Crashkurs »Tannhäuser«
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Beschäftigt man sich mit dem Tannhäuser, muss man zunächst einmal die Frage nach der Fassung stellen: Denn Richard Wagner überarbeitete über Jahrzehnte das Werk in mehreren Schüben, ohne letztlich an einen für ihn final zufriedenstellenden Schlusspunkt zu gelangen. So hat seine Ehefrau Cosima seinen am Lebensabend getätigten, viel zitierten Seufzer »Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig« aufgezeichnet, ein deutlicher Hinweis, dass wohl noch zumindest eine weitere Überarbeitung der Oper gefolgt wäre.
Drei Fassungen
Es gibt jedenfalls drei wichtige Fassungen: Den ursprünglichen, 1845 in Dresden uraufgeführten Tannhäuser, dann die überarbeitete und erweiterte Fassung für Paris, die uns eine musikalisch deutlich raffiniertere und komplexere Venusberg-Szene inklusive eines ausführlichen Bacchanals präsentiert, und schließlich eine weitere, für Wien leicht veränderte Version, die sogenannte »Wiener Fassung«, die wir aktuell an der Staatsoper spielen.
Da kam Wagner her
Wagner schrieb seinen Tannhäuser nach dem Fliegenden Holländer und vor dem Lohengrin, es handelt sich für mich noch um ein Frühwerk, das ganz aus der Tradition der deutschen Spieloper kommt. Starke musikalische Einflüsse höre ich etwa von Albert Lortzing, aber auch von Felix Mendelssohn Bartholdy – und es ist mir wichtig, dass man als Interpret diese musikalischen Bezugspunkte im Hinterkopf behält, um die richtige musikalische Tannhäuser-Textur hinzubekommen. Dass Wagner nicht in der traditionellen Spieloper verharrt, ist freilich offenkundig, denn immer wieder verweisen einzelne Momente in seinem Tannhäuser auf sein späteres Werk, auf den Ring des Nibelungen oder den Tristan.
Eine weitere Frage, die sich einem heutigen Interpreten stellt, ist die Klangwelt des 19. Jahrhunderts, in der Wagner beheimatet war. Zweifellos würde er die heutigen, modernen Instrumente bevorzugen, aber zur Verfügung stand ihm eben nur das Standard-Instrumentarium seiner Zeit. Um also zu verstehen, wie Wagner seine Musik meinte, wie Artikulation, Balance und Tempo zu verstehen sind und in welchem Verhältnis diese Aspekte stehen, ist es unumgänglich, das damalige Instrumentarium bei heutigen Wiedergaben zu bedenken.
Die Ouvertüre

Kommen wir nun zur eigentlichen Tannhäuser-Musik. Am Anfang steht eine Ouvertüre – kein »Vorspiel« wie beim nachfolgenden Lohengrin! –, sondern eine ganz klassische Ouvertüre, die wichtige Motive der Oper bringt. Gleich zu Beginn erklingt eine ungemein bekannte Melodie, es ist die Musik des Pilgerchores, natürlich in diesem Fall nicht gesungen, sondern nur orchestral gebracht; das theatrale Moment der Reise wird jedoch nachgezeichnet: Man hört die Musik anfangs gleichsam wie aus der Ferne, dann näherkommend, in der Lautstärke anschwellend, vorüberziehend – und wieder leiser werdend.
Das Reich der Venus

Es schließt nun thematisch die »andere« Welt an, das Reich der Venus, in dem der Sinneslust gefrönt wird. Wagner bringt in der Gegenüberstellung dieser Sphären – hie Pilger, da Venuswelt – einen musikalischen, inhaltlichen und dramaturgischen Kontrast ins Spiel.
Plötzlich tauchen sehr helle Farben im Orchester auf, es glitzert und flirrt, das Klangliche prickelt förmlich, dazu kommt eine komplexe Harmonik. Die eigentliche Handlung beginnt im Venusberg, wo uns zunächst einmal ein ausführliches Bacchanal erwartet, das Wagner für die Pariser Oper schrieb, weil die dortige Tradition ein großes Ballett forderte. Hier im Reich der Venus weilt auch Tannhäuser, der sich allerdings schön langsam zu langweilen beginnt.
Schluss mit Orgie!
Ihm wird die Venus-Welt einfach zu viel, er will zurück in die reale Welt, in der es vielleicht weniger sinnlich, aber dafür menschlicher zugeht. Er wünscht sich das Grün der Natur, die Freiheit, ja, sogar den Schmerz. In drei Strophen, die immer mit einem Lobpreis auf Venus beginnen, formuliert er seinen Wunsch nach Rückkehr zu den Menschen – dazwischen singt Venus, die ihn halten will und sich zunehmend über ihn entrüstet.
Schließlich lässt sie ihn ziehen, wenn auch mit einer Warnung, fast einem Fluch: »Was du verlangst, das sei dein Los! Hin zu den kalten Menschen flieh.« Dieser langgestreckte Dialog mit Venus ist ob seiner Intensität besonders für den Tenor stimmlich herausfordernd. An sich ist die Venuswelt-Musik der späteren Fassungen ungemein komplexer und harmonisch komplizierter als jene der frühen Dresdner Version, Wagner, nun viel erfahrener, sorgte für mehr Farben, Schattierungen, Raffinesse und Üppigkeit. Auf noch ein Detail möchte ich hinweisen: Eine gut hörbare Harfe begleitet Tannhäusers dreiteiligen Abschiedsgesang, es wird also auf seine Berufung als Sänger, als Minnesänger, hingewiesen.
In der Menschenwelt
Nach dieser Szene kommt es zu einem großen musikalischen Bruch. Tannhäuser landet in der Menschenwelt, und diese erleben wir zunächst durch ein schlichtes Hirtenlied, das wahlweise von einer Damen- oder Knabenstimme gesungen werden kann. Im Gegensatz zur aufgeheizten Venuswelt ein sehr klares, kurzes Stück Musik. Wir hören auch einen Pilgerchor, dann nähert sich die Jagdgesellschaft des Landgrafen Hermann – musikalisch charakterisiert durch Jagdhörner. Es handelt sich dabei um Tannhäusers frühere Bekannte, die ihn wieder in ihren Kreis einladen. Zunächst sträubt er sich, bis der berühmte Minnesänger Wolfram von Eschenbach den Namen »Elisabeth« erwähnt: sie und Tannhäuser waren oder sind durch Liebe verbunden – also begleitet er die Gruppe.
Die nächste Szene bringt uns auf die Wartburg. Auch sie unterscheidet sich musikalisch stark von der Venus-Welt, die Klangsprache ist nun bodenständiger, geradliniger, harmonisch einfacher und in der Phrasierung klarer. Ich persönlich denke aber nicht, dass Wagner hier bewusst schlichter schreiben wollte, sondern: Was wir auf der Wartburg hören, war Wagners Stil Mitte der 1840er Jahre. Die Venus-Welt hingegen sollte bewusst komplexer sein, schon in der Urfassung und noch mehr in der Pariser bzw. der Wiener Version.

17 – und schon Elisabeth?
Ein musikalisch zentraler Moment auf der Wartburg ist der Beginn des zweiten Aufzugs, die sogenannte »Hallenarie« der Elisabeth, in der sie sich an Tannhäuser erinnert. Dass bei der Uraufführung die erst 17-jährige Nichte Wagners die Partie der Elisabeth sang, lässt heute manchen stutzen. Wie war das möglich? Eine 17-Jährige? Ist das nicht zu früh? Konnte sie sich überhaupt gegen das Orchester durchsetzen? Hier erinnere ich noch einmal an die Orchestersituation der Uraufführungszeit: Streicher mit Darmsaiten, das Instrumentarium an sich leiser klingend als heute – es war ein anderes Klangbild.
Zudem ist die »Hallenarie«, wie auch die zweite große Arie der Elisabeth, das Gebet im dritten Aufzug, in Hinsicht auf die orchestrale Begleitung nicht zu üppig gehalten. Man kann sich also durchaus vorstellen, dass man auch eine noch sehr junge Sängerin gut hören konnte. Dass man heute größere und reifere Stimmen braucht – das ist freilich aufgrund der modernen und kräftiger klingenden Instrumente klar!
Was ist Liebe?
Auf der Wartburg landen wir bei einem Wettsingen, das Landgraf Hermann zum Thema »Liebe« veranstalten lässt. Wer gewinnt – der soll die Hand seiner Nichte Elisabeth erhalten. Sehr schön erlebt man bei diesem Wettkampf die musikalisch gut gezeichneten, unterschiedlichen Charaktere der antretenden Sänger. Wir haben den lyrischen Wolfram, den poetisch-enthaltsamen Walther von der Vogelweide, den gewalttätigen Biterolf. Immer wieder unterbricht Tannhäuser die anderen jedoch. Denn für ihn sind sie alle in puncto Liebe Waisenknaben und ohne echtes Wissen. Nur er, so glaubt er, verstehe dank seiner Liebesgöttin-Vergangenheit, was Liebe wirklich
Der Venus-Skandal
Schließlich platzt es aus Tannhäuser heraus und er besingt die Venus. Ein Skandal, ein Frevel! Man ist entsetzt: »Er hat der Hölle Lust geteilt, im Venusberg hat er geweilt!« – Abscheu, Morddrohungen und Zorn folgen, Elisabeth aber setzt sich für ihn ein, obwohl er ihr das Herz gebrochen hat. Letztlich muss Tannhäuser nach Rom, um beim Papst um Vergebung zu bitten. Wagner lässt das in einem großen Ensemble kulminieren, in dem die Ritter, Elisabeth, Hermann, Tannhäuser und die nach Rom ziehenden Pilger ein gewaltiges (und sehr schwieriges) Aktfinale gestalten.

Wo bleibt Tannhäuser?
Im dritten Aufzug kehren die Büßer aus Rom zurück und man hört den berühmten Pilgerchor, den wir erstmals ganz am Beginn der Oper, in der Ouvertüre, vernommen haben. Tannhäuser ist aber nicht unter ihnen. Elisabeth verzweifelt, wendet sich an die Jungfrau Maria – hier das vorhin erwähnte Gebet der Elisabeth – und will sich für Tannhäuser opfern.
Es folgt einer der bekanntesten und berührendsten Momente dieses Werks, Wolframs »O du mein holder Abendstern«: Das ist ein musikalischer Solitär, eine liedhaft gehaltene Nummer, die dank ihrer Schlichtheit und berückenden Schönheit immer wieder auch außerhalb von Tannhäuser-Aufführungen gesungen wird. Erneut zeichnet Wagner mithilfe der Musik einen Charakter: Denn Wolframs Liedton entspricht seiner Persönlichkeit, das Lied zeichnet sein Wesen aus, er ist ganz anders als der impulsive Tannhäuser, das Lyrische bestimmt ihn.
Endlich zurück aus Rom

Nun endlich kehrt die Titelfigur von ihrer Pilgerfahrt zurück: voller Enttäuschung, da ihr nicht vergeben wurde, wie man aus Tannhäusers »Rom-Erzählung « erfährt. Und das, obwohl er die schwersten Prüfungen und Entbehrungen auf sich genommen hatte. Die Konsequenz ist für ihn, der immer aufs Ganze geht, ganz klar – er will zu Venus zurück.
Schon flimmern erneut Venus-Klänge, schon erscheint die Liebesgöttin, da erinnert der entsetzte Wolfram ihn an Elisabeth, die sich für ihn geopfert hat. Die Erwähnung ihres Namens bringt den finalen Umschwung Tannhäusers und seine Abkehr von Venus; und noch einmal erklingen die Pilger und verkünden nun das Wunder seiner Errettung. Bevor die Oper schließt, hört man ein letztes Mal die Melodie des Pilgerchores, jene Weise, mit der das grandiose Werk – etwa viereinhalb Stunden zuvor – angefangen hat.