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© Sebastien Galtier

Hans van Manen 90

»Hans van Manen ist ein Meister darin, die Ordnung in Frage zu stellen und uns in der Grenzüberschreitung eine neue, unbekannte Schönheit zu zeigen.« Angela Reinhardt

Am 11. Juli 2022 feiert Hans van Manen seinen 90. Geburtstag – und das Wiener Staatsballett ehrte den großen niederländischen Künstler zum Saisonschluss mit Aufführungen dreier Werke und einem Gastspiel in Amsterdam: Zum vorerst letzten Mal stand Hans van Manens Videoballett Live in der Wiener Staatsoper am Spielplan, in der Volksoper Wien folgten im Rahmen der Premiere Kontrapunkte die Four Schumann Pieces als Österreichische Erstaufführung, mit denen das Wiener Staatsballett auch beim Hans van Manen-Festival von Het Nationale Ballet in Amsterdam zu Gast war. In der Nurejew-Gala präsentierten die Studierenden der Ballettakademie sein Unisono.

Es gab schon viele Versuche, Hans van Manen in eine Schublade einzuordnen. Mit seiner zeitlosen Ästhetik, die von einer solch reinen Einfachheit durchdrungen ist, seinem sparsamen und doch zugleich unendlich reichen Repertoire an Gesten, Schritten und den Raum gliedernden Formen gilt er als Meister des Purismus und wurde immer wieder mit Schlagworten belegt wie »Piet Mondrian des Tanzes« oder »Ingenieur der Tanzkunst«. Sein Stil ist unverkennbar und einzigartig. Und doch ist sein Schaffen so unerschöpflich, dass man bei jedem Werk wieder staunend davorsteht, um diese Kunst zu verstehen, diesen äußerst kreativen Kopf zu enträtseln. Bequem machen kann man es sich in Hans van Manens Balletten nie, denn selbst in seinen weicheren, in makellose Formen gegossenen Arbeiten kommt der Tanz nie gezähmt daher, sondern lässt sich nichts vormachen, ist helle und hellhörig.

Zunächst war Hans van Manen alles andere als der »Zeitgenosse als Klassiker«, wie es Jochen Schmidt in seinem immer noch grundlegenden Buch über den Tanzschöpfer formulierte: Mit Metaforen war er 1965 vielmehr der erste, der es wagte, zwei sich zugeneigte Männer einen Pas de deux tanzen zu lassen. In Twilight, mit dem der damalige Ballettdirektor Gerhard Brunner zusammen mit Adagio Hammerklavier Hans van Manen 1977 ins Repertoire des Balletts der Wiener Staatsoper brachte, tanzte 1972 erstmals eine Frau in High Heels Ballett, in Fünf Tangos interpretierten 1977 erstmals Balletttänzer Tango-Musik von Astor Piazzolla, in Live kreierte Hans van Manen erstmals einen Pas de deux zwischen einer Tänzerin und einer Live-Kamera – und damit ein raffiniertes Vexierspiel über die Wahrnehmung. In seinen Balletten begegnen sich Frauen und Männer auf Augenhöhe, gleichberechtigt und emanzipiert, all seine Ballette sind in sich geschlossene Universen, in denen die Tänzerinnen und Tänzer nie den Augenkontakt mit dem Publikum suchen, um sich zu präsentieren. Und nur ganz wenige, darunter die Frank Bridge Variations, finden zu einem Happy End.

Hans van Manen hat mit seinem Schaffen das Ballett verändert und ist ihm doch treu geblieben. »Ich mache keine Experimente, sondern Ballette«, hat er einmal gesagt, und ein andermal: »Tanz handelt von Tanz und von nichts anderem«. In der Tat hat er in seinen Werken nie das Theater Überhand gewinnen lassen und doch zählt dieser oft zitierte Aphorismus zu jenen Aussagen des Niederländers, die am häufigsten fehlinterpretiert wurden. »Was ich mit diesem Statement aufzeigen wollte, war, dass Tanz eine in sich einzigartige Sprache ist«, hält Hans van Manen seinen Auslegern entgegen. »Er sollte die gleiche expressive Kraft haben wie Musik. Es geht mir nicht darum, die Emotionen aus meinem Werk auszuklammern.« Wie ihm dies gelingt, zeigen auch seine vom Wiener Staatsballett nun neu einstudierten Four Schumann Pieces – eines der wenigen Werke, die nicht für das Nederlands Dans Theater oder Het Nationale Ballet, mit denen Hans van Manen eine fast lebenslange Partnerschaft eingegangen ist, entstanden, sondern 1975 für das Londoner Royal Ballet und u.a. von Stars wie Anthony Dowell, aber auch Rudolf Nurejew interpretiert wurden: Mühelos kontrapunktiert Hans van Manen hier eine einfache, dem Alltagsvokabular abgeschaute Gestik mit einer hochvirtuosen Phrasierung des Unterkörpers, um die inneren Emotionen eines Mannes sichtbar werden zu lassen.

Im Repertoire des Wiener Staatsballetts haben Hans van Manens Werke seit 1977 ihren festen Platz: Auf Adagio Hammerklavier und Twilight folgten Einstudierungen von Five Tangos, Grand Trio, Lieder ohne Worte, Große Fuge, Bits and Pieces, Black Cake, Solo und Trois Gnossiennes – eine Werkreihe, die unter der Direktion von Martin Schläpfer nun ihre Fortsetzung findet, ist für diesen Hans van Manen doch nicht nur einer der prägendsten Tanzschöpfer der Gegenwart, sondern ein enger Weggefährte, Berater, Kritiker – und Freund. So hat Martin Schläpfer nicht nur seine vorherigen Ensembles, das Berner Ballett, das ballettmainz und zuletzt das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg zu bedeutenden van Manen-Pflegestätten außerhalb der Niederlande gemacht und auch eine ganze Reihe von Werken erstaufgeführt, sondern zweimal ist er – nachdem er seine Tänzerkarriere längst beendet hatte – auf Wunsch von Hans van Manen auch auf die Bühne zurückgekehrt: 2012 tanzte er den Pas de deux The Old Man and Me, 2014 schuf Hans van Manen für Martin Schläpfer sein bislang letztes Werk, die Uraufführung Alltag. Eine Erfahrung, die Schläpfer mit den Worten umreißt: »Selten habe ich eine solch innige, konzentrierte und beseelte Dichte als Tänzer erlebt.«
 

Wir wünschen Hans van Manen alles Gute zu seinem 90. Geburtstag.

Text: Anne do Paço
Bild: Sebastian Galtier