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Unser Ensemble: Josh Lovell im Porträt

Erfrischend enthusiastisch, erfrischend unverkrampft und natürlich sowie ansteckend musikbegeistert – das ist der erste Eindruck, den man vom neuen Ensemblemitglied Josh Lovell gleich beim ersten Gespräch gewinnt. Und basierend auf diesen Eigenschaften ließ sich auch seine noch sehr junge Karriere an: Da waren keine selbst im Musikbereich tätigen Eltern die automatisch den Weg vorgaben, keine, die ihren Sprössling ehrgeizig zum Wunderkind empordrillen wollten, genauso wenig existierten elementare Erfahrung eines frühen Opernbesuches, der schon von Anfang an Weichen gestellt oder Sehnsüchte geweckt hätte. Nein, Josh Lovell wusste im Teenageralter noch nicht einmal, dass in seiner Heimatstadt, im kanadischen Victoria, regelmäßig Opern, Ballette und Konzerte gegeben werden. Kurz: Die klassische Musik war für ihn eine einzige große Terra incognita. Nicht aber die Musik selbst. Denn, wenn es eine Konstante in seiner Kindheit und Jugend gab, dann seine Freude am Singen, am unverbindlichen Musik machen – doch der Gedanke an eine diesbezügliche professionelle Laufbahn kam zunächst nicht im Entferntesten auf. An der Highschool lernte er dann spaßhalber ein wenig Klarinette, so wie er kleine Soli im Schulchor oder Kirchenchor sang, ohne dabei jedoch so konkret oder zielgerichtet vorzugehen, wie etwa beim Karatekurs, der ihn zu zahlreichen Wettkämpfen führte.

Eines Abends allerdings, es muss im letzten High-school-Jahr gewesen sein, besuchte Josh Lovell eine Aufführung der Zauberflöte in Victoria, der dann eine Traviata- sowie eine Rake‘s Progress-Vorstellung folgte, und damit war eine ganz neue Leidenschaft, wenn vorerst auch nur im Unterbewussten, entfacht worden. Ein Intermezzo als Reservist der Infanterie verbuchte Josh Lovell zwar als wenig erfreuliche Erfahrung, nahm jedoch nebenher erste Gesangsstunden (noch immer ohne berufliche Hintergedanken) und erlernte in diesem Zusammenhang zum Beispiel als erstes Kunstlied seines Lebens den Wegweiser aus Schuberts Winterreise, dem sich bald einiges von Donizetti und Bellini anschloss. Doch trotz des gewissermaßen symbolischen „Wegweisers“ gab es noch einen letzten kleinen Umweg: Aus altruistischen Beweggründen wollte Josh Lovell seiner Stadt, seiner Gemeinde etwas zurückgeben und als Polizeioffizier wirken. Da aber für die entsprechende Ausbildung überraschenderweise auch ein Abschluss eines Kunststudiums empfohlen wurde, entschied er sich, diesen im Bereich seiner bisherigen Hobbys Musik und Gesang zu erwerben. Der Anfang freilich war wie eine Ohrfeige: „Ich erinnere mich“, so Josh Lovell, „in den ersten Tagen Zeuge einer Diskussion zwischen Mitstudenten gewesen zu sein, in der die Unterschiede zwischen den Kompositionen von Mozart und Joseph Haydn erörtert wurden und fühlte mich wie ein Außerirdischer, der nichts von alldem begreift, was rundum ihn gesprochen wird.“ Doch er ließ sich nicht unterkriegen. Voller Elan tigerte sich Josh Lovell in die neue Materie hinein, las in kürzester Zeit Unmengen an Fachliteratur, hörte sich quer durch einen Berg unterschiedlichster Einspielungen und konzentrierte sich vollständig auf seine Studien. Es gab nur mehr Musik, nur mehr Gesang – und nach einem Jahr ließ er die Polizeioffiziers-Laufbahn endgültig fahren.
Immer auf der Suche nach der Optimierung der eigenen Fähigkeiten war Josh Lovell bestrebt, nach dem Abschluss in Victoria sogar ein weiterführendes Studium anzuhängen, suchte daher auf Anraten seines ersten Lehrers Benjamin Butterfield in Großbritannien bzw. in den USA nach einer neuen Möglichkeit und wurde schließlich beim Tenor Stanford Olsen an der Universität in Michigan fündig, der gewissermaßen sein Fach sang und ihn auf wichtige Rollen ideal vorbereiten konnte. Und damit noch nicht genug, arbeitet er seit dem Erwerb des Masters in Michigan regelmäßig mit Julia Faulkner zusammen (manche werden sich vielleicht noch an Faulkners Arabellas, Almaviva-Gräfinnen und Ariadnes an der Wiener Staatsoper in den 1990er-Jahren erinnern). Auf jeden Fall vertieften sich mit den ersten Verträgen und Auftritten – sowohl im Opern- (z.B. Bardolfo oder Normanno) wie im Konzertbereich (Jephta, Solomon, Bach- passionen) Lovells auch die Bühnenerfahrungen. Zugleich überschlugen sich die Ereignisse: Noch während seiner Studienzeit in Michigan kam das Angebot, über das Opernstudio der Lyric Opera von Chicago in ein Ensemble hineinzuwachsen und Repertoire zu erwerben, und bevor er noch sein zweijähriges Engagement in Chicago antrat, hörte ihn Staatsoperndirektor Dominique Meyer bei Marcello Giordani-Wettbewerb in North Carolina und lud ihn zu einem Vorsingen nach Wien ein. Klar, das Josh Lovell diesem Ruf sogleich folgte und überaus aufgeregt auf der Staatsopernbühne etwas aus Cenerentola und Les Troyens zum Besten gab. Dass man ihn unmittelbar nach dem Vorsingen bat, einige Minuten zu warten, weil man noch etwas „besprechen wolle“, ließ Lovell Gutes ahnen – und tatsächlich, das zu Besprechende galt dem Vertrag, für die Zeit nach Chicago, die Zeit, die nun mit Beginn der aktuellen Spielzeit endlich angebrochen ist und die gleich mit einer großen Herausforderung startet – mit dem Lysander in der Midsummer Night’s Dream-Neuproduktion am 2. Oktober: „Eine doppelte Adrenalin-Steigerung: mein Debüt auf dieser Bühne und das, bei einer Premiere, bei der wirklich jeder genau hinhört“, lacht Josh Lovell, „ein Glück, dass ich die Rolle schon früher einmal verkörpern durfte.“ Manch andere Partie, die er in der aktuellen Spielzeit singen soll, ist hingegen (von der einen oder anderen Arie abgesehen) Neuland, etwa Don Ramiro in Cenerentola, Ernesto in Don Pasquale und Lurcanio in Ariodante – woran sich übrigens die Bandbreite seines Repertoires, das vom Barock bis ins 20. Jahrhundert reicht, schön zeigt (in der Vergangenheit kamen noch einige Mozarts hinzu, etwa Don Ottavio, oder mit Altoum der wahrscheinlich bislang weltweit jüngste Kaiser in einer Turandot-Produktion, oder, vor wenigen Wochen, Poisson in Adriana Lecouvreur bei den Salzburger Festspielen). Zugleich fühlt er, ohne Auftrag allerdings und ohne voreilige Ambitionen, gerne eine paar Meter vor und beschäftigt sich vorsichtig mit einigen Bellinis und den leichten Verdis, einfach, um die Stimme, so wie die Muskeln in einem Fitnessstudio, Stück für Stück zu vergrößern.

Dass er hier, so weit von zu Hause entfernt, „stationiert“ ist, stört ihn nicht weiter. Denn Europa, „die Geburtsstätte der Gattung Oper, der Kontinent mit dem dichtesten Opernhäusernetz, wo sich jede Stadt kulturell von einer anderen Seite präsentiert“, war ohnehin bald sein erklärtes Ziel und selbst die deutsche Sprache ist so weit schon in Ansätzen erlernt – nur mit dem Wienerischen, mein Josh Lovell, happert es noch ein wenig, aber auch da ist er absolut zuversichtlich ...

Andreas Láng


Benjamin Britten
A Midsummer Night's Dream
Premiere: 2. Oktober 2019
Reprisen: 5., 9., 13., 17., 21. Oktober 2019

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