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© Wiener Staatsoper GmbH / Ashley Taylor

George Balanchine: Visionär der Tanzkunst

Zarte Romantik, Noblesse und Schönheit, aber auch Humor, Coolness und Sexyness: all das versprüht George Balanchines großes abendfüllendes Ballett Jewels, mit dem das Wiener Staatsballett im Oktober auf der Bühne der Wiener Staatsoper in den kostbaren Kostümen der Designerin Karinska zu erleben ist. Auf kongeniale Weise gelang Balanchine eine Vermählung der zauberhaften Atmosphäre der großen romantischen Ballette mit seinem radikal modernen Tanzdenken, sind die Jewels doch nicht zuletzt auch das erste Ballett, das über einen ganzen Abend hinweg ohne Handlung und konkrete Charaktere auskommt. Von nichts anderem als dem Tanz handeln sie und entfalten genau darin ihre mitreißende Sogkraft.


George Balanchine war ein Visionär der Tanzkunst. Wie kaum ein anderer hat er die Ballettgeschichte geprägt und dem klassischen Tanz einen Weg in unsere Zeit gewiesen, indem er den Bogen zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert mit einzigartiger Kraft so weit wie möglich spannte und voller Kühnheit in beide Richtungen schaute. Seine Werke begeistern bis heute mit ihrer Eleganz, Virtuosität, Athletik und Musikalität und schlagen – neben den zur Avantgarde der amerikanischen Nachkriegsmoderne zählenden »Black and White«-Choreographien – immer wieder auch Brücken in die großen Balletttraditionen der Vergangenheit wie die 1967 mit dem New York City Ballet uraufgeführten Jewels. Damals war Balanchine mit seiner längst weltberühmten Compagnie gerade in das neu eröffnete Lincoln Center in Manhattan übergesiedelt, wo er pro Vorstellung mit bis zu 3.000 Zuschauern rechnen konnte. Mit seinen neuen Werken hatte er also auch »Kasse« zu machen, seine einzigartige Kunst verriet er dabei jedoch nie. 

Wie schon öfters zuvor war es auch im Fall der Jewels ein alltägliches Erlebnis, das Balanchine zur Initialzündung wurde: Bei einem Spaziergang soll ihm eine Schaufensterdekoration des renommierten Pariser Juweliers Van Cleef & Arpels, der in der New Yorker Fifth Avenue eine Dependance eröffnet hatte, derart in die Augen gesprungen sein, dass er sich von den leuchtenden Farben der Preziosen zu seinen drei Tanzbildern inspirieren ließ: geprägt vom sanften Grün der Smaragde, tiefen Rot der Rubine und der silbernen Brillanz der Diamanten. Musik von Piotr I. Tschaikowski, Gabriel Fauré und Igor Strawinski zeichnet die drei Hauptstationen des Lebenswegs des amerikanischen Russen georgischer Herkunft nach – vom zaristischen St. Petersburg über Paris, die Metropole der Tanzavantgarde der 1910er und 20er Jahre, in ein New York, das Balanchine mit seiner Kunst zur Ballett-Hauptstadt des 20. Jahrhunderts machte. In den Werken der drei Komponisten fand er den idealen Nährstoff für sein so typisches Musizieren mit dem Körper und Sichtbarmachen musikalischer Strukturen und Architekturen im Raum, zumal mit Tschaikowski und Strawinski gleich zwei der von Balanchine meistgeliebten Musiker das Tanzstück prägen: sie »komponierten Musik, zu der der Körper tanzen kann. Sie erfanden den Boden, auf dem die Tänzer gehen können«, so der Choreograph. 

Im ersten Bild Emeralds taucht Balanchine zu den traumwandlerischen Fin de siècle-Klängen Gabriel Faurés in die verzauberten Welten des frühen romantischen Balletts ein – wie ein Echo auf La Sylphide oder Giselle. Der Kontrast zu Rubies könnte kaum größer sein: zu Strawinskis jazzigem Capriccio für Klavier und Orchester verschränken sich Elemente aus Tango, Jazz- und Stepp-Tanz mit dem Vokabular des klassischen Balletts zu einer modernen Großstadt-Revue. Das Tempo ist hoch, der Tanz voller Virtuosität und Frechheiten. Immer wieder reizen die Frauen mit ihren vorgeschobenen Hüften die Männer – eine Sexyness auf Augenhöhe. Mit Diamonds folgt schließlich zu Tschaikowskis 3. Symphonie ein Blick zurück in die Welt Marius Petipas. Herzstück dieses Teils ist ein in größter Ruhe regelrecht aufblühender Pas de deux, den Balanchine seiner Muse und Ausnahmeballerina Suzanne Farrell damals in den Körper schrieb. Für einen Moment scheint die Welt in diesem großartigen Duo stillzustehen – bevor sich das Finale der Diamonds mit dem gesamten Corps de ballet zu einem imperialen Tanzfest steigert. 

Zur prächtigen Wirkung der Jewels leistete Balanchines enge künstlerische Partnerin Karinska mit ihren Kostümentwürfen einen entscheidenden Beitrag: Um die 23.000 funkelnde Steine und Perlen sowie zahlreiche aufwändige Borten sind in diesen verarbeitet. Während das New York City Ballet immer noch über Karinskas Originale der Uraufführung verfügt, tanzt das Wiener Staatsballett in einer Rekonstruktion, die mit großem Aufwand und unter der strengen Kontrolle von Holly Hynes, Verwalterin von Karinskas Erbe, vom Hamburg Ballett in Auftrag gegeben und dem Wiener Staatsballett dankenswerter Weise als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurde. In seinen drei Bühnenentwürfen hat Peter Harvey quasi die Essenz der drei Edelsteine zu gewaltigen Räumen destilliert, in denen sich unser Blick wie durch eine Linse auf die drei in den Tanzstilen der einzelnen Bilder evozierten vergangenen Epochen fokussiert. Diese treten für die Dauer einer Aufführung mit all ihrem Glanz auch heute noch neu vor unsere Augen und lassen uns erfahren, wie kostbar die so starke und zugleich fragile Ballettkunst sein kann. 

Neben großen Gruppenbildern für das Corps de ballet sind in Jewels zahlreiche anspruchsvolle Soli, Pas de deux und Pas de trois zu erleben, in denen auch neue Mitglieder der Compagnie ihre Debüts geben. Für die fünf Solistinnen und die zahlreichen weiteren, hochvirtuosen Solorollen gestaltenden Tänzer, aber auch das große Corps de ballet fordert Jewels das ganze Können und ein vielfältiges Ausdrucksspektrum der Interpreten und ist damit auch ein Prüfstein für jedes Ensemble. Schaut man in die Aufführungsgeschichte des Werkes, so zeigt sich aber auch, wie sehr Balanchine in der Anlage seiner Rollen den starken Künstlerpersönlichkeiten, die er so sehr liebte, Spielräume ließ. 

Für Martin Schläpfer zählt Balanchine zu den festen Größen des Repertoires: »Balanchine hat dem akademischen Tanz das Gefängnis genommen. Für seine Zeit war er völlig ›outstanding‹ und ist auch heute noch ein Großer, dessen Schaffen in jede Ballettcompagnie gehört«, so der neue Direktor und Chefchoreograph des Wiener Staatsballetts, der nicht nur mit Jewels die Staatsopernsaison eröffnet hat, sondern mit Duo concertant und Symphony in Three Movements auch im weiteren Verlauf der Spielzeit das Wiener Staatsballett als ein Zentrum der Balanchine-Pflege in Europa präsentieren wird.