Über das Werk
Iolanta, die von Geburt an blinde Tochter des provençalischen Königs René, lebt verborgen in den Vogesen.
Ihr Vater hofft auf Heilung durch den berühmten Arzt Ibn-Hakia – erst wenn sie sehen kann, soll Iolanta ihren Verlobten Robert von Burgund kennenlernen. Es kommt anders: Robert will die Verlobung lösen, weil er eine andere Prinzessin liebt. Sein Begleiter und Freund Vaudemont dagegen verliebt sich auf den ersten Blick in Iolanta, die seine Liebe erwidert. Die Liebe wird der Schlüssel für Behandlung, die Heilung gelingt, Iolanta lernt sehen.
»Ich dachte mir«, so Evgeny Titov im Interview zu seiner Inszenierung, »in einer Oper, in der es so viel um Licht geht, muss es auch Schatten geben.«
Und so entführt der Regisseur sein Publikum in einen Rosengarten der etwas unheimlicheren Art. Die Raumbühne von Rufus Didwiszus zeigt ihn als »Ort im Ort«, innerhalb von Mauern vergangener Zeiten, deren Perspektive irritiert. Denjenigen, die von draußen in Iolantas Refugium eintreten, ist anzumerken, dass dort nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann. Drinnen schließlich lässt die Choreographie von Otto Pichler Zweifel aufkommen, ob Iolantas Gefolgschaft noch aus »Freundinnen« oder »Dienerinnen« besteht – oder schon ganz anders beschrieben werden muss. Die detailreiche Irritationskunst von Evgeny Titovs Inszenierung spitzt jene Frage zu, mit der der Regisseur in die Auseinandersetzung mit Piotr Tschaikowskis letzter Inszenierung gegangen ist: »Was bedeutet es, wenn wir sagen: wir nehmen alle Scheuklappen ab und blicken auf die Welt?«
Piotr Tschaikowski setzte den Antagonismus von Licht und Finsternis in der Gegenüberstellung „dunkler“ B-Tonarten – etwa in der ungewöhnlichen, nur mit Holzbläsern und Hörnern besetzten Orchesterintroduktion – mit dem triumphierenden C-Dur-Finale in Musik. Die nach und nach fragwürdig werdende Naturidylle in Iolantas Rosengarten macht der Komponist durch pointierte Harmonik und Instrumentation atmosphärisch ebenso erfahrbar wie Iolantas Getriebenheit, die Zweifel König Renés oder die philosophischen Überlegungen Ibn-Hakias über die Zusammenhänge zwischen Psyche und Körper. Das schwärmerische G-Dur Duett Iolantas und Vaudemonts schließlich scheint romantische Liebe und (Gottes-)Erkenntnis in eins zu setzen – die Lösung? Oder eine neuerliche Verblendung?
Der Vorschlag für diesen Stoff kam von Tschaikowsky selbst. In einem Gespräch mit der Zeitschrift Peterburgskaja Zizn‘ im November 1892 erklärte er: „Vor ungefähr acht Jahren bekam ich ein Heft der [Moskauer] Zeitschrift Russldj Vestnik [Russischer Bote, Anm.] in die Hand, in welchem der Drameneinakter König Renes Tochter des dänischen Bühnenautors Henrik Hertz in der russischen Übersetzung von F. B. Miller abgedruckt war. Dieser Stoff bezauberte mich durch Poesie und Originalität sowie durch die Fülle an lyrischen Momenten. Ich gelobte mir damals, den Stoff irgendwann einmal zu vertonen.«