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© Christof Wagner
Patricia Nolz

Eine, die sich selbst kennengelernt hat

Patricia Nolz, seit zweieinhalb Jahren an der Wiener Staatsoper, singt nach Erfolgen in Don Giovanni oder LʼOrfeo ihre erste Hauptrolle im Haus am Ring: die Rosina in Rossinis Il barbiere di Siviglia. Wie sie mit dem Anforderungsdruck dieser bekannten Partie umgeht, was sie in den letzten 30 Monaten gelernt hat und warum Rosina vor Liebe blind ist, beschreibt sie im nachfolgenden Gespräch.

Im Laufe der letzten zweieinhalb Jahre ist in Ihrem Sängerinnenleben viel geschehen, Sie sangen an der Staatsoper in Premieren- und Repertoire- abenden und gestalten hier mit der Rosina erstmals eine führende Rolle. Ohne Zweifel eine neue Wegmarke.

PATRICIA NOLZ Eine große Wegmarke sogar! Glücklicherweise sang ich im Dezember die Partie in Nancy in einer Neuproduktion mit sechs Vorstellungen, ich habe sie also vor Kurzem gut durchgearbeitet. Sonst wäre es mir womöglich zu heikel gewesen, mit dieser Rolle in einer Repertoirevorstellung – also ohne wochenlange Proben – auf die Staatsopern-Bühne zu treten. Schließlich ist die Rosina meine bisher größte Partie.


Nancy war nicht Ihre erste Begegnung mit dem Barbiere. Wie lange haben Sie sich musikalisch der Rosina angenähert? Ihre große Arie »Una voce poco fa« stand wahrscheinlich in Konzerten immer wieder am Programm?

PATRICIA NOLZ Die Partie studiere ich mit unterschiedlichen Zugängen schon länger. So ist die eben genannte Arie seit Langem Teil meines Vorsingpakets, weil sie für meine Stimme angenehm und gut liegt. Auch war während meines Studiums eine Barbiere-Produktion an der Wiener Musik-Universität geplant, die allerdings aufgrund von Corona nicht stattfinden konnte. Aber immerhin hatte ich die Partie fix und fertig studiert. Letzten März absolvierte ich ein Rosina- Einspringen in der Kammeroper, zwar nur konzertant, doch konnte ich so die Partie komplett und mit Orchester singen. Nicht zu vergessen den Barbier für Kinder an der Staatsoper. Und schließlich Nancy. Das heißt, es war eine wirklich ausführliche Annäherung! Im Endeffekt übe ich die Rosina in einem on/off-Rhythmus seit 2019. Die Zeit ist also überreif!


Noch einmal zu den oben angesprochenen zweieinhalb Jahren: diese waren von einem unglaublich steilen und schnellen Karriereverlauf geprägt...

PATRICIA NOLZ ...was mich stets aufs Neue mit Dankbarkeit und auch Überraschung erfüllt.


Drängt sich zwischen die Dankbarkeit und die Überraschung auch ein Gefühl des Drucks – gerade im Hinblick auf das fulminante Tempo Ihrer Karriere?

PATRICIA NOLZ ... Das muss ich mir schon immer wieder einbauen, also begreifen, dass es so schnell gegangen ist! Und natürlich ist ein Druck da, den ich mir zum Teil selbst mache. Denn wenn ich für eine Rolle engagiert bin, denke ich daran, was ich noch an meinem Gesang, an meiner Interpretation und an meiner Darstellung verbessern muss. Dann aber versuche ich mich herunterzuholen, den Druck herauszunehmen und das Vertrauen zu fassen zu sagen: Ich wurde so engagiert, wie ich bin, also singe ich so, wie ich singe. Dann wird ankommen, was ich zum Ausdruck bringen möchte.


Der Barbiere gilt als eine der ganz großen Komödien der Operngeschichte, doch wie der Premierendirigent Michele Mariotti feststellte, gibt es in der Komödie auch verschattete Momente, wie die »La calunnia«-Arie des Don Basilio. Rossini mischt also Helles und Dunkles zusammen und durchbricht ein Nur-lustig-Schema.

PATRICIA NOLZ Ich glaube, dass richtig gute Komödien, und mit dem Barbier haben wir eindeutig eine solche vorliegen, nur durch das Spiel mit den Abgründen funktionieren. Stücke, die ausschließlich lustig und ausschließlich auf Lacher aus sind, unterhalten zwar kurzfristig, sind jedoch nicht langlebig. Neben der genialen Musik ist einer der Gründe für den anhaltenden Erfolg des Barbiere meiner Meinung nach, dass die Oper verschiedene Töne anschlägt: heitere, aber auch weniger komische. Dieses überaus seltsame Verhältnis zwischen Bartolo und Rosina zum Beispiel – das ist keinesfalls zum Lachen! Oder die Figurenzeichnung des Figaro: man erlebt ihn als Spaßmacher, letzten Endes bleibt er aber, trotz aller Verwobenheit in die Handlung, allein. Mich stimmt das stets ein wenig traurig. Das Schöne also beim Barbier, dass man hier unterschiedliche Seiten der Charaktere und Beziehungen herausarbeiten und die Komik über die menschlichen Abgründe geschehen lassen kann.


Blenden wir die aktuelle Staatsopern-Produktion und auch alle anderen Interpretationen erst einmal aus. Wenn Sie die Rosina ganz aus Ihrer persönlichen Sicht beschreiben, was sind die wesentlichen Merkmale dieser Figur? Wie sieht der Charakter aus?

PATRICIA NOLZ Rosina ist ein pubertierendes Mädel auf dem Weg zu Frau, das nichts mit seiner Energie anzufangen weiß. Und sie ist zum ersten Mal verliebt, eingesperrt, ohne Lebenserfahrung und vor allem ohne Kontakt zu anderen Menschen. Vom Grundcharakter her ist sie lebendig, humorvoll, neugierig und voller Lebenshunger, kann dies jedoch nicht ausleben. So schaukeln sich ihre Emotionen hoch und kanalisieren sich, bedingt durch die Isolation, in Extreme. In einen extremen Trotz gegenüber Bartolo, in eine extreme Vertrautheit zu Figaro und in extreme Verliebtheitsgefühle zum Grafen.


Und dennoch ist sie nicht ganz unbedacht. Sie liebt den – vermeintlich armen – Lindoro, der in Wahrheit ein reicher Graf ist, erkundigt sich aber zunächst genau nach dessen Stand und Status. Rosina ist also nicht einfach nur verknallt, sondern möchte mehr über ihr Gegenüber wissen.

PATRICIA NOLZ Das auf alle Fälle. Wobei ich ihr kein Kalkulieren in Bezug auf einen möglichen Aufstieg in einen höheren Stand vorwerfen würde – sie glaubt ja wirklich an den »armen« Lindoro und weiß nicht, dass der Graf ihr die Armut nur vorspielt. Die eigentliche Motivation dahinter ist, dass Rosina aus ihren bestehenden Verhältnissen heraus will und nun in Lindoro eine Gelegenheit erblickt. Sie möchte in keinen höheren Stand hinein-, sondern aus den bestehenden Umständen herausheiraten. Einfach nicht mehr unfrei sein.


In der Vorlage von Beaumarchais, die Rossinis Librettist Sterbini heranzog, fehlt das Duett »Dunque io son«, indem Rosina als gerissen, ja sogar gerissener als Figaro gezeigt wird. Auch ein schöner Aspekt der Rolle!

PATRICIA NOLZ Das finde ich auch! Sie ist immer einen Schritt voraus. Selbst Figaro bemerkt und respektiert das.Rosina zeigt stets,d ass sie ein Stück cleverer ist als die anderen. Dadurch entstehen für mich im Spiel immer ein paar tolle Momente.


Operngeher wissen, wie die Geschichte weitergehen wird, man erlebt die Fortsetzung in Mozarts Le nozze di Figaro: der Graf wird untreu, die Ehe alles andere als glücklich. Ist das ein Aspekt, den Sie bei der jugendlichen Rosina im Kopf haben, oder muss man das für diese Rolle ausblenden?

PATRICIA NOLZ Natürlich, das Wissen ist da und im Hinterkopf. Ich muss allerdings sagen, dass ich damit ein bisschen kämpfe und aktiv versuche, es auszublenden. Denn wenn ich drüber nachdenke, wie die Ehe wird, wie es Rosina später geht, ist es schwierig, mir selbst eine solche Verliebtheit, wie sie im Barbiere vermittelt wird, zu glauben und zu spielen. Es muss schon etwas Pures in dieser Liebe stecken und ein ehrlicher Enthusiasmus in Bezug auf die Zukunft. Abgeklärtheit hat da wenig Raum.


Wie sieht es mit den Sympathiewerten des Grafen aus? Letztlich löst er die Krisen ja doch immer nur durch seinen Adel und Einfluss. Dieses Wissen um seine gesellschaftliche Bedeutung spürt man einen Abend lang durch, oder?

PATRICIA NOLZ Sympathisch ist er eigentlich nicht. Und damit sind wir wieder bei dem Wissen um die Zukunft: Rosina spürt es noch nicht, aber für Außenstehende ist erkennbar, dass der Graf vielleicht doch kein Engel von Ehemann oder der einfühl- samste Gatte sein wird, den man sich wünschen kann. Auch steigt er nicht gut aus, wenn es um Intelligenz geht. Immer, wenn ich mir den Barbiere anschaue, denke ich: Hm, das mit Almaviva, das wird nicht gut gehen... Es zeichnet sich schon ab, dass er viel von seinem Selbstwertgefühl aus seinem Status und dem Geld bezieht – und das sind nicht unbedingt die besten Quellen für einen guten Charakter.


Dass Rosina das nicht sieht, kann, wie vorhin festgestellt,damit zu tun haben, dass sie eben eingesperrt ist und im Grafen eine Fluchtmöglichkeit sieht. Sie hat ja nicht viele Optionen zur Auswahl.

PATRICIA NOLZ Ja, er repräsentiert den Ausweg. Doch auch abgesehen davon hat er für sie richtiggehend einen Heiligenschein. Da wird einfach sehr viel ausgeblendet. Aber so ist das eben, wenn man Hals über Kopf verliebt ist, man ignoriert sämtliche »Red Flags« und die Warnungen anderer. Das kennen wir ja alle gut.


Ein zentraler Moment der Oper ist die oben genannte, ausgesprochen bekannte Arie der Rosina »Una voce poco fa«. Ist diese erst einmal gesungen, entspannt sich die Sängerin und betrachtet den Abend als gelaufen?

PATRICIA NOLZ (lacht) Ohne Zweifel bin ich am gestresstesten, bevor ich »Una voce poco fa« singe – und kann danach den Abend mehr genießen. Es ist ja so etwas wie eine Auftrittsarie, auch wenn Rosina davor ein paar kleine Rezitative zu singen hat. Eine Visitenkarte. Und es ist auch ihre herausforderndste Arie, die zufällig auch noch eine der ganz besonders bekannten Nummern der Opernliteratur ist. All das sitzt einem schon im Nacken! Andererseits habe ich, wie vorhin gesagt, die Arie so oft bei Vorsingen und in Konzerten gesungen, dass ich mich mit ihr wohlfühle.


Sitzt es Ihnen auch im Nacken, dass die Arie vor Ihnen schon von so vielen anderen Sängerinnen gestaltet wurde? Gibt es das Gewicht der Tradition?

PATRICIA NOLZ Auf jeden Fall! Aber als ich die Zerlina in der Don Giovanni-Premiere sang, war es nicht anders. »Là ci darem la mano« ist ja auch ein Hit, den viele kennen. Ich dachte damals lang über die Klangvorstellung in Bezug auf Zerlina nach, was wird erwartet, wie »muss« sie sein? Vor allem, weil die Rolle zumeist von Sopranen gesungen werden. Letztlich sang ich sie so, wie ich es musikalisch fühlte, und baute mir keinen Käfig im Kopf. Denn wenn man das tut, spürt das Publikum das »Eingekastelte«, Befangene. Jetzt ist es ein Jahr später, eine ähnliche Situation, aber ich habe deutlich mehr Erfahrung. So gesehen ist das Gewicht leichter.


Worin äußert sich die Erfahrung? In der Kenntnis des Bühnenbetriebs? Der Abläufe? Dem Erfahren des Publikums und des Funktionierens des Hauses?

PATRICIA NOLZ Der wichtigste Aspekt ist für mich, dass ich mich jetzt selbst viel besser kenne. Zwar habe ich die Jahre zuvor auch schon viel gesungen, doch kann man das überhaupt nicht mit der Staatsopern-Situation vergleichen. Hier ist es ein komplett anderer Stresslevel, es sind andere Erwartungen und es gibt eine andere Verantwortung, immer höchste Qualität »abzuliefern«. Aber: Im letzten Jahr durfte ich ein großes Vertrauen zu mir selbst aufbauen. Manchmal war ich müde, angeschlagen, konnte mir fünf Minuten vor dem Auftritt nicht vorstellen, die nötige Energie zum Singen und Spielen aufzubringen. Und dann geht man raus – und alles läuft. Diese Erfahrung kann man nicht von anderen lernen, die muss man einfach sammeln. Man bekommt ein Grundgefühl in den Körper und lernt, dass man auch in Extremsituationen besteht, Einspringen schafft und die Bühne einem Kraft gibt. Und all das erfährt man nirgends so intensiv wie an der Wiener Staatsoper!


In Daniel Kehlmanns Roman Tyll wird der Gedanke aufgeworfen, dass ein Mensch auf der Bühne letztlich wahrhaftiger zu erkennen ist als im echten Leben. Selbst wenn im Theater eine Rolle gespielt wird, ist ein Darsteller, eine Darstellerin pa- radoxerweise unmaskierter als im Alltag. Sehen Sie das auch so?


PATRICIA NOLZ Das erkenne ich tatsächlich immer stärker. Mitunter denkt man ja, dass Sängerinnen und Sänger auf der Bühne ihre Charaktereigenschaften, Stärken oder Schwächen durch die Darstellung einer Rolle kaschieren können. Dass im Spiel das Persönliche übertüncht wird. In Wahrheit ist es aber genau umgekehrt. Denn wenn jemand auf der Bühne steht, schaut man wie durch eine Lupe auf die Person und sieht vieles deutlicher. Da kann sich der oder die Betreffende noch so sehr denken: Ja, aber das ist doch nur die Figur, die ich spiele! In einer Rolle schimmert der Mensch stets durch. Ich würde sogar sagen, dass man einen Kollegen mitunter viel besser kennen lernt, indem man ihn auf der Bühne sieht, als im persönlichen Backstage-Plaudern. Denn beim Plaudern kann man sich eher verstellen als in einer Theatersituation!