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Was will mir "Salome" heute sagen?

Das ist nervöse Musik, als hätte einer Maikäfer in der Hose! So soll sein Vater reagiert haben, nachdem er ihm Ausschnitte aus der Salome vorgespielt hatte, erzählte Richard Strauss am Ende seines Lebens anekdotisch. Wie sieht es mit den Maikäfern aus Sicht der Dirigentin aus?

Simone Young: Naja, das ist eine typische Aussage eines Vaters, der nicht versteht, was sein Sohn will – weil dieser etwas Neues macht. Maikäfer hin oder her: Salome ist eine ungemein theatralische Musik mit einer sehr genauen Personencharakterisierung. Zum Beispiel, weil Sie nervös gesagt haben: Herodes ist ein nervöser Charakter, und das wird im Orchester, in der gesamten Musik sehr genau gezeigt. Salome hingegen hat von Strauss naturgemäß eine gänzlich andere Musik bekommen, Jochanaan wiederum eine andere. Jeder Charakter die ihm entsprechende.

Gerade bei Herodes hat man heute einen recht typischen Klang in den Ohren. Hat sich das durch eine Tradition so herausgebildet?

Simone Young: Das Interessante an Herodes ist, dass man ihn heutzutage mit Sängern aus zwei Fächern besetzen kann. Sowohl mit großformatigen Spieltenören (die etwa auch Mime und Loge singen) als auch mit Heldentenören. Ich habe Erfahrungen mit beiden, und beide haben ihre Vorteile. Ich glaube, dass Strauss keine „schöne“ Stimme im Ohr gehabt hat, vor allem, wenn man an die knalligen Dissonanzen am Ende der Oper denkt, wo es nur falsch klingen kann. Wenn es da sauber und richtig klingt, hat man etwas falsch gemacht! Allerdings gibt es einige Passagen, wie diese „Tanz für mich Salome“-Stellen, die dennoch, vom Heldentenor gesungen, „schön“ klingen können. Das hat auch einen Reiz. Ein Mime-geschulter Sänger bringt wiederum eine Textverständlichkeit und einen bestimmten Ausdruck ein, der vor allem im zweiten Teil der Oper, wo es immer heftiger und hysterischer wird, gut zur Geltung kommt.

Gibt es auch bei den anderen Figuren eine solche Möglichkeit der Mehrfachbesetzung?

Simone Young: Zumindest die Möglichkeit einer Fehleinschätzung. Viele Sängerinnen, die noch nicht dramatisch genug sind, riskieren eine Salome. Denn man wird manchmal von der ersten Szene mit dem hohen, silbrigen Klang verführt: so manche Sängerin denkt dann, dass sie die gesamte Partie so hell und silbrig gestalten kann. Aber so ist es nicht. In Wahrheit entspricht die Salome der Partie der Kaiserin in Frau ohne Schatten. Der dramatische Schluss zeigt genau, wie eine Salome-Stimme beschaffen sein muss. Mit anderen Worten: Man braucht eine dramatische Stimme, die gleichzeitig auch die Leichtigkeit des Anfangs der Oper besitzt. Das ist nicht leicht zu finden und so gibt es also in jeder Generation nur wenige „echte“ Salomes …

Strauss hat in Salome eine Reihe von musikalischen Sprachbildverstärkungen verwendet, Harfe/Celesta etwa, wenn von der silbernen Schüssel die Rede ist. Wie präsent gestalten sie diese?

Simone Young: Ich denke, diese bildhaften Motive, die Strauss verwendet, sind in Wahrheit das Leben der Partitur. Was wäre der Kopf des Jochanaan ohne dieses unheimliche H in den Kontrabässen? Oder Salomes Gesang von Liebe und Tod ohne die Harmonium-Akkorde?

Strauss hat dies auch noch weitergeführt: In Daphne bringt er ein komplexes kontrapunktisches Geflecht, wenn es um den Baum und seine Verzweigung geht. Ist das bei Salome auch so?

Simone Young: Ja, das gibt es in Salome auch. Das sieht man zum Beispiel, wenn man sich anschaut, wie er mit den motivischen Elementen im zweiten Teil der Oper umgeht, wenn es immer komplexer wird und Herodes nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll. An diesen Stellen kommt es zu einem sehr dichten kontrapunktischen Geflecht aus Motiven und Melodien. Salome ist bereits eine sehr reife Partitur.

Salome hat ein besonders groß besetztes Orchester. Als Dirigentin müssen Sie über Strecken darauf achten, dass die Sänger nicht übert.nt werden. Gibt es Momente, in denen Sie dem Orchester dennoch den Vortritt lassen und die Sänger etwas weniger präsent sein dürfen?

Simone Young: Es ist sicher im Sinne des Komponisten, dass man die Sänger immer hört. Aber: Wie präsent, ist eine andere, eine eigene Frage. Wenn wir uns die großen Studioaufnahmen aus den 70er und 80er Jahren anhören, dann merken wir, dass die Sänger künstlich in den Vordergrund gebracht wurden. So sehr, dass es oftmals einfach keine realistische Klangsituation mehr gab. Strauss hat eindeutig symphonisch gedacht, wie Wagner übrigens auch. Manchmal sind dabei die Sängerstimmen im Vordergrund, manchmal sind sie ein Teil des symphonischen Klanges. Wann genau, gehört zu den Entscheidungen, die man als Dirigentin ständig treffen muss.

Wenn Sie sich nun einer neuen Salome-Serie nähern: Arbeiten Sie im Vorfeld das gesamte Stück komplett durch oder nehmen Sie sich nur einige Schlüsselstellen vor?

Simone Young: Ich arbeite grundsätzlich immer, egal welches Stück ich dirigiere, das gesamte Werk neu durch. Nicht nur vor Serien, sondern vor jeder Aufführung. Salome ist eine jener Partituren, die ich seit mehr als 20 Jahren dirigiere, und ich kenne jeden Ton dieser Oper. Aber wenn ich die Partitur nicht immer wieder gründlich durcharbeiten würde, dann hieße das, dass sich meine Ansichten über dieses Werk in den letzten 20 Jahren nicht geändert hätten. Daher muss man als Dirigentin stets das Stück neu befragen. Also: Was will mir Salome heute sagen?

Haben Sie so etwas wie eine Lieblingsstelle in dieser Oper?

Simone Young: Da gibt es einige. Lassen Sie mich kurz nachdenken: Sicher die Stelle mit den beiden Nazarenern, auch die großen Ausbrüche im Schlussgesang. Aber es gibt natürlich noch viel mehr Momente, in ganz unterschiedlichen Kategorien, die mir besonders nahe stehen, wie die gruseligsten Momente oder die tiefsten Aussagen. Es ist ja alles in Hülle und Fülle da. Salome ist eben ein Meisterwerk, und das Schöne daran, dass ich es schon früh in mein Repertoire aufgenommen habe, ist, dass ich mich schon lange damit beschäftigen kann und immer neue solche Stellen für mich entdecke.

Existiert ein Element in dieser Oper, das Strauss nur in Salome verwendet hat? Also der salomeische Augenblick?

Simone Young: Ich würde sagen, dieser Akkord, wenn Salome vom Geschmack der Liebe spricht. Das ist eine ganz spezielle Dissonanz. Und obwohl Strauss später mit seiner Elektra noch weiter in eine chromatische Sprache gegangen ist als mit Salome, bleibt dieser Akkord einzigartig. Ich würde sagen: diese Dissonanz ist fast krank. Sie hat eine unmittelbare physische Wirkung auf einen. Diesen besonderen Klang kenne ich aus keiner seiner anderen Partituren.

Das Gespräch führte Oliver Láng