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Kleine und große Musikdramen

Im Februar finden regelrechte Andreas-Schager-Festspiele in der Staatsoper statt: So hat er gerade neben KS Camilla Nylund und Lidia Baich Solist den Opernball eröffnet. Seit 20. Februar singt er den Tristan, eine der schwersten Wagner-Partien überhaupt und schließlich gibt er noch ein Solistenkonzert, um sich von einer weiteren, ganz anderen Seite zu präsentieren. Schubert, Schumann, Operette und Heldenfach – abwechslungsreicher geht es kaum.


Superlative sind bei Ihnen eigentlich die Regel. Auch bei Ihrem Solistenkonzert machen Sie keine Ausnahme – Schuberts Schöne Müllerin gilt für viele Interpreten bereits als vollständiger Liederabend. Bei Ihnen folgt aber noch der komplette Dichterliebe-Zyklus von Schumann und dann vermutlich noch eine Reihe von Zugaben.

ANDREAS SCHAGER Diese knappe Stunde, die die Müllerin dauert, ist mir einfach ein bisschen zu wenig. Ich möchte gemeinsam mit dem Publikum mehr Zeit mit wunderbarer Musik verbringen. Und da die beiden Zyklen thematisch mit dem stetigen Auf und Ab der Liebe, aber auch stilistisch hervorragend zusammenpassen, lag es nahe, sie an einem einzigen Abend hintereinander zu bringen. Diese Kombination ist ein langgehegter Wunsch von mir, und nun bin ich sehr glücklich, dass er in Erfüllung geht – noch dazu in der Wiener Staatsoper. Da mein Opernterminplan dicht gefüllt ist, bleibt leider nicht so viel Zeit für Konzerte übrig – umso größere Bedeutung messe ich daher jedem einzelnen Liederabend bei. Nicht zuletzt darum hüte ich mich davor, die einzelnen Programme zu wiederholen, jeder Abend soll ein Unikum sein – für das Publikum wie für mich selbst.


Keine Kleinigkeit, trotz der vielen Opernauftritte und Proben.
ANDREAS SCHAGER Sie halten frisch und kreativ. (lacht) In Wahrheit handelt es sich immer wieder um eine Rückkehr zu dem, was ich ursprünglich studiert habe: Lied und Oratorium – auf die Opernbühne hat es mich dann eigentlich eher zufällig verschlagen. Ich durfte jedenfalls mit Walter Moore an der Musikuniversität einen gewaltigen Überblick über das Liedrepertoire erarbeiten – quer durch alle Epochen, Stile, Sprachen. Davon zehre ich bis heute.


Die Musik Schuberts lässt sich aus sehr entgegengesetzten Perspektiven lesen: Manche suchen bei ihm das psychologisch Tiefzerfurchte, das schmerzhaft-dunkel Verborgene. Andere sehen in ihm den facettenreichen Wiener Biedermeierkomponisten...

ANDREAS SCHAGER Mir liegt er einfach besonders nahe am Herzen. Ich kann es nicht anders beschreiben. Schubert konnte sich mehr als andere durch das Wort ausdrücken und hat Kleinode erschaffen, die im Grunde lauter kleine Musikdramen darstellen. Lyrik, Trauer, Tragik, Hoffnung, Verzweiflung – alles, was ein großer Opernabend braucht, ist in jedem seiner Lieder und seinen Zyklen vorhanden. Zudem wusste Schubert exakt, wie eine Stimme funktioniert und wie ihre Möglichkeiten auszureizen sind. Ähnliches gilt natürlich auch für Schumann. Wie gesagt: Die Kombination der Müllerin mit der Dichterliebe ist ungemein spannend! 


So wie der »Lindenbaum« in der Winterreise wird das letzte Lied in der Müllerin, »Baches Wiegen- lied«, oft als verstecktes Selbstmordlied gedeutet. Hat sich der unglücklich liebende Müllersbursch ertränkt?

ANDREAS SCHAGER Man könnte es als einen Rückblick aus dem Jenseits verstehen. Aber ich glaube, dass ich das als Interpret nicht wissen muss. Jede und jeder der zuhört, kann sich selbst einen Reim drauf machen. Ich verstehe mich als Medium von Welten und Atmosphären, die ich an andere weitergebe.


Bei Ihrem Solistenkonzert wird Sie Helge Dorsch begleiten. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

ANDREAS SCHAGER Helge kannte mich schon, als mich noch niemand kannte. Er war eine sehr maßgebliche Größe in Erl, wo ich nach meiner Operettenlaufbahn erstmals als Wagnersänger reüssieren konnte. Seither sind wir regelmäßig in Kontakt. Er ist ein fabelhafter Pianist, versteht ungemein viel von Stimmen und spricht inklusive Türkisch, Chinesisch und Russisch fast zehn Sprachen. Mindestens einmal im Jahr ziehe ich drei, vier Tage zu ihm, um ganz intensiv an diversen Partien zu arbeiten. Was ich mit ihm einstudiere, das sitzt felsenfest – so etwa seinerzeit der Menelas in der Ägyptischen Helena, den ich unter Franz Welser-Möst an der Mailänder Scala geben durfte.


Nur wenige Tage vor dem Liederabend singen Sie die letzte Tristan und Isolde-Vorstellung der aktuellen Serie. Wie geht das, dieses schnelle Umschalten von einer der schwersten Heldenpartien auf die intime Gattung des Lied-Gesanges?

ANDREAS SCHAGER Wer sich die Partie des Tristan genau anschaut, genau liest, was Wagner in die Partitur geschrieben hat, wird erkennen, dass 80% in Piano und Pianissimo zu singen sind. Da ist so viel Lyrik und Innerlichkeit gefragt – denken wir nur an das »Dünkt dich das? Ich weiß es anders« im dritten Aufzug: Das gehört geradezu gehaucht, es wäre ganz falsch, hier mit viel Dezibel protzen zu wollen. Natürlich entwickeln sich daraus dann die Forte-Passagen mit den großen Orchesterwogen, aber das sind nur die Eruptionen. So weit weg vom Liedgesang ist man beim Tristan also nicht.


Alles, womit man sich beschäftigt, verändert einen. Was war für Sie neu an der aktuellen-Tristan-Produktion, was haben Sie in Ihr (Künstler)-Leben mitgenommen?

ANDREAS SCHAGER Diesen ganz speziellen psychologischen Zugang von Regisseur Calixto Bieito. Genau genommen ist die gesamte Oper nur ein Dialog – um zum Kern der eigentlichen Tragödie vorzudringen, bedarf es der Psychologie. Und darin zeigt sich Bieito als Meister. Es war, als ob er Tristan auf die Couch von Sigmund Freud gelegt hätte. All diese Bilder, angefangen von den Schaukeln, den Kindern mit den verbundenen Augen bis zu den nackten Menschen, die Tristan mit sei- nem Blut tränkt – das sind auf die Szene gestellte Angstträume, mit denen jeder Psychologe seine Freude hätte. Bieito lässt auf diese Weise ganz tief in die Seele und Psyche von Tristan blicken. Wie großartig die Idee, die beiden Liebenden im zweiten Aufzug in unterschiedlichen (See- len)-Räumen zu positionieren, die sie dann im Liebesduett zerstören, um zueinander zu gelan- gen. Wer bereit ist, sich auf diese starken Bilder einzulassen, wird einen unfassbar ergreifenden Abend erleben.


Von Schuberts Kenntnis der Singstimme sprachen wir schon. Aber wer von den Opernkomponisten konnte in Ihrem Fach besonders gut für die Stimme schreiben?

ANDREAS SCHAGER Für mich ist es Richard Wagner. Als ich in diese Welt eingetaucht bin und meine ersten Wagner-Rollen studiert habe, merkte ich, dass ich vokal einfach nicht ermüde. Es wird manche vielleicht überraschen, aber von den stimmlichen Herausforderungen her besteht eine große Ähnlichkeit zu Johann Strauß, insbesondere zu dessen »Zigeuner«baron. Nachdem ich meinen ersten Siegfried angeboten bekam, habe ich natürlich die Noten durchgeblättert, die Seiten gezählt, die Tessitura angeschaut – und verblüfft nicht nur besagte Ähnlichkeit festgestellt, sondern auch, dass die Partie des Siegfried genau doppelt so lang ist wie die des Barinkay im »Zigeuner«baron. Und da ich in meiner Operettenzeit oft Doppelvorstellungen des »Zigeuner«baron an einem Tag absolviert hatte, wusste ich, dass ich, von der Ausdauer her auch den Siegfried schaffen würde. Also habe ich zugesagt.


Ihre Operettenlaufbahn war also eine gute Ausgangsbasis.

ANDREAS SCHAGER Sie hat mich tatsächlich viel gelehrt und deshalb bin ich meiner frühen Karriere als Operettensänger sehr dankbar. Bis heute profitierte ich davon. Da ist einerseits die Sprachbehandlung – schließlich soll das Publikum jedem Wort folgen können, sowie andererseits die Fähigkeit, auf der Bühne auch in den schwierigsten Momenten eine natürliche Selbstverständlichkeit, eine Lockerheit zu bewahren. Meine Erfahrungen aus der Operette erlauben mir, dass ich mich in all den heldischen Partien, also den großen, schweren Wagner- und Strauss-Rollen, sofort freispielen kann, um auch das nötige spielerische, komödiantische Element einzubringen. Und ich bin tatsächlich direkt von der Operette ins Wagner-Fach hinübergewechselt, was sich im Nachhinein als goldrichtig erwiesen hat. Dazu eine kleine Anekdote: 2013 wollte man an der römischen Oper Rienzi aufführen – eine der seltensten aufgeführten Wagner-Werke überhaupt, da es kaum Tenöre gibt, die die extrem herausfordernde Titelpartie beherrschen. Als man den Dirigenten Stefan Soltesz fragte, mit wem man diese Partie besetzen könnte, soll er gesagt haben: »Bringt mir irgendeinen Operettentenor«.


TRISTAN UND ISOLDE
20. / 23. / 26. Februar 2023
Musikalische Leitung Philippe Jordan
Inszenierung Calixto Bieito
Bühne Rebecca Ringst
Kostüme Ingo Krügler
Licht Michael Bauer
Mit u.a. Andreas Schager / Christof Fischesser / Nina Stemme / Iain Paterson /
Christa Mayer / Attila Mokus / Daniel Jenz / Jusung Gabriel Park / Hiroshi Amako


SOLISTENKONZERT 28. Februar 2023