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WAS IST LIEBE?

Knapp einhundert Mal stand der Tenor Piotr Beczała auf der Bühne der Staatsoper: zuletzt etwa als grandioser Cavaradossi, als ebenso überzeugender Don José oder als höchst beeindruckender Lohengrin. Im April ist der Kammersänger und Publikumsliebling nun wieder zu Gast an der Wiener Staatsoper und singt neben einer Lohengrin-Serie auch ein Solistenkonzert. Via Zoom erzählte er über ihm sympathische und weniger sympathische Opernfiguren, den Sinn einer guten Stimmtechnik und über Lohengrins Suche nach der Liebe.

»Lohengrin«

Solistenkonzert
 

Sie singen derzeit eine Lohengrin-Serie an der New Yorker Metropolitan Opera. Wie geht es Ihnen am Tag nach einer Vorstellung? Physisch und psychisch?

PIOTR BECZAŁA Lohengrin ist eine lange Oper, wir fangen hier um 18 Uhr oder 18.30 Uhr an, daher ist das Ende erst gegen halb 12. Bis man dann abgeschminkt und abgekühlt ist, mit den Kolleginnen und Kollegen gesprochen, die Fans begrüßt und all das, was nach einer Vorstellung noch so stattfindet, erledigt hat, ist es ungefähr halb 2 Uhr. Hat man am nächsten Morgen etwa ein Interview im Radio, muss man sich dafür fast einsingen (lacht). Grundsätzlich ist Lohengrin aber eine Rolle, die ein Tenor vom Vokalen her gut überstehen kann. Sie ist kein »Stimmkiller«. Und Sie wissen, dass ich an das glaube, was sich Gesangstechnik nennt. Wenn man über diese verfügt und sie auch anwendet, dann sollte eine Vorstellung so laufen, dass man am nächsten Tag nicht beim HNO-Arzt landet. 

Und psychisch? Legen Sie die Rolle um halb 2 Uhr ab, um am nächsten Morgen beim Radio-Interview kein Gralsritter mehr zu sein?

PB Das hängt durchaus von der Inszenierung ab, nämlich im Hinblick darauf, wie involviert Lohengrin im gesamten Geschehen auf der Bühne ist. Im Falle von New York ist er ein Außenseiter, er gehört nicht zur »Crowd«, wie hier gesagt wird, also nicht zu den anderen Leuten. Daher ist es für mich einfacher, aus der Rolle wieder herauszuschlüpfen. Denn er ist gescheitert, kehrt zurück nach Monsalvat und erhält vom Gral neue Kraft. Die Sache ist also gegessen. Aber es gibt auch Sichtweisen, die mehr Anteilnahme verlangen, und eine davon ist die Wiener Produktion. In Andreas Homokis Inszenierung ist Lohengrin aktiver. Und das ist einer jener Fälle, in denen man ein bisschen was nach Hause mitnimmt und sich psychisch etwas erholen muss. Aber Lohengrin ist für mich nicht so eine Rolle wie Werther oder Cavaradossi, deren Gemütszustände mich noch lange beschäftigen und die ich nicht so einfach abgelegen kann.

Wenn wir nach Ihrem ganz persönlichen Lohengrin-Bild suchen, also unabhängig von allen Inszenierungen: Ist das eine Figur, die trotz aller Macht dennoch der menschlichen Liebe bedarf? Im Sinne von: In der Gralswelt ist zwar alles wunderbar, aber die Liebe kommt dort zu kurz. Und endlich trifft Lohengrin Elsa und wird geliebt.

PB Ohne Zweifel! Lohengrin fühlt eine Sehnsucht nach Liebe. Vielleicht weiß er nicht genau, was das ist. Aber er ist auf der Suche und will verstehen. In meiner Sicht ist Lohengrin einer, der zuerst an ein Regelwerk glaubt, sich gerne an dieses hält und in seinem Leben alles organisiert. Als er also die Aufgabe bekommt, Elsa zu helfen, führt er sie aus. Zunächst erleben wir, sehr ausführlich, ein allmähliches Herantasten an diese für ihn neue, die menschliche Welt. Eigentlich ist es ja sogar so, dass erst im dritten
Akt, bei »Das süße Lied verhallt«, eine echte Annäherung Lohengrins an Elsa anfängt. Da kommt es auf, dieses Was ist das, die Liebe? Doch Lohengrin schafft es nicht sehr weit, weil Elsa dann doch die verbotene Frage nach seinem Namen und Wesen stellt. Immerhin hat Lohengrin es aber versucht, er ist unserer Menschenwelt nähergekommen, und das Gespräch mit Elsa ist mit unglaublich schönen Worten ausgestattet, voller Zärtlichkeit. Wenn er dann pflichtbewusst in die Gralswelt zurückkehrt, ist er vielleicht in seiner Gedankenwelt ein bisschen reicher. Zurück in Monsalvat versteht er vielleicht im Ansatz, was Liebe bedeutet.

Sie erzählten einmal, dass für Sie bei der Umsetzung einer Partie eine spezifische Klangvorstellung von großer Bedeutung ist. Wie ist diese im Fall von Lohengrin? Gibt es einen spezifischen Klang? Gewissermaßen den Lohengrin-Sound?

PB Das Besondere bei Lohengrin ist, dass er aus der Ferne kommt, aus einer anderen Welt. Es muss also zu Beginn eine ganz andere Klangsphäre geben als beim Nachfolgenden. Sein »Nun sei bedankt, mein lieber Schwan«, das ist fast noch Monsalvat. Und das muss man hören. Ebenso am Schluss: Die Gralserzählung ist dramatisch, Lohengrin berichtet, wer er ist, begleitet von ganz kurzen Trompeten-Akkorden. Unmittelbar danach kommt wieder die Schwangeschichte, es geht also Richtung Monsalvat. Hier die richtige Balance zwischen diesen Zuständen zu finden, ist nicht einfach. Daher versuche ich, bereits bei den Worten »Schon sendet nach dem Säumigen« die Gralswelt mitzudenken, um einen nicht zu abrupten Übergang zu haben. Davon abgesehen benötigt Lohengrin im Ganzen gar nicht so viele unterschiedliche Schattierungen. Also: Das Heroische, das vor allem im zweiten Akt oder beim »Höchstes Vertraun hast du mir schon zu danken« im dritten Akt zum Einsatz kommt. Dann das volle Lyrische, das betrifft drei Viertel der Rolle. Und eben das angesprochene Geheimnisvolle und Süße am Anfang und Ende der Oper. Für einen Werther brauche ich wesentlich mehr Farben, da gibt es manchmal innerhalb eines einzigen Satzes verschiedene Schattierungen. Dieser rasche Wechsel wäre allerdings bei Wagner falsch!

Immer wieder wird gerne darauf hingewiesen, dass Lohengrin eine »italienische« Wagner-Partie ist. Empfinden Sie das auch so?

PB Das stimmt. Zweifellos erinnert die Phrasierung des Lohengrin an vielen Stellen an italienische Opern, auch wenn er auf Deutsch gesungen wird. Das liegt meiner Ansicht nach daran, dass Wagner es selbst so sah. Denn in seinen früheren Werken war das, was wir heute als Wagner-Gesangsstil bezeichnen, weder entwickelt noch etabliert. Daher basierten seine eigenen Vorstellungen auf jenen Techniken und Klangfarben, die in der damaligen Zeit üblich waren. Als ich die Partie erstmals studierte, hörte ich mir viele Aufnahmen auf YouTube an: da gab es französische, italienische, russische Einspielungen – und sie klangen für meine Ohren sehr neutral. Singt man die Oper aber auf Deutsch, kommt noch das Deklamatorische hinzu, das man in anderen Sprachen nicht hat. Grundsätzlich finde ich es aber falsch, wenn ein Tenor den Lohengrin übertrieben »italienisch« ausrichtet, also zum Beispiel mit zusätzlichen Klischee-Schluchzern. Das bringt nichts und passt stilistisch nicht.

Ändert es eigentlich etwas, ob Ihnen eine dargestellte Figur persönlich als Charakter zusagt oder nicht? Entsteht vielleicht aus einer möglichen Oppositionskraft sogar eine kreative Energie?

PB Da ich ja als Schauspieler auf der Bühne stehe und das Darstellen fremder Charaktere mein Beruf ist, sollte es mir eigentlich egal sein, ob ich eine Figur mag oder nicht. Aber – es ist mir nicht egal. Natürlich kann ich alles spielen. Doch es gibt Rollen, die ich lieber mag, es gibt Rollen, die ich weniger gern mag, und es gibt Rollen, die ich gar nicht mag. In letzterem Fall ist es einfach: ich singe sie nicht. Daraus mache ich auch kein Geheimnis. Don Carlo gefällt mir als Charakter nicht, die Konsequenz ist also, dass ich die Partie nicht darstelle. Lohengrin hingegen mag ich sehr: ein geradlinig denkender Mensch. Man weiß nicht genau, woher er kommt, aber jedenfalls geht es dabei um Glanz und Wonne. Und genau dieses »aus Glanz und Wonne komm ich her« gehört zu meinen Lieblingsmomenten der Oper: es bezeichnet ihn als Person.

Sie singen im April neben den Lohengrin-Vorstellungen auch ein Solistenkonzert, begleitet von Sarah Tysman. Beim letzten Mal hörten wir eine Art »best of«. Was wird es diesmal sein?

PB Diesmal weniger ein musikalisches »Quer durch den Gemüsegarten«, an der genauen Abfolge tüfteln wir noch. Wir werden Werke von Rachmaninov, Meyerbeer, Massenet, Moniuszko und Tschaikowski bringen. Und ich denke daran, gewissermaßen als Abschied von der Rolle des Werther einen Querschnitt durch die Partie zu geben. Wir werden sehen, was herauskommt!

Sarah Tysman ist seit Jahren eine Ihrer musikalischen Partnerinnen. Was zeichnet sie als Pianistin aus?

PB Neben vielem anderen versteht sie es, sowohl ungemeine dramatische Kraft als auch höchste delikate Nuancierung zu bieten. Man kann sich immer ganz auf sie verlassen, in jedem musikalischen Augenblick. Und was das Technische angeht: sie spielt einfach alles, in jedem Tempo. Eine unglaubliche Pianistin!


LOHENGRIN
15. / 20. / 23. April 2023
Musikalische Leitung Omer Meir Wellber
Inszenierung Andreas Homoki
Bühne & Kostüme Wolfgang Gussmann
Licht Franck Evin
Mit u.a. Piotr Beczala / Camilla Nylund / Tomasz Konieczny / Nina Stemme / Tareq Nazmi / Clemens Unterreiner

SOLISTENKONZERT KS PIOTR BECZAŁA 18. April 2023
Klavier Sarah Tysman