben, die den Ring erst rich­tig ver­ständ­lich ma­chen. Das Or­ches­ter bie­tet da­bei ei­ne kaum aus­zu­schöp­fen­de Men­ge an Wis­sen, an Aus­sa­gen und Er­läu­te­run­gen und bil­det ei­nen An­gel­punkt der dra­ma­ti­schen Ar­beit. Dem den rich­ti­gen und not­wen­di­gen Raum zu ge­ben, ist ei­ne der zen­tra­len Auf­ga­ben je­des Ring-Di­ri­gen­ten.

Die ame­ri­ka­ni­sche Au­to­rin Donna Tartt mein­te ein­mal, dass wir Men­schen manch­mal ver­su­chen müs­sen, ei­nen klei­nen Aus­schnitt der Welt zu ver­ste­hen, um das Le­ben als Gan­zes zu be­grei­fen. Trifft das auf den Ring zu? Ist er ein Mo­dell, um die Welt zu durch­schau­en?

MV: Das glau­be ich durch­aus. Wie sich die ein­zel­nen, un­ter­schied­li­chen Schick­sa­le und Be­zie­hun­gen ent­wi­ckeln, wie das al­les im Göt­ter­däm­me­rungs-Fi­na­le en­det und wie aus die­sem wie­der­um et­was Neu­es ent­ste­hen kann: Das ist schon ein Sinn­bild für die Zy­klen des Le­bens. Das ha­be ich al­ler­dings erst ver­stan­den, als ich den Wotan erst­mals ge­sun­gen ha­be. Da­vor war er für mich ein al­tes nor­di­sches Dra­ma, das mit fan­tas­ti­scher Mu­sik un­ter­legt ist. Wenn man sich aber so rich­tig in den Ring ver­tieft und den Fi­gu­ren folgt, er­kennt man das Tol­le, das Gro­ße an die­ser Te­tra­lo­gie – näm­lich, dass sie eben nicht fern­ab von mensch­li­chen Ver­hal­tens­wei­sen spielt und nicht ei­ne al­te Ge­schich­te über Göt­ter und Men­schen ist, son­dern wirk­lich ganz tief ins Le­ben greift und vie­le As­pek­te des Mensch­li­chen und der Welt ab­bil­det. Es ist schon ein ge­nia­les Werk, das Richard Wagner da ge­schaf­fen hat – mu­si­ka­lisch oh­ne­hin, aber auch in sei­ner Kom­ple­xi­tät und den Mög­lich­kei­ten, sich in sei­ne Welt ein­zu­las­sen.

PHC: Der Ring ist ei­ne sehr gu­te An­lei­tung, um die Welt zu ver­ste­hen. Oder so­gar: die mo­der­ne, die ak­tu­el­le Welt. Na­tür­lich hat sich vie­les ver­än­dert, seit Wagner die­sen Zy­klus ge­schrie­ben hat – Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Wirt­schaft, all das ist ganz an­ders. Aber den­noch: all die vie­len Ebe­nen, die er durch den My­thos, durch das Han­deln der zahl­rei­chen Fi­gu­ren – sei­en es nun Göt­ter oder Men­schen – dar­stell­te, sie kön­nen uns auch heu­te noch so viel sa­gen. Den­ken wir zum Bei­spiel an den Um­gang mit der Na­tur, die Zer­stö­rung der Res­sour­cen – das ist un­ge­mein ak­tu­ell. Aber auch, wie er das Zu­sam­men­le­ben ana­ly­siert, wie er den Um­gang der Men­schen mit­ein­an­der the­ma­ti­siert, das hat nach wie vor größ­te Treff­ge­nau­ig­keit. Be­trach­ten wir den Ring, ver­ste­hen wir uns selbst ein we­nig bes­ser. Oder sa­gen wir es lie­ber so: Wagners Ring des Nibelungen ist wie ein gro­ßer Spie­gel, in dem sich die Mensch­heit be­trach­ten kann.

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