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Unser Ensemble: Bror Magnus Tødenes im Porträt

Zehn Stufen steigen und währenddessen einatmen. Zehn Stufen steigen und währenddessen die Luft anhalten. Zehn Stufen steigen und währenddessen ausatmen. Zehn Stufen steigen und noch mehr ausatmen. Und dann das Ganze wieder von vorne, immer und immer wieder. Anderthalb Stunden lang. Genau so, erzählt der junge norwegische Tenor Bror Magnus Tødenes, trainierte Enrico Caruso seine Lungen. Denn: „Das Geheimnis des Singens liegt vor allem auch in der richtigen Atmung“. Berichtet Tødenes, und demonstriert es auch gleich ein wenig: wie die Atmung fließen soll; wie die richtige Körperhaltung aussieht; wie ein korrekter Atem zu klingen hat. Alles präzise überlegt und mit entsprechendem theoretischen Wissen angereichert. Ein Kopfmensch also? Nicht unbedingt. Denn singen, das ist für ihn beides: Auf der Bühne ein natürliches Sein-Lassen, im Vorfeld eine intensive Auseinandersetzung.
Diese analytische Hinterfragung wiederum betriff unterschiedliche Ebenen. Tødenes, erst 23 Jahre alt und souverän wie wenig andere seines Alters, kennt die theoretischen Schriften von Giovanni Battista Lamperti, Manuel García, Luisa Tetrazzini und vor allem von Caruso, seinem größten Vorbild. Er hat alle wichtigen Aufnahmen gehört, all die Pavarottis, Giglis, Aureliano Pertiles, Corellis, Melchiors und Rosvaenges aufmerksam studiert, um von den Besten zu lernen. Und dennoch: „Wenn ich auf der Bühne singe, soll keine Algebra in meinem Kopf stattfinden, sondern ich versuche, es einfach passieren zu lassen. Die Musik so natürlich wie nur möglich zu singen.“

Doch gehen wir an den Anfang der jungen Karriere zurück. Die Mutter Juristin, der Vater bei Rolls-Royce, beide interessierte Laien. Also wurde Klavier gelernt, wenn auch die klassische Musik anfangs so gar nicht im Fokus des jungen Tødenes lag. Jazz und Blues: ja, das war etwas anderes. Und als er eines Tages bei einem Familien-Geburtstagsfest eine elektrische Gitarre erlebte, war diese so „unfassbar cool“, dass nichts anderes in Frage zu kommen schien. Via youtube brachte er sich selbst das Spielen bei, kam auf eine Highschool, an der er neben Gitarre und Klavier noch ein musikalisches Nebenfach brauchte. Er wählte Gesang – und damit war es geschehen. Noch wehrte sich Tødenes, weil er nach wie vor Gitarrist und nicht klassischer Sänger werden wollte, doch ein Talente-Programm in Trondheim und schließlich ein Erasmus-Stipendium am Conservatorio di Musica Santa Cecilia in Rom (bei Elizabeth Norberg-Schulz) brachten ihn – und seine steile Karriere – rasch auf Schiene. 2013 bekam er das Erling-Krogh-Stipendium der Norwegischen Nationaloper (als jüngster Künstler bisher); 2014 erschien seine erste, inzwischen preisgekrönte CD – Remembering Jussi – mit populären Tenor-Arien auf Spuren Björlings; 2015 gewann er den Renata Tebaldi-Wettbewerb, bei dem Dominique Meyer den Tenor für die Wiener Staatsoper entdeckte. Und 2016 debütierte er im Haus am Ring als Artémidore/dänischer Ritter in der Armide-Premiere. Opernluft schnupperte Tødenes zuvor unter anderem in Bodø, Tromsø und Trondheim (als Lenski) sowie bei den Salzburger Festspielen in Il trovatore.
In seinem Repertoire hat der Tenor inzwischen auch Teile des Mozart-Fachs wie Tamino oder Belmonte oder auch Donizettis Nemorino. „Ich könnte auch ins Rossini-Fach und einen Almaviva im Barbiere singen oder einen Ramiro in Cenerentola – aber das ist nicht der natürliche Weg meiner Stimme. Die will ins lirico spinto-Fach. Technisch könnte ich mich auf Rossini trimmen – aber ich mache das, in Absprache mit Elizabeth Norberg-Schulz, lieber nicht.“ Schließlich gibt es eine Handvoll Sänger, die mit ihrem Stimmmaterial sorgsam umgehen und 40 Jahre und mehr auf der Bühne stehen – „und zu diesen möchte ich später einmal gehören.“ Auch einen Rodolfo in der Bohème könnte er anbieten, tut dies aber noch nicht. „Denn diese Partie ist so großartig, so bewegend und herausfordernd, dass ich damit noch warten will. Bis ich mit ihr sicherer bin und ich jede einzelne Note ganz wahr und wahrhaftig gestalten kann. Und bis ich die Kraft und Kondition habe, die Rolle dreimal hintereinander zu singen. Dann ist die Zeit gekommen.“ Eine klare Ansage! Man merkt, dass Tødenes das, was er tut, ausgesprochen ernst nimmt. So hat er seine genannte CD-Einspielung nicht nur aufgenommen, sondern später immer und immer wieder angehört, um mögliche eigene Stimmmängel zu hören – und sie zu verbessern. „Wenn ich etwas betreibe, richtig betreibe, dann mit so viel Aufmerksamkeit wie nur möglich. Da kann ich tatsächlich „nerdig“ werden, schmunzelt er. Und weil er auch mit Weitsicht agiert, kümmert er sich nicht nur um aktuelle Partien, sondern wirft auch den einen oder anderen Blick in die Zukunft. „Sie sollten mein Bücherregal sehen! Da steht fast alles, was ich für die nächsten 50 Jahre als Tenor brauchen kann. Auch Außergewöhnliches, das wenig gespielt wird. Opern von Meyerbeer oder Berlioz etwa.“

Fragt man Tødenes nach dem „Schwierigsten“ in seinem Beruf, so ist er unschlüssig; darüber, so der Tenor, denke er nicht viel nach. Vielleicht, dass seine Verlobte in Norwegen, er aber in Wien sitze. Das „Beste“ aber hat er schnell parat „Alles“, versichert er, „das Proben, Vorbereiten, Auftreten“. Vor allem aber: Wenn jene seltenen, außergewöhnlichen Momente passieren, in der Gesang und Schauspiel, Künstler und Publikum verschmelzen, eine besondere Energie all die Beteiligten miteinander verbindet. „Man ist dann nicht mehr man selbst, sondern wird zu einem Medium, das die dargestellte Figur transformiert.“ Leider, so fügt er hinzu, lasse sich diese Energie nicht auf Befehl erzeugen. Doch mit Meditation, ein wenig Yoga und viel Nachsinnen versucht er diesen perfekten Theater-Momenten auf die Spur zu kommen. „Das ist nicht esoterisch gemeint“, meint er. „Sondern dient einfach nur der Erforschung der Frage, wie man an diesen Gipfelpunkt kommt.“ Kennt man seine Konsequenz, so darf man davon ausgehen, dass er eine Antwort finden wird. Was nicht nur ihm, sondern auch dem Publikum zugute kommen wird!

Oliver Láng