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© Carsten Sander (Volle)
© Gisela Schenker

MEISTERSINGER & Meistersingerin

Informationen & Karten »Die Meistersinger von Nürnberg«
 

Meistersinger ist nicht nur ein langes, sondern auch ein ungemein vielschichtiges Werk, zu dem es, wie zu Wagner und seinen Werken ganz allgemein, kilometerweise Literatur gibt. Wir alle kennen ja viele unterschiedliche Sichtweisen auf diese Oper. Als Einstieg daher in Kürze: Worum geht es für Sie in den Meistersingern?
HANNA-ELISABETH MÜLLER Ich würde als allererstes, aus dem Bauch heraus sagen: um die fantastische Musik.
MICHAEL VOLLE Es ist eine unglaublich spannende Geschichte über Beziehungen, über Neues, Veränderndes, über das Scheitern. Sehr menschlich. Sehr zeitlos. Und aktuell.
DAVID BUTT PHILIP Anders als bei anderen Wagner-Opern geht es um Kunst, die Notwendigkeit des Fortschritts und um Menschlichkeit. Es kommen echte Menschen vor, in echten Lebenssituationen und im Erleben echter Erfahrungen. Keine Götter, keine Gespenster, keine Monster. 

Die Meistersinger waren als Komödie gedacht, herausgekommen ist aber sicherlich kein reines Lachtheater. Wie komödiantisch sehen Sie das Werk?
HM Fast ein Drama mit Augenzwinkern. Und eine Gratwanderung zwischen Komik und größtem Ernst.
DBP Rein technisch handelt es sich eher um eine Komödie, vieles in dem Werk ist hell und warm. Und echt.
MV Es ist alles drin. Der liebe Kollege Georg Zeppenfeld meinte: Wenn man die Komik nicht herausarbeitet, dann hat man sein Ziel auch verfehlt. Es ist also viel Komisches in der Oper, etwa in der Meistersitzung, aber es sind mitunter auch Kleinigkeiten. Wenn Eva zu Sachs in die Schusterstube kommt und wissen möchte, wie es um den Stolzing steht, zunächst aber das Theater mit dem drückenden Schuh veranstaltet ist das saukomisch! Dann aber geht es gleich wieder in die tiefste Melancholie.

Hans Sachs ist für viele eine Idealfigur, als Denker und Künstler. Er hat aber auch seine Schattenseiten, wenn man genau hinschaut.
HM Sachs ist wie jeder echte Mensch, er trägt alles in sich. Und ich würde behaupten, dass all das auch in der Oper aufblitzt, zumindest, wenn man es sehen möchte. Ausschließlich und nur positiv erscheint er mir nicht.
MV Er ist durchaus sehr menschlich in seiner Enttäuschung, Eifersucht und Hinterfotzigkeit. Wie er Beckmesser auflaufen lässt, das ist absolut berechnend. Im ersten Teil ist Beckmesser absolut souverän, da geht es um Regeln, wenn er sich auf das schlüpfrige Gebiet von Emotionen und Liebeserklärungen begibt, da loost er derartig ab! Sachs könnte das steuern, helfen, ihn anleiten. Das tut er aber nicht, weil er ja will, dass Beckmesser verliert. Das ist eine dunkle Seite. Aber wie Hanna-Elisabeth sagt: jeder von uns hat alle Schattierungen. Es gibt keine Heiligen.

Hat auch Walther seine dunklen Seiten?
DBP Man erlebt in dieser Produktion so etwas wie einen Charakterbogen Walthers, wenn er etwa im 2. Akt an dem Trauma leidet, das die Meister im 1. Akt bei ihm ausgelöst haben. Und er Zweifel hat, ob er ein Künstler ist und Eva gewinnen kann. Wird er jemals akzeptiert werden? Da ist einiges an Dunkelheit. Aber in großen Teilen des 1. und des 3. Akts wird er als die positive Kraft dargestellt.

Und ist er ein einfacherer Charakter als Sachs?
DBP In der Struktur des Stücks ist Walther ein idealistischer Charakter, durch den Sachs Frieden und Erfüllung in seinen künstlerischen Zielen sowie Erleuchtung findet. Ich weiß nicht, ob er ein einfacherer Charakter ist, man sieht nicht so viele Seiten von ihm, das bedeutet aber nicht, dass sie nicht existieren. Jedenfalls muss man ihn mit viel charakterlicher Tiefe spielen. Man sieht bei Sachs freilich größere Tiefe als bei allen anderen Figuren. Aber das betrifft alle Figuren der gesamten Opernliteratur. Man könnte sagen, dass Sachs die vielleicht vielschichtigste Abbildung einer menschlichen Persönlichkeit in der Oper schlechthin ist. 

Nun ist das Verhältnis zwischen Sachs und Eva ein besonderes. Es schwingt ja sehr vieles mit. Empfinden da beide Seiten gleich?
MV Diese Frage öffnet den Blick auf einen ganz wichtigen Aspekt, der diese Rolle zu einer der größten macht, auch darstellerisch. Wenn Walther nicht gekommen wäre, wären Eva und Sachs ein Paar. Durchaus. Egal wie groß der Altersunterschied ist. Er kapiert ja erst im Verlauf des 2. Aktes im Duett mit Eva, was da so läuft. Und da hat er sehr zu schlucken.

Würde er, wenn es Walther nicht gäbe, vielleicht sogar beim Wettsingen um Eva antreten?
HM Ich gehe stark davon aus, jedenfalls wäre ich sehr enttäuscht, wenn es nicht so wäre. Es ist ein komplexes und schwieriges Verhältnis. Denn eigentlich fehlt die Vaterfigur in dem Stück. Pogner ist das ja nicht, zumindest emotional nicht. Also wird Sachs im Heranwachsen von Eva immer wichtiger, fast ein Ersatzvater, der die erste Anlaufstelle für all ihre Fragen darstellt. Auch was emotionale Themen betrifft. Sicherlich war daher ihr erster Gedanke, als sie von diesem Wettsingen erfuhr: Hoffentlich tritt Sachs an! Er ist ihr lieber als Beckmesser oder ein anderer. Sie liebt ihn auf eine gewisse Weise, daher fällt ihr der Abschied ja auch so schwer.
MV In der Schusterstube, vor dem Quintett, wenn sie singt »Oh Sachs, mein Freund…«, da verreißt es mich jedes Mal und ich könnte losheulen, weil es so schön ist. Er verliert da sehr viel, und ist danach auch nicht mehr der unangefochtene Meister des Gesangs. Weil da etwas Neues, Überwältigendes kommt. Das will er ja auch, aber leicht ist es für ihn nicht.

Ist Walther eine jüngere Version von Sachs?
DBP Nein, das denke ich nicht. Sachs sieht in Walther eine Art der Reinheit des Geistes und eine künstlerische Begabung, die er auch in sich erkennt. Natürlich erforschen sie den jeweilig anderen Charakter in Beziehung zu sich selbst. Aber es ist wichtig zu beachten, dass Walthers Background anders ist. In einem modernen Kontext sehen wir es vielleicht ein bisschen problematisch, dass Walther ein Adeliger ist statt aus der Arbeiterklasse zu kommen, wie die anderen in Meistersinger. Ich verstehe natürlich, warum es aus der Sicht des 19. Jahrhunderts so gemacht wurde. Aber heute wäre es für uns befriedigender, wenn es umgekehrt wäre. Wenn Walther der Arme wäre, der sich durch Dichtung ausdrückt.

Wie wird es nach dem Wettsingen weitergehen? Bleiben Walther und Eva in Nürnberg?
MV Ich glaube das nicht. Denn alles, was dort so verkrustet und alt ist, wird sich nicht sofort ändern.
DBP Das ist natürlich immer eine Interpretation. In meiner Vorstellung leben sie glücklich, bis dass der Tod sie scheidet – allerdings nicht in Nürnberg. Das Ende kann man zweideutig sehen. Ist das Ringen von Sachs vorbei? Sind die Fragen, die er am Ende aufwirft, wichtiger als der Rest der Oper? Mein erster Meistersinger-Kontakt war als Chorist und dabei erlebte ich am Ende ein außerordentliches Glück seitens des Publikums wie auch der Darsteller. Und für mich ist es das, was das Ende definiert.

Träten Sachs und Stolzing gegeneinander an: würde das Volk sich vielleicht sogar für Walther entscheiden, weil er eben so überwältigend und neu ist?
MV Das ist eine Hypothese, aber sie trifft zu. Das Volk ist ja auf Walthers Seite. Wenn der seine Schmalzlocken wirft, bleibt kein Auge trocken. Aber wenn es so wäre, müsste Sachs Nürnberg verlassen. Diese Niederlage wäre zu verheerend.

Wie geht Eva mit all dem um? Sie hat sich womöglich mit dieser seltsamen, starren Gesellschaft, die sie als Preis ausschreibt, abgefunden. Und dann kommt etwas ganz Unerwartetes. Öffnet sich etwas in ihr, auch im Sinne einer neuen Lebenssicht?
HM Das kann ich mit großer Sicherheit bejahen. Sie verlieben sich ja ineinander, bevor Walther von dem Wettbewerb erfährt. Alleine sein Auftauchen vervielfacht die Geschwindigkeit ihres Erwachsenwerdens. Wir alle kennen das, dass im Zustand des Verliebtseins Entscheidungen ganz klar und schnell gefällt werden. Plötzlich ist da ein neuer Beginn. Und genauso geht es Eva. 

Walther liebt Eva. Liebt Eva Walther auch, oder ist er nur ein Ausweg aus der engen Meistergesellschaft?
DBP Beides ist möglich. Es stimmt sicherlich, dass Walther für sie einen Weg nach außen bietet. Aber ich denke dennoch, dass sie ihn liebt, sie zeigt ihre Gefühle ja sehr deutlich. Es ist nichts Zynisches an der Sache.

Was ist die »Funktion« der Eva? Ist sie nicht nur ein Anlass, die Geschichte in Schwung zu bringen?
HM Anfangs ist Eva nur eine Marionette, sie ist ein wohlerzogenes Kind, das als Preis vergeben werden soll. Auch, damit Pogner seinen Einfluss behalten und weiterhin ein wenig mitmischen kann. Aber wider Erwarten entwickelt sie sich und bietet Paroli – und kehrt dem Ganzen den Rücken. Diese Entwicklung ist eine spannende. Und man darf nicht vergessen, dass Eva vieles von Sachs gelernt hat. Er hat ihr sein Wissen mitgeben – und das steckt sie alles in diese kleine Arie rein, diese Ansprache an Sachs. In einem gewissen Sinne wird sie zu einer »Meistersingerin«, wie Philippe Jordan meinte. Letztlich ist sie jene Figur, die »unwichtig« scheint, der aber das gelingt, was so schwer ist: Die Regeln der Kunst und die Emotionen miteinander zu verknüpfen, und das mit Einfachheit und Ehrlichkeit.

Ist am Ende Sachs Geschichte? Sind Eva und Walther wie in der Zauberflöte das neue Paar?
HM Man könnte hier durchaus Parallelen finden, aber lassen wir das Märchen lieber bei Pamina und Tamino…
DBP Ich finde, dass das eine schöne Parallele ist. Für mich werden Eva und Walther als ein romantisches archetypisches Paar gezeigt. Sie verlieben sich auf den ersten Blick, dann gibt es Widerstände zu überwinden. Für mich persönlich ist es hilfreich, das einfach so zu belassen.

Und wen halten Sie letztlich für den größeren Künstler?
DBP Das ist die falsche Frage! Sachs ist der größere Philosoph und der größere Handwerker. Aber die Hauptsache ist die große Menschlichkeit in dem Stück, dass Sachs sich entscheidet und auf die Liebe zu Eva verzichtet – für den jungen Mann, den sie ehrlich liebt.
HM Ich finde, man merkt in der Oper, dass Sachs mehrschichtiger ist als Walther. Der ist unbekümmerter und mehr so drauflos. Er sprüht vor Enthusiasmus, ist stolz und ein Kämpfer. Sachs hingegen ist, schon von Beginn der Oper an, vom Leben gezeichnet. Das ist eine zerbrechlichere Basis. Und daher vielleicht in einigen Momenten berührender.

Der Hans Sachs ist eine Ihrer Leibrollen, eine Lebensrolle – und umgekehrt gelten Sie als die Idealverkörperung dieser Figur. Sie sangen aber auch schon den Beckmesser, kennen also diese Oper aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Gibt es für Sie dennoch etwas Neues zu entdecken?
MV Dieses Stück ist so komplex, so groß in Quantität, aber auch so vielschichtig, dass man wirklich, wenn man genau zuhört, stets Neues entdecken kann. Aber auch der Regisseur Keith Warner, der einen ganz eigenen Zugang schafft, hat mir nochmal ganz neue Seiten des Sachs-Charakters eröffnet. Er erzählt viel von der persönlichen Seite Sachsens, es ist nichts Ausgetretenes, Altes, was er zeigt, sondern wirklich Spannendes. Wie Warner Wagner kennt, wie er sich auskennt – ich bin restlos begeistert. 

Eine der Herausforderungen, nicht nur für Sachs, ist die Länge der Oper.
DBP Für mich als Nicht-Muttersprachler ist der Text eine echte Herausforderung. Der Walther ist von der Wortanzahl her doppelt so lang, wie meine bisher längste Partie: der Lohengrin. Es geht also auch um ein Durchhaltevermögen, und damit meine ich nicht nur das stimmliche. 

Die Schlussansprache des Hans Sachs mit ihrer nationalistischen Aussage – wie geht der Sänger der Partie mit ihr um?
MV Ich erinnere mich, dass Barrie Kosky sein Konzeptionsgespräch zur Meistersinger-Produktion in Bayreuth 2017 mit dem Satz begonnen hat: »Wagner ist nicht verantwortlich für Auschwitz«. Wir wissen, wie die Meistersinger missbraucht wurden. Und man muss höchst wachsam sein und immer im Kopf haben, was Wagner Schreckliches gesagt und geschrieben hat. Übrigens auch andere Komponisten, ich bin schier vom Glauben abgefallen, wie sich mein musikalisch alles überstrahlender Bach über Juden geäußert hat. Das ist nie zu entschuldigen! Aber ich bin sicher, dass ein Mensch, der fehlbar war wie Wagner, dennoch auch Künstler war – und in der Kunst kann ein solcher Rassismus keinen Platz haben. Man darf nie aufhören Wagner zu hinterfragen und die Diskussionen darüber sind enorm wichtig. Wagner hat ja viele bewundert, auch wenn er gegen Meyerbeer und andere gewettert hat, und er nahm wahr, was andere geschaffen haben, auch nicht Deutsche. Hier geht es um Kunst an sich! Daher, wenn ich am Schluss sage, »was deutsch und echt«, dann betone ich das deutsch fast überhaupt nicht, sondern das »echt«. Die Oper spielt ja in Deutschland, wäre der Handlungsort in Frankreich, würde Sachs französische Meisterehre sagen. Es geht also um einen allumfassenden Kunstbegriff, er versucht zu zeigen, welche Verantwortung man als Künstler hat. Damit wendet er sich an Walther, gleichzeitig aber auch an alle.