Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik
Hugo von Hofmannsthal
Richard Strauss

Ungeschriebenes Nachwort zum ROSENKAVALIER

Hugo von Hofmannsthal, der dem Komponisten Richard Strauss kongeniale Textschöpfer des Rosenkavalier, schrieb im Uraufführungsjahr – 1911 – einen berühmt gewordenen Text zu dieser Oper. In diesem umreißt der Dichter, Librettist und Mitbegründer der Salzburger Festspiele noch einmal, in seiner einzigartig präzisen wie poetischen Sprache, die Figuren, Konstellationen und die Notwendigkeit des Zusammenwirkens aller Elemente im Musiktheater. Anlässlich der April-Vorstellungen des Rosenkavalier, die Musikdirektor Philippe Jordan leitet, erinnern wir an dieses Nachwort, das auch als Vorwort zur Aufführungsserie gelesen werden kann.

Ein Werk ist ein Ganzes und auch zweier Menschen Werk kann ein Ganzes werden. Vieles ist den Gleich- zeitig-Lebenden gemeinsam, auch vom Eigensten. Fäden laufen hin und wieder, verwandte Elemente eilen zusammen. Wer sondert, wird Unrecht tun. Wer eines heraushebt, vergisst, dass unbemerkt immer das Ganze entklingt. Die Musik soll nicht vom Text ge- rissen werden, das Wort nicht vom belebten Bild. Für die Bühne ist dies gemacht, nicht für das Buch oder für den Einzelnen an seinem Klavier.

Der Mensch ist unendlich, die Puppe ist eng begrenzt; zwischen Menschen fließt vieles herüber, hinüber, Puppen stehen scharf und reinlich gegeneinander. Die dramatische Figur ist immer zwischen beiden. Die Marschallin ist nicht für sich da und nicht der Ochs. Sie stehen gegeneinander und gehören doch zueinander, der Knabe Octavian ist dazwischen und verbindet sie. Sophie steht gegen die Marschallin, das Mädchen gegen die Frau und wieder tritt Octavian dazwischen und trennt sie und hält sie zusammen.

Sophie ist recht innerlich bürgerlich, wie ihr Vater und so steht diese Gruppe gegen die Vornehmen, Gro- ßen, die sich vieles erlauben dürfen. Der Ochs, sei er wie er sei, ist immerhin noch eine Art von Edelmann; der Faninal und er bilden das Komplement zueinan- der, einer braucht den andern, nicht nur auf dieser Welt, sondern sozusagen auch im metaphysischen Sinn. Octavian zieht Sophie zu sich herüber – aber zieht er sie wirklich zu sich und auf immer? Das bleibt vielleicht im Zweifel. So stehen Gruppen gegen Grup- pen, die Verbundenen sind getrennt, die Getrennten verbunden. Sie gehören alle zueinander und was das Beste ist, liegt zwischen ihnen: es ist augenblicklich und ewig, und hier ist Raum für Musik.

Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick. Die Sprache ist in keinem Buch zu finden, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegen- wart als man ahnt, und weder die Faninal, noch die Rofrano, noch die Lerchenau sind ausgestorben, nur ihre drei Livreen gehen heute nicht mehr in so präch- tigen Farben. Von den Sitten und Gebräuchen sind diejenigen zumeist echt und überliefert, die man für erfunden halten würde und diejenigen erfunden, die echt erscheinen. Auch hier ist ein lebendiges Ganze und man kann den Figuren ihre Redeweise nicht vom Mund reißen, denn sie ist zugleich mit ihnen geboren. Es ist gesprochene Sprache, mehr als sonst vielleicht auf dem Theater, aber sie will nicht für sich allein das Fluidum sein, von dem alles Leben in die Gestalten überströmt, sondern nur mit der Musik zusammen. Wo sie ihr zu widerstreben scheint, ist es vielleicht nicht ohne alle Absicht; wo sie sich ihr hingibt, ge- schieht es von innen heraus.

Die Musik ist unendlich liebevoll und verbindet alles: ihr ist der Ochs nicht abscheulich – sie spürt, was hinter ihm ist, und sein Faunsgesicht und das Kna- bengesicht des Rofrano sind ihr nur wechselweise vorgebundene Masken, aus denen das gleiche Auge blickt – ihr ist die Trauer der Marschallin eben so süßer Wohllaut wie Sophiens kindliche Freude, sie kennt nur ein Ziel: die Eintracht des Lebendigen sich ergießen zu lassen, allen Seelen zur Freude.