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© Lena Fainberg
Vasilisa Berzhanskaya
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Vasilisa Berzhanskaya

Jeden Tag ein anderer Mensch

Von einem »charaktervoll timbrierten Mezzo, dessen Koloraturen keine technischen Figürchen, sondern sinnlich schön sind«, las man in der Kleinen Zeitung nach dem Staatsopern-Debüt von Vasilisa Berzhanskaya im Jahr 2021. Damals sang sie die Rosina in der Barbiere di Siviglia-Premiere, und nicht nur der Rezensent von Radio Klassik Stephansdom bemerkte, dass sich »eine große Karriere abzeichnet«. Blickt man heute, 2024, in den Kalender der Mezzosopranistin, reiht sich Musikzentrum an Musikzentrum: die Metropolitan Opera in New York, das Rossini Festival Pesaro, die Mailänder Scala, das Royal Opera House, Covent Garden in London, die Lyric Opera in Chicago, das Teatro San Carlo in Neapel: überall versteht die Sängerin zu begeistern. Nun gibt Vasilisa Berzhanskaya ihre weltweit erste Carmen: in Wien!


Fangen wir mit einer vielleicht simplen – und gleichzeitig schwierigen – Frage an: Was ist das Beste im Leben einer Opernsängerin? Ist es das Gefühl, auf der Bühne zu stehen? Das Spielen? Die Musik? Der Applaus?

Für mich ist es die Möglichkeit, durch die Rollen, die ich gestalte, eine andere Person sein zu können. Ein anderer Charakter. Es ist eine unglaubliche Erfahrung: In der Haut eines anderen Menschen zu stecken – und dank den unterschiedlichen Partien praktisch jeden Tag eine andere zu sein. Vor allem eine Person, die ich im »normalen Leben« niemals wäre.

»Carmen ist nicht nur der Gesang, sie braucht den großen Bühnenausdruck.«

Ist es spannend im Sinne einer Freiheit? Biografien und Dinge auszuleben?

Es ist eine Art der Freiheit: Ich bin in einer Bühnenrolle eine andere Frau und handle ihr gemäß – doch ganz ohne reale Konsequenzen.

Sie singen derzeit Rollen wie Rosina, Norma, Charlotte, Carmen oder Cenerentola. Alles Figuren, in die Sie hineinschlüpfen. Mit welcher finden Sie charakterlich große gemeinsame Schnittflächen?

Ich muss sagen: mit keiner. Keine dieser Figuren entspricht mir und bei keiner würde ich auf die Bühne gehen und sagen: Schaut, genau das bin ich! Genau so bin ich im echten Leben. Alle diese Partien sind Schauspiel – und das ist auch gut so!

Ist es relevant, ob es sich um eine komische oder tragische Oper handelt?

Ich denke, dass viele von uns eine kleine Affinität zu tragischen Rollen haben. Zumindest empfinde ich es so und habe daher eine Vorliebe für dieses Fach. Aber natürlich… eine Komödie, in der ich einfach einmal komisch sein darf, ist auch ein Vergnügen! Vor allem entsprechen etliche dieser Rollen genau meinem Alter. Eine Cenerenola, eine Rosina, das sind Partien, die ich nicht mein ganzes Leben lang singen werde. Jetzt passt es ideal, und daher ist es mir wichtig, das auch zu gestalten. Ich weiß, dass ich noch viel Zeit habe, mich vielen anderen Rollen, auch tragischeren, zuzuwenden.

Die Carmen geben Sie szenisch zum ersten Mal in Ihrem Leben. Fiebern Sie dem Debüt entgegen?

Es ist tatsächlich meine erste szenische Carmen. Ich sang die Rolle bisher erst einmal konzertant, warte aber schon seit Jahren auf die richtige Gelegenheit. Zunächst einmal ist es für mich entscheidend, für diese Partie bereit zu sein: auch als Mensch, als Person. Denn Carmen ist eine ungemein reichhaltige Figur, eine Frau mit einer geradezu magnetischen Kraft. Das muss zu spüren und zu erleben sein. Gleichzeitig war es mir wichtig, diese Partie bei meinem Debüt auf einer ersten Bühne, in einem großen Haus zu gestalten. Denn es braucht die große Szene für diese Oper. Rein stimmlich ist die Partie, im Vergleich zu einer Bellini-Rolle wie Norma, einfacher. Nicht einfach natürlich, aber zumindest einfacher. Aber Carmen ist nicht nur der Gesang, sie braucht den großen Bühnenausdruck.

Nun hat jede Generation ihre Ikonen. Mit welcher Carmen-Ikone sind Sie groß geworden?

Die erste Carmen-Aufnahme, an die ich mich erinnern kann, war mit Agnes Baltsa. Und ihre Carmen fasziniert mich nach wie vor, immer noch höre ich ihre Einspielungen, immer noch gehört sie zu meinen absoluten Favoritinnen!

Und gibt es eine Mezzosopranistin, die Sie ganz allgemein in besonderem Maße inspiriert hat?

Cecilia Bartoli! Von Anfang an! Bereits als ich noch sehr jung war und – noch im Sopranfach! –gerade erst zu singen begann, träumte ich trotz meines Sopran-Repertoires davon, eine Mezzo-Koloratursängerin wie Bartoli zu werden. Genau diese Rollen zu gestalten! Und der Tag, an dem mir klar wurde, dass ich stimmlich in diese Richtung gehe, war der schönste meines Lebens! Mit anderen Worten: Cecilia! Damals und heute! Sie hat eine solch unglaubliche Inspirationskraft!

Wer ist Carmen aus Ihrer Sicht? Wie ist sie?

Es ist so schwierig, das richtig zu beschreiben, weil sie so viel in sich trägt. Natürlich: Sie ist stark. Sie ist frei. Aber sie ist auch noch mehr… In ihrem Inneren finde ich so viel, auch zarte Momente. Die Musik bietet uns das alles an, und in jedem Akt werden unterschiedliche Eigenschaften betont. Etwa im ersten: Da ist sie eine aufregende, attraktive Frau, die ihr Leben genießt und im Mittelpunkt des Interesses steht. Alle blicken auf sie! Sie ist frei, von einer Leichtigkeit getragen. Dann nähern wir uns Schritt für Schritt der Tragödie, der erschreckende Verlauf setzt sich in Gang. Vielleicht begreift sie diese Entwicklung nicht einmal vollständig. Vielleicht versteht sie nicht, warum die Geschichte so läuft, wie sie läuft. Sie kann über ihr Verhalten nicht reflektieren, sie ist einfach, wie sie ist. Ganz sie selbst und ganz ehrlich. Im Gegensatz zu vielen anderen spielt sie keine Rolle.

Aber deutet das nicht auch auf einen Egoismus hin? Diese absolute Freiheit, die sich in keinen anderen Bezug als sich selbst setzt?

Nein, das finde ich nicht. Es ist ihr Leben. Alle treffen die Entscheidung, mit Carmen in Verbindung zu treten, selbst und wissen, was gespielt wird. Sie zwingt niemanden, sie zu lieben. Sie lebt ihr Leben –
und ist nicht von anderen abhängig. Und wenn eine Person nicht mit ihr sein will, dann findet sie immer eine andere. Für sie ist die Liebesgeschichte mit Don José beendet. Sie sieht keinen Sinn darin, an Vergangenes anzuknüpfen und zu versuchen, etwas zu reparieren. Was vorbei ist, ist vorbei. Carmen lässt das hinter sich und will weitergehen.

Wäre Escamillo die große, »wahre« Liebe?

Ich denke, er ist einfach ein weiterer Liebhaber. Er gefällt ihr… Sobald aber Escamillo merkt, dass sie die »seine« ist, wird sie sofort »mit den Flügeln schlagen« und davonfliegen. Davon spricht sie schon bei ihrem ersten Auftritt, in der bekannten Habanera » L’amour est un oiseau rebelle / que nul ne peut apprivoiser«. Es scheint mir, dass kein Mann jemals von ihr Besitz ergreifen kann.

Und ist sie in ihrem Leben glücklich? Oder sehen Sie eine geheime Sehnsucht nach dem perfekten Partner?

Sie ist meiner Meinung nach glücklich. Ich denke auch nicht, dass sie eine andere Form der Beziehung in Erwägung zieht. Für Carmen sind traditionelle, gesellschaftliche Regeln nicht interessant.

Könnte für Sie diese Carmen eine reale Figur sein? Oder bleibt sie dann doch ein Kunstprodukt?

Ich persönlich habe niemals eine Person getroffen, die ganz wie Carmen wäre. Aber dennoch denke ich, dass es sie im ganz gewöhnlichen Alltag geben kann. Wie anfangs erwähnt: Ich bin es definitiv nicht. Aber es gibt sie sicher! Man müsste das Publikum fragen, ob jemand Carmen schon begegnet ist.

Carmen zählt zu den bekanntesten fünf Opern der Musikgeschichte. Womit hat das zu tun? Mit der Titelfigur? Der Musik?

vb Sicherlich hat das mit der Handlung und der Figur zu tun, aber natürlich auch ganz besonders mit der Musik. Jede einzelne Nummer ist ein Hit, kein einziger Moment hängt durch. Carmen ist einfach immer großartig! Ich könnte gar nicht sagen, welche meine liebste Stelle ist. Die Habanera, die Seguidilla, das Duett am Schluss? Dazu diese fantastische Orchestration, die Chöre, die Arien von Don José und Micaëla, alles, bis hin zum Kinderchor. Ich freue mich schon, diese Musik auf der großen Staatsopernbühne singen zu dürfen!