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Spätestens seit den 1960er-Jahren leben Sängerinnen und Sänger im Grunde eine moderne Form des Nomadentums. Heute ein Auftritt da, morgen dort, Städte, Länder, Kontinente werden – entsprechend den Engagements – kurzfristig angesteuert oder wieder verlassen. Und da mittlerweile selbst Ensemblemitgliedschaften an Opernhäusern selten mehr als eine Handvoll Jahre umfassen, sind sogar feste Wohnsitze einem regelmäßig-unregelmäßigen Wechsel unterworfen. Manche leiden unter diesem ständigen Hin und Her, anderen erscheint gerade die unentwegte örtliche Unbeständigkeit reizvoll-anregend. Der junge Bariton Stefan Astakhov beispielsweise empfindet dieses obligate Kennenlernen neuer Orte, Gegenden, Kulturen und vor allem Menschen als ungeheuer inspirierend und dementsprechend wichtig für seinen beruflichen Reifungsprozess. Das möglichst breit aufgestellte Sammeln von Lebenserfahrungen erkennt er geradezu als Grundbedingung einer fortwährenden künstlerischen Weiterentwicklung: Ob während seiner Tätigkeit auf den Bühnen der Welt, ob beim Erarbeiten neuer Werke und der Vertiefung des bereits erarbeiteten Repertoires oder eben durch die dauernde Reisetätigkeit – keine Horizonterweiterung, die sich nicht positiv auf sein Sängerdasein auswirken würde. Stefan Astakhov weiß trotz seiner Jugend bereits aus eigenen Erfahrungen wovon er spricht. Aber er wusste es schon vor Beginn seiner Laufbahn, da Astakhov in die Welt der Musik im wahrsten Sinn des Wortes hineingeboren wurde. Die Mutter Dirigentin, der Vater ebenfalls Sänger: In so einem Umfeld lernt man zwangsläufig alle Licht- und Schattenseiten dieses besonderen Metiers kennen – und wird entweder abgeschreckt oder »infiziert« in größtem Maße begeistert. Bei Astakhov war es Letzteres. Geboren in Moskau, kam er aufgrund eines Fixengagements seines Vaters nach Leipzig gemeinsam mit der Familie schon mit zehn Jahren in eine für ihn damals vollkommen neue Umgebung, deren unbekannte Mentalität und Sprache er wissbegierig aufsog.

Die nötige Kontinuität gewährte ihm sicher das tägliche Üben des Vaters, die Auftritte beider Eltern, die anregenden Gespräche über Komponisten, Kollegen, Produktionen und vor allem die eigene musikalische Beschäftigung. Als hochbegabt erkannt, war er nämlich schon 2002 mit vier Jahren an eine Spezialmusikschule gekommen, an der er einerseits Geigen- und andererseits Gesangsunterricht erhielt. Im selben Jahr absolvierte er darüber hinaus bereits einen ersten Konzertauftritt – am Programm stand nichts Geringeres als die Arie des Gremin aus Eugen Onegin.

Freilich, von der Liebe des alten Fürsten verstand Stefan Astakhov damals wohl wenig und von einer profunden Bass-Stimme konnte er mit seinem Kindersopran kaum weiter entfernt sein, aber es war ein Anfang, ein erstes Debüt und eine erste Erfahrung in der Begegnung mit dem Publikum. Mehr noch: Der Vierjährige hatte Blut geleckt und seither keinen Tag ausgelassen ohne sich (freiwillig!) musikalisch zu betätigen. Selbst in den von ihm als »schwierige Zeit« bezeichneten Pubertätsjahren, »in denen man praktisch zu kaum etwas Lust hat«, blieb er den Noten treu. Wenn auch auf Grund des unerwartet frühen Stimmbruchs der Gesang eine Pause einzulegen hatte (und eine bereits als sicher angesehene Aufnahme in den Thomanerchor fallen gelassen werden musste), so konnte dafür die instrumentale Betätigung forciert werden. Zur erwähnten Geige kamen das Cello und das Klavier hinzu. Insbesondere die Unterweisungen durch einen Jazz-Pianisten und das gemeinsame Improvisieren festigten das musikalische Fundament Stefan Astakhovs zusätzlich. Vielleicht liebäugelte er in diesen Jahren kurz einmal mit dem Gedanken, es später auch mit der Medizin zu versuchen, doch spätestens nachdem die Mutanten-Phase beendet war  und das Vokale wieder in den Vordergrund trat, war jeder Zweifel beseitigt: Das Konzertpodium, die Opernbühne musste es sein!

Von beiden Eltern unterstützt und gecoacht ging es Schritt für Schritt bergauf, Wettbewerbspreise wurden gewonnen, Meisterklassen bei namhaften Sängerinnen und Sängern absolviert und erste Erfolge als professioneller Sänger auf unterschiedlichen Bühnen in Europa errungen. Ein kleiner familiärer Höhepunkt dürfte wohl 2018 ein gemeinsames Auftreten von Vater und Sohn in einer Billy Budd-Produktion am Prager Nationaltheater gewesen sein: Der Senior (Bass) als Dansker und der Junior (Bariton) als Bosun – sicher mehr als nur eine schöne Erinnerung.

Seit September 2020 ist Stefan Astakhov in Wien stationiert und jüngstes Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper, in der er weiter perfektioniert und behutsam an die unterschiedlichen Herausforderungen der internationalen Opernwelt herangeführt wird. Als Yamadori in der Madama Butterfly-Neuinszenierung wirkte er immerhin schon bei der allerersten Premiere der letzten Spielzeit mit, ebenso in der besonders herausfordernden Partie »Nummer Vier« in der Premiere und Staatsopernerstaufführung von Henzes Verratenem Meer. Eine Produktion die Corona-bedingt zunächst zwar nur via Stream zu verfolgen war, die aber nun im September erstmals auch vor einem live anwesenden Publikum über die Bühne gehen wird (natürlich wieder mit Stefan Astakhov).

Dass für einen derartig offenen und zugleich wissbegierigen Künstler auf die Frage nach Wunschkomponisten, Wunschstilen und -werken keine wie immer geartete einschränkende Antwort folgt, versteht sich von selbst. Deutsches, italienisches, französisches, slawisches, englisches Fach, 17. bis 21. Jahrhundert ebenso wie Zeitgenössisches – alles wird von ihm mit derselben interessierten Spannung erwartet und erhofft. Ohne Ausnahme. Zugleich betreibt Stefan Astakhov intensive Interpretationsanalysen, vergleicht Unmengen an Aufnahmen und besucht so viele Vorstellungen und Konzerte wie nur irgendwie möglich. Ganz gleich ob eine Opernrolle oder etwa eine Winterreise, nichts wird von ihm nur beiläufig wahrgenommen oder die Auseinandersetzung auf später verschoben. Auf der anderen Seite schmiedet Astakhov keinerlei konkrete Pläne, was seine Zukunft betrifft. Dass er möglicher Weise viel herumkommen wird, erfüllt ihn – siehe oben – jetzt schon mit Freude. Aber wann ihn welcher Weg wohin führt, darüber macht er sich keine unn.tigen oder gar ehrgeizigen Gedanken. Hauptsache er bleibt der Musik treu und die Musik ihm, denn bei allem Nomadentum: eine Heimat möchte er nie verlassen – die Bühne.