Der prägende Moment

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Boris Pinkhasovich, der Jeletzki der Pique Dame-Wiederaufnahme, über die musikalisch prägenden Momente seines Lebens

Ein Leben ohne Musik war für mich zu keinem Zeitpunkt vorstellbar. Als Sohn einer Chordirigentin und eines Chordirigenten bin ich buchstäblich schon im Mutterleib mit Musik in Berührung gekommen. Mit fünf Jahren erhielt ich meinen ersten Klavierunterricht. Bald darauf setzte ich meine Ausbildung an der renommierten Glinka-Chorschule fort – einem traditionsreichen Haus, an dem bereits mein Vater und mein Bruder studiert hatten. Die Ausbildung dort war intensiv und umfassend und hat mich hervorragend auf das spätere Berufsleben vorbereitet. Anschließend studierte ich am Rimski-Korsakow-Konservatorium in St. Petersburg Dirigieren und Gesang und schloss beide Studiengänge mit Auszeichnung ab. Bis heute sehe ich mich – was meinen Zugang zur Musik betrifft – in erster Linie als Dirigent.

Eine prägende Figur auf diesem Weg ist für mich der legendäre Dirigent Jewgeni Mrawinski. Der Besuch seiner Wohnung, die Gespräche mit seiner (inzwischen verstorbenen) Witwe Alexandra Wawilina, das Berühren seiner Partituren – all das bleibt für mich unvergesslich.

Zu meinen wichtigsten Erfahrungen zählt auch meine Tätigkeit als Chefdirigent des Sinfonieorchesters am Haus der Wissenschaften »Maxim Gorki« in St. Petersburg – ein Ensemble aus Berufstätigen verschiedener Bereiche, die mit großer Hingabe und erstaunlichem Niveau musizierten. Ganz im Geiste meines Idols Mrawinski strebte ich auch hier nach größtmöglicher Perfektion in jeder Aufführung. Die Jahre mit diesem Orchester empfinde ich als äußerst wertvoll. Und tief in mir bin ich überzeugt, dass mein Weg als Dirigent noch nicht zu Ende ist – denn auf diesem Weg kann ich meine musikalischen Vorstellungen vielleicht am vollkommensten verwirklichen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Sängern hatte ich das große Glück, nur eine Gesangslehrerin zu haben – die wunderbare Irina Bogatschewa. Ihr verdanke ich eine zuverlässige, für mich ideale Technik, die es mir erlaubt, meine musikalischen Vorstellungen auch als Sänger kompromisslos umzusetzen.

Es war ein besonderes Privileg, später mit ihr als Kollegin gemeinsam auf der Bühne zu stehen – in Konzerten und Opernaufführungen. Mich beeindrucken Künstlerpersönlichkeiten, bei denen sich vokale Perfektion mit bedingungsloser Hingabe und tiefem Respekt gegenüber dem Werk und seinem Schöpfer verbinden. Elena Obraszova war zweifellos eine dieser Persönlichkeiten. Ein unvergesslicher Moment war unsere gemeinsame Aufführung von Tschaikowskis Pique Dame im Mikhailowski-Theater 2012 – mein Debüt als Jeletzki, sie sang die Gräfin. Es war eine ihrer letzten Vorstellungen. Ihre Worte nach der Aufführung klingen bis heute in mir nach: »Ich bin glücklich, mit dir zu singen.«

Wie in jedem Künstlerleben gab es auch bei mir Wendepunkte, die den weiteren Weg entscheidend beeinflusst haben. Oft hängt von einem einzigen Moment ab, ob ein großer Schritt bald, erst viel später – oder gar nicht stattfindet. Für mich war einer dieser Momente mein Vorsingen an der Wiener Staatsoper im Februar 2018. Seit meiner Kindheit war es ein Traum, an diesem Haus zu singen – nicht irgendwo, sondern genau dort: an der Wiener Staatsoper, mit dem wunderbaren Staatsopernorchester (den Wiener Philharmonikern) und in einem Land, das seine Identität maßgeblich durch Musik und Kultur definiert. Damals schien mir dieser Traum allerdings vollkommen unrealistisch. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich nur wenige Jahre später über 50 Vorstellungen in Hauptrollen an diesem Haus singen und als österreichischer Staatsbürger Wien mein zweites Zuhause nennen würde.

Alles begann mit diesem Vorsingen – und einem überraschenden Anruf zwei Monate später: Ich sollte als Figaro in Il barbiere di Siviglia einspringen. Ich war unsicher, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin, doch mein damaliger Agent ermutigte mich – und so begann meine ganz persönliche Liebesgeschichte mit dem Haus am Ring. Und bis heute ist sie ein zentraler Teil meines künstlerischen Lebens.

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