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Kate Lindsey © Peter Mayr
Ain Anger, Kyle Ketelsen &Philippe Sly bei der ersten Bühnenprobe zu »Don Giovanni« © Peter Mayr
Philippe Sly © Peter Mayr
Kyle Ketelsen © Peter Mayr
Kate Lindsey © Peter Mayr
Stanislas de Barbeyrac © Peter Mayr
Hanna-Elisabeth Müller & Stanislas de Barbeyrac © Peter Mayr

IM ZENTRUM DER DIONYSISCHEN ENERGIE

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Wer oder was ist Don Giovanni? Das absolute Chaos? Ein schwarzes Loch? Oder einer, den man insgeheim beneidet? Fünf Sängerinnen und Sänger der Neuproduktion – Kyle Ketelsen, Philippe Sly, Kate Lindsey, Hanna-Elisabeth Müller, Stanislas de Barbeyrac – diskutieren anlässlich der Premiere über Zugänge zur Figur und zum Mythos.

Don Giovanni galt lange, ausgehend von einer romantischen Interpretation, als »die Oper aller Opern«. Ohne Zweifel gehört das Werk auch heute zu den zentralen Kunstmomenten unserer Zeit und initiiert laufend neue Auseinandersetzungen. Woran liegt das? Was macht Don Giovanni so besonders?

KYLE KETELSEN Es ist zumindest eine der Opern schlechthin. Don Giovanni ist ein Topos, mit dem auch viele, die sich gar nicht besonders für Oper interessieren, eine Vorstellung verbinden. Dabei geht es um den Mythos der Titelfigur. Also Don Giovanni: der größte Verführer! Abgesehen davon muss ich sagen, dass die Oper mit ihren fast 250 Jahren verblüffend zeitgenössisch ist. Weil sie sich auf menschliche Gefühle gründet. Und die – seien wir ehrlich – ändern sich nicht und waren vor 250 Jahren dieselben wie vor 2000 Jahren und wie heute. Im Grunde sind wir, was unser Herz betrifft, immer noch dieselben, die wir immer waren. 

HANNA-ELISABETH MÜLLER Ich glaube, dass Don Giovanni tatsächlich eine jener Opern ist, die man auf die berühmte Insel oder ins Weltall mitnehmen würde. Sie ist musikalisch grandios! Jede Nummer hat das Zeug zum Ohrwurm, musikdramaturgisch ist das Werk einfach aufregend. Und die Oper bietet eine gute Geschichte, die man sich eigentlich immer anschauen kann: spannend, aber nicht zu heftig. Man hat nie genug. Sie ist eine Oper, die man eigentlich der Voyager mitgeben hätte sollen.

PHILIPPE SLY Mir fallen da viele Antworten ein! Es handelt sich um eine Opernform, die Mozart perfektionierte und zur Vollendung brachte, ebenso perfektioniert ist der Librettostil von Da Ponte – in Vielem sehr nahe an Shakespeare. Die Oper setzt sich mit unserer Natur auseinander, damit, was wir sagen, aber auch damit, was wir nicht sagen. Es geht um die Faszination, die unsere ursprünglichen Bedürfnisse auf uns ausüben. Es geht um das Dionysische im Gegensatz zu Moralvorstellungen. Und das sind nur einige wenige Aspekte.

KATE LINDSEY Besonders ist vor allem die Musik! Unglaublich, wie sie seit so langer Zeit lebt und gedeiht. Und uns in unserem Innersten berührt. Und es ist verblüffend, wie vertraut sie uns ist – auch in dieser Vertrautheit findet sich für mich etwas Schönes... Natürlich, die Handlung ist griffig. Aber sie ist letztlich nur so packend, weil sie durch die Musik erhöht wird.

STANISLAS DE BARBEYRAC Genau! Auch dem heutigen Zuhörer oder der Zuhörerin erscheint Don Giovanni nicht als ein Werk mit alter Musik und einem seltsamen Libretto, sondern die Oper steht noch immer inmitten unseres Lebens, wie ein zeitgenössisches Meisterwerk. All die Arien, die Ensembles, auch die Rezitative sind so voller Leben, so heiter, traurig, emotional! 

Nun ist Don Giovanni als Figur ein Mythos. Wie geht man mit einem entsprechend aufgeladenen Topos um, wie bringt man ihn ins Heute, gleichsam auf den Boden? Muss man das überhaupt? 

PS Das ist die Frage schlechthin! Denn Don Giovanni ist ein schwarzes Loch, seine Wünsche, Intentionen sind so klar, dass es in der Oper eher darum geht, wie die anderen auf ihn reagieren. Wie aber spielt man ihn? Eine Analyse ist einfach, aber die Umsetzung? Man macht den Mythos diesseitig, indem man als Sänger Entscheidungen, philosophische Entscheidungen über den Charakter trifft. Ist er ein Hedonist? Oder ist es reine Liebe, ganz ohne Fehler? Wenn man solche Fragen beantwortet, kommt der Mythos auf die Erde.

HM Nun, wir gehen in unserer Produktion die Geschichte ja neu und »anders« an. Und dieser Zugang macht den Mythos direkt erfahrbar. Da ist kein Abstand mehr, der einen fernhält.

KL Alle unsere großen Mythen basieren letztlich auf Phänomenen, die auch in unserer Realität existieren – wenn auch in abgeschwächter Form. So ist auch Don Giovanni jemand, den wir aus unserem Leben kennen, nur wurde er stark überhöht. Denn das Theater braucht diese Übersteigerung und Vergrößerung, es braucht dieses Mehr-als-das-echte-Leben. Nur so lassen sich die Geschichten in einer umfassenderen und allgemeingültigen Form erzählen. 

KK Ich sehe in Don Giovanni keine Abstraktion, sondern versuche, und das mit aller Ehrlichkeit, immer »Verismo« zu bieten. Lebensecht zu spielen, immer ganz nah am Realismus dranbleiben. Und so habe ich nicht das Gefühl, einem Mythos gerecht werden zu müssen: Es geht um das Leben. Die Beziehung zwischen Don Giovanni und Leporello ist besonders spannend. Sie ist getragen von Anziehung und Abhängigkeit, von Widerwillen und Fliehkraft.

KK Giovanni ist für Leporello eine Vaterfigur. Es gibt Zeiten, da manipuliert er ihn, ist grausam oder aber braucht ihn. Er kennt ihn jedenfalls gut, verfügt über ihn wirtschaftlich, die beiden verbindet auch sehr stark eine persönliche Beziehung. Leporello will ausbrechen, kann ihn aber nicht verlassen. Giovanni versucht ihn zu halten und ist von ihm abhängig. Sie sind keine Brüder, aber wie Brüder.

PS Leporello ist ein Diener, aber ein bezahlter Diener. Kein Sklave. Also muss auch er immer verführt werden. Das ist ein sehr wichtiger Moment in der Beziehung der beiden. Leporello ist von Don Giovanni fasziniert, er sehnt sich danach, eine solche klare Weltverachtung zu haben, denn er trägt aus seiner Sicht die Bürde eines moralischen Kompasses. Er ist neidisch auf Giovannis Mangel eines solchen, und die Freude, die Giovanni am puren Sein verspürt, hat etwas Verführerisches. Andererseits braucht Don Giovanni Leporello – als Publikum, denn ohne Gemeinschaft kann er nicht überleben!

Würde Leporello gerne wie Don Giovanni sein?

PS Leporello kann zwei Dinge in sich tragen: Er kann ihn verlassen und gleichzeitig wie er sein wollen. Alle Figuren haben meiner Meinung nach eine ähnliche Beziehung zu Don Giovanni, weil dieser, als archetypischer Charakter, ihnen als Reflexion dient. Er stellt in einer gewissen Weise alles in Frage, was sie bisher als sicher angesehen haben. Er zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg. Seine dionysische Energie bewegt sie, treibt sie weiter. Er ist Wille. Um in der Welt leben zu können, muss purer Wille allerdings kontrolliert sein und kann nur behutsam freigegeben werden.

Und wie steht Donna Anna zur Titelfigur? Gibt es etwas an ihm, das sie fasziniert? Bewusst, unbewusst, wie auch immer?

HM Ja, ganz klar! Es muss etwas Spannendes oder zumindest Interessantes an Don Giovanni sein, sonst hätte sie sich anders gewehrt. Auch musikalisch findet zwischen den beiden eine Art Verschmelzung statt. Wahrscheinlich ist er ein sehr polarisierendes Alphatier, das einen einfach mitzieht. Und das muss gar nicht mal sexuell sein, sondern einfach eine Attraktivität. Das ist eine vielleicht sogar nur rein chemische Konstruktion, aber sie existiert, unbestreitbar.

Wohingegen die Figur der Donna Elvira...

KL ...mich total verwirrt! (lacht) Über die Donna Elvira lernt man sehr viel, wenn man sich ihre Interaktionen, ihre Beziehungen mit den anderen Personen anschaut. Nun, ihre engste Verbindung besteht zu Don Giovanni, selbst wenn sie nur einige wenige Tage mit ihm hatte. Wobei sich ihr Verhältnis zu ihm laufend ändert: sie glaubt ihn zu lieben, sie ist wütend, sie will ihn zurück, sie ist verzweifelt. Es ist ein laufendes Hin und Her.

Sie glaubt ihn zu lieben? Ist es keine echte Liebe?

KL Donna Elvira ist eine sehr einsame Figur, man wei. so wenig über ihre Umgebung, über ihr Vorleben. Daher habe ich mir eine Biografie zurechtgelegt und denke mir, dass sie vielleicht ihre Eltern früh verloren hat und in einem Kloster groß wurde. Sie ist in einer Lebensphase, in der sie zu verstehen versucht, was Liebe ist. Das ist etwas, was man nur in einer Beziehung erforschen kann, etwa die Frage: Ist das, was ich erlebe und auch mache ein liebendes, oder schon manipulatives Verhalten? Jedenfalls ist es ihre erste diesbezügliche Erfahrung, ihre erste Liebe, ihr erster Sex. Wenn wir als erwachsene Menschen ihr Agieren beobachten, dann können wir aus unserer Lebenserfahrung heraus feststellen, dass das vielleicht keine echte Liebe ist, die sie erlebt. Aber sie glaubt es. Und es gibt niemanden, der ihr hier helfen und sie die wahre Liebe erleben lassen könnte. Das ist die Tragödie der Elvira. 

Die Beziehung zwischen Don Ottavio und Don Giovanni ist weniger komplex, oder?

SB Sie sind Freunde, es ist aber nicht einfach, wirklich viel über diese Beziehung zu erfahren. Denn in der Oper verbringen sie ja letztlich nicht viel Zeit miteinander. Aber ganz generell ist für Don Ottavio Donna Anna, beziehungsweise ihre Gefühlswelt, das Wichtigste. Natürlich ist Don Giovanni für ihn – anfangs – ein cooler Kerl, mit dem er gerne befreundet ist. Aber seine Erziehung hat ihn vielleicht auch gelehrt, sich nicht wie er zu verhalten.

Ist Don Ottavio so etwas wie die moralische, die bürgerliche Gegenwelt zu Don Giovanni?

SB Don Ottavio hat ein bisschen das Problem, dass seine Position weniger attraktiv erscheint, weil er von einem Konservativismus umgeben ist. Mit Barrie Kosky arbeiteten wir daran, dass manchmal auch seine dunkle Seite zu sehen ist. Es ist ja nicht so, dass nicht auch die moralische, nennen wir es die bürgerliche Welt, einen Ausflug ins Dunklere machen kann. Die Anziehungskraft, die Don Giovanni auf viele ausübt, bedeutet auch, dass er von Neid und Eifersucht umgeben ist. Denn viele lehnen ihn aus – vielleicht nur vorgeschobenen – moralischen Gründen ab, wären aber gerne wie er. Neid eben.

HM Absolut. Und solche Persönlichkeiten ziehen das immer an. Also irgendwie möchte man nicht Don Giovanni sein, aber dann doch, allein schon, um in seinen Kopf reinschauen zu können. Wäre doch superspannend! Oder das auch mal ausleben zu dürfen, ohne dass der persönliche Kreis einen verurteilt, was den meisten von uns ja sofort passieren würde. Aber Don Giovanni ist das egal!

Dass Donna Anna von ihm fasziniert ist, hat doch auch Freud-Potenzial?

HM Ja, da ist dieser tolle und auch schreckliche Mann, mit dem sie eigentlich gar nichts zu tun haben will, der nicht ihr Niveau ist, der ihren Vater ermordet hat – und doch irgendwie spannend ist. Viel Konfliktpotenzial! Aber die Verführung ist unter diesen Umständen nicht groß genug, um ihr nachzugeben. In einer anderen Situation: womöglich. Zweifellos ist es aber für sie verwirrend, dass diese Attraktivität auf sie wirkt. Das macht sie hellhörig: Achtung, das mit Ottavio sollte dringend geprüft werden!

Donna Elvira kennt keinen Neid?

KL Nein, ich glaube, dass sie bei aller Gefühlsverwirrung und ihren wechselhaften Emotionen ehrlich und direkt ist. Sie hofft, dass sie ihn verändern kann. Sie glaubt es. Denn auch wenn sie kein hyperreligiöser Charakter ist, fühle ich, wenn ich sie singe, dass in ihr Glaube und Überzeugung sind. Sie ist zutiefst beseelt davon, dass sie und Don Giovanni für einander bestimmt sind. Selbst wenn sie erfährt, dass er tausende Frauen hatte, schreckt sie das nicht ab. Vielleicht findet sie es sogar interessant. Elvira sieht seine dunkle Seite und spürt bei diesem Anblick Trauer und Mitgefühl. Sie fühlt, dass er verloren ist. Sie fürchtet für ihn und dass sie ihn an die Dunkelheit verliert.

SB Don Ottavio ist auch nicht neidisch. Davor bewahrt ihn seine Liebe zu Donna Anna, er muss für sie so etwas wie ein Bodyguard sein. Neid und Eifersucht sind keine Gefühle, die er empfindet – dafür hat er viel zu viel zu tun, weil er sich so sehr um andere kümmert.

HM Don Ottavio ist die Treue in Person, auch sich selbst gegenüber. Er ist für Donna Anna nicht unattraktiv, aber ich glaube, dass sie überhaupt noch nicht imstande ist, das wertzuschätzen. Donna Anna ist einfach noch sehr jung... man kennt das ja von sich selber, dass man erst später realisiert, was man hatte oder was da eigentlich neben einem steht. Don Ottavio ist da schon viel weiter. Auch, indem er so ruhig in seiner Rolle bleibt. Für sie hat ein Gedanke in Bezug auf Zuneigung und Liebe erst einmal keinen Platz. Aber ich glaube nicht, dass das Jahr Pause ein totales Nein ist. 

Und was denkt Don Ottavio über das Verhältnis von Donna Anna zu Don Giovanni?

SB Das ist tricky. Ich denke, es ist sein Ziel, sie zu überzeugen, dass sie es besser mit ihm als mit Don Giovanni hat. Wobei, wie soll man gegen Gefühle kämpfen, die womöglich vorhanden sind? Ich denke aber, dass Donna Anna ausreichend Gelegenheit hat, herauszufinden, dass Don Giovanni gar nicht so toll ist. Und wenn sie Zeit braucht, zu trauern oder sich über ihre Gefühle klar zu werden, dann gibt ihr Don Ottavio die benötigte Zeit.

Warum reden wir heute eigentlich noch so viel über Don Giovanni? In Zeiten der Promiskuität und Polyamorie fehlt ja der Zündstoff?

KK Ich bin mir nicht sicher, ob wir heute wirklich promiskuitiver sind als vor 100 oder 1000 Jahren. Es wird, wie bei allen Dingen, nur mehr darüber berichtet. Wir denken freier darüber, aber ausgelebt wurde es immer. Denn moralische Regeln, die es in jeder Zeit gibt, wurden und werden stets auch ignoriert und hintergangen. Menschen sind Menschen. Sie lieben, hassen, begehren, damals wie heute. Warum aber war Breaking Bad so ein TV-Hit? Weil ein durchschnittlicher Zuseher Handlungen und Umstände beobachten kann, über die er vielleicht fantasiert, aber nicht erlebt. Vielleicht ist es bei Don Giovanni ähnlich. Dazu kommt natürlich, dass die Geschichte einfach gut erzählt wird, es ist ja kein Zufall, dass das Werk seit rund 250 Jahren Menschen bewegt.

SB Auch wenn wir heute in einer Zeit leben, in der manches anders ist, sich manches vielleicht entwickelt hat, wir in einigen Dingen Grenzen setzen, beschreibt Don Giovanni seit Jahrhunderten das echte Leben. Von vielen Menschen, auch aus unserer Umgebung. Daher funktioniert die Geschichte bis heute. Diese Oper zeigt vielen etwas, was sie zum Teil an sich, an anderen kennen, aus ihrer Vergangenheit oder sogar der Gegenwart. Das Werk ist wie ein Spiegel.

KL Die Geschichte selbst und die Epoche, in der sie spielt, sind historisch. Und mit unserem historischen Wissen können wir das moralische Dilemma, das vor Jahrhunderten mit Don Giovanni verbunden war, verstehen. Zeitgenössisch ist aber unter anderem dieses Ichwill-Alles, Ich-will-es-Jetzt und Ich-will-nicht-Warten. Wie viele von uns leben das aus! Wenn man einen speziellen Drink will: Man bekommt ihn. Wenn man ein spezielles Handy will: Man bestellt es. Wenn man sich mit einem Essen verwöhnen will: Man tut es. Und so weiter. Wir leben in einer Gesellschaft, in der dieses Alles-Sofort ganz gewöhnlich ist. Dazu kommen Reality-Serien im Fernsehen, die extrem reiche Menschen zeigen. Viele sind von diesem Exzess fasziniert und werden davon angezogen. Auch das ist Don Giovanni.

HM Das Thema um eine Figur wie Don Giovanni wird niemals langweilig und bietet immer viel Stoff zum Unterhalten und Diskutieren. Er wird niemals aus der Mode geraten. Es geht bei Don Giovanni auch um das Verhältnis und die Beziehung von Komik und Tragik.

KK Wenn man eine Tragödie mit Humor verknüpft – und vice versa – erhöht sich die Fallhöhe. Abgesehen davon bildet diese Kombination das Leben ab. In unserer Produktion gibt es eine gute Balance zwischen den beiden, was mich sehr freut. Alleine schon, weil ich gerne lache. Und wenn das in der Produktion abgebildet wird, schadet es nicht. (lacht)

PS Es gibt in Bezug auf Leporello viele Komödien-Momente. Aber nicht nur bei ihm, auch bei den anderen, selbst wenn es die Tradition nicht so gesehen hat. Weil Ausgelassenheit und Trauer manchmal so nahe beieinander liegen. Wenn ich zum Beispiel sehr gestresst bin, fühle ich oft den Zwang zu lachen. Ganz allgemein gesagt: Die Tragödie wird kathartischer, wenn die Komödie zur Hand ist. Man braucht das Licht, um zu verstehen, was Dunkelheit ist. Denn Dunkelheit ohne Licht ist nicht dunkel, sondern nur eine Leere.

HM Bei Donna Anna entdecke ich keinen einzigen komischen Moment. Das bespielt sie nicht.

KL Bei Donna Elvira gibt es hingegen eine komische Seite, und zwar in Bezug auf ein Handeln, das für uns alle nachvollziehbar ist. Denn jede und jeder hat sich schon Hals über Kopf, aber chancenlos in jemanden verliebt und dabei die Grenze zum Lächerlichen überschritten. Und dabei irrationale Dinge getan. Wir kennen dieses Verhalten, wenn man jemanden anruft und dann sofort wieder auflegt, sobald die Stimme des anderen erklingt. Daher können wir Elviras Verhalten mit einem Lächeln betrachten – und in diesem Sinne gibt es Komik. Wobei natürlich vieles in der Oper überhöht ist. 

Was passiert eigentlich mit Leporello nach dem Ende der Oper?

PS Leporello, der von Don Giovanni freikommen wollte, ist am Ende ohne ihn. Wie fühlt sich das an? Ist es eine Befreiung? Oder ist er allein? Er sagt, dass er sich einen besseren Herrn suchen wird. Vielleicht ist er nun selbst sein besserer Herr?

Zuletzt: Was soll das Publikum aus einem Don Giovanni-Abend mitnehmen?

KL Ich denke, das Publikum soll sich das mitnehmen, was es darin sieht. Die Produktion ist auf Charaktere aufgebaut, darauf, wie sie agieren, reagieren und interagieren. Es geht nicht um Ausstattung, nicht um Requisiten. Es geht um keine übergeordnete, von uns verschriebene Aussage. Die eine wird die Musik mögen, der andere ganz genau verstehen, was eine Figur empfindet. Auch das, was man mitnimmt, ist hochindividuell.

PS Das ist eine Fangfrage! Denn wenn wir entschieden hätten, was das Publikum fühlen oder mitnehmen soll, dann wäre es Propaganda. Nämlich eine Idee, die wir vermitteln wollen. Aber das wäre dann keine Kunst mehr. 

Also gut. Was kann das Publikum mitnehmen?

PS Ich würde mich freuen, wenn das Publikum Don Giovanni ambivalent sähe. Verführerisch. Abstoßend. Und sich jeder Fragen stellt. Was, wenn ich täte, was ich will? Ganz im Augenblick lebte? Die christliche Weltsicht bietet eine Zukunft durch Opfer in der Gegenwart. Don Giovanni ist das ausgelebte Gegenteil. In diesem Sinne ist er der Antichrist.

Ginge das, dass wir alle Don Giovannis sind? Oder braucht es die Ottavios und Leporellos?

PS Das ist eine gute Frage. Das sollten Sie Nietzsche fragen... Aber man kann natürlich keine Oper mit nur Don Giovannis schreiben.

Wäre das eher eine Utopie oder eine Dystopie?

PS Je nachdem, wie wir unsere Welt definieren. Ist sie eher eine Utopie oder Dystopie? Sagen wir es so: Er wäre das Chaos. Und wir brauchen Chaos, um zu wachsen.

SB Letztlich ist Don Giovanni mehr als nur eine Geschichte. Das Ganze kann eine Reflexion darüber sein, wie man Beziehungen lebt, als Paar, als Familie, als Freunde. Das hat mit der hohen Qualität des Librettos zu tun, das klug, witzig und sehr präzise ist. Und natürlich mit Mozarts unglaublich faszinierender Musik.

DON GIOVANNI

5. (Premiere ohne Publikum / live: Stream und auf .1 / live zeitversetzt: auf ORF III), 13. (Premiere vor Publikum) / 14. / 17. / 20. Dezember 2021

Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung Barrie Kosky
Bühne & Kostüme Katrin Lea Tag
Licht Franck Evin
Dramaturgie Sergio Morabito & Nikolaus Stenitzer

Don Giovanni Kyle Ketelsen
Komtur Ain Anger
Donna Anna Hanna-Elisabeth Müller
Don Ottavio Stanislas de Barbeyrac
Donna Elvira Kate Lindsey
Leporello Philippe Sly
Zerlina Patricia Nolz
Masetto Peter Kellner

Die Produktion Don Giovanni wird gefördert von 

Das Gespräch führte Oliver Láng

Die Fotos der ersten Bühnenprobe stammen von Peter Mayr